Es ist kein Geheimnis, dass heutzutage der Großteil der Studierenden auf einen Nebenjob angewiesen ist. Steigende Mieten, Lebenshaltungskosten und begrenzte staatliche Unterstützung sorgen bei vielen Studenten für schlaflose Nächte. Ob Kanzlei, Nachhilfe oder Gastronomie – willkommen ist alles, was Geld und im besten Fall etwas Berufserfahrung mit sich bringt. Ein Job über den Wolken kommt dabei den wenigsten in den Sinn. Wer Uniform trägt, steht nicht zwangsläufig vor Gericht, sondern mitunter am Eingang eines Airbus. Der Nebenjob als Flugbegleiter:in mag auf den ersten Blick wenig mit dem Jurastudium gemein haben, bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass zwischen einem Langstreckenflug und der Arbeit mit der Mandantschaft mehr Verbindungen bestehen, als vermutet.

Von der Kabine in die Vorlesung: Wie es dazu kam
Nach meinem Abitur wollte ich nicht nach 13 Jahren auf der Schulbank weiterpauken, sondern zunächst etwas von der Welt sehen. Nach 8 Wochen Reisen – durch Australien – konnte ich mir schlichtweg nicht mehr vorstellen, für die nächsten Jahre auf so viele prägende und schöne Eindrücke zu verzichten. Die Vorstellung, in einem stickigen Büro stundenlang Akten zu sortieren, schien mir schlicht zu eng. Daraufhin bewarb ich mich bei einer großen, deutschen Airline. Der Bewerbungsprozess verlief in mehreren Etappen: Interviews auf Deutsch und Englisch, Rollenspiele und Gruppenarbeiten. Zusätzlich fordern einige Airlines das Absolvieren eines psychologischen Tests. Besonders wichtig ist dabei die Persönlichkeit: Offenheit, Teamfähigkeit und Belastbarkeit wiegen deutlich mehr als Schulnoten. Keine Kommunikationsstärke? Keine Chance. Da der Einstieg in die Fliegerei bereits einige Monate vor Studienbeginn erfolgte, ließ sich die sechswöchige Schulung problemlos in den Alltag integrieren. Wer das Training erst während des Jurastudiums absolvieren möchte, sollte es unbedingt in die vorlesungsfreie Zeit legen, da der zeitliche Aufwand nicht zu unterschätzen ist.
Ein Job mit Aussicht – auch fürs Studium
Statt festen Arbeitstagen oder 9-to-5-Routine: Nachtschichten, Zeitverschiebung und monatlich wechselnde Dienstpläne? Inwiefern soll das vorteilhaft sein? In der Fliegerei lebt man, wie es intern heißt, von Dienstplan zu Dienstplan. Die Zeit verfliegt im wahrsten Sinne des Wortes. Anders als in klassischen Jobs sind Feiertage, Wochenenden, 23 Uhr oder 5 Uhr morgens keine Ausnahmen, sondern ganz normale Arbeitszeiten. Doch genau darin liegt ein klarer Vorteil. Dienstpläne können mit Wunschangaben für Flüge, verschiedenen Blockmodellen und einer gewissen Anzahl freier Tage teilweise mitgestaltet werden. Dadurch können wichtige Veranstaltungen und vor allem Klausuren grundsätzlich freigehalten werden. Für Studiengänge mit Präsenzpflicht ist von diesem Beruf eher abzuraten, während er für die Rechtswissenschaften umso interessanter ist. Alle Jurastudenten wissen: Die Arbeit nach der Vorlesung ist oft die Arbeit, auf die es ankommt. Ob die Hausarbeit dabei in der Bibliothek oder in der Sonne Cancúns geschrieben wird, ist mit einem solchen Nebenjob jedem selbst überlassen. Disziplin braucht es so oder so.
Kaum ein Nebenjob ermöglicht so viele Begegnungen mit unterschiedlichsten Kulturen, Altersgruppen und Persönlichkeiten. Schnell wird klar: Was bei Person A funktioniert, findet Person B deswegen noch lange nicht gut. Jeder Mensch denkt unterschiedlich und hat andere Bedürfnisse. Diese Erkenntnis ist auch im späteren Umgang mit Mandant:innen unerlässlich. Es geht nicht darum, die Haltung des anderen zu teilen, sondern sie zu akzeptieren und damit arbeiten zu können. Wenn ein Anschlussflug verpasst wird, gibt es nicht immer eine Lösung, nur eine ehrliche Antwort. Die Frustration anderer auszuhalten und dabei zu deeskalieren, verlangt einiges an Geduld und Selbstbeherrschung. Man lernt, ruhig zu bleiben. Da man auf 14.000 Fuß nicht aussteigen kann, müssen Kompromisse gefunden werden, selbst wenn man sich persönlich betroffen fühlt.
Auch die Fähigkeit, Körpersprache und Mimik zu deuten – etwa bei Flugangst – wird intensiv geschult. Diese Form der nonverbalen Kommunikation schärft sowohl die beruflichen als auch alltäglichen Social Skills.
Vergütung, Jetlag und Realität
Selbstverständlich läuft nicht alles immer rosig und wunderbar. Die körperliche Belastung ist nicht zu unterschätzen. Der ständige Wechsel von Zeit- und Klimazonen belastet, besonders nach Langstreckenflügen. Wer morgens um fünf aus Los Angeles landet und direkt zur Vorlesung geht, kämpft nicht nur mit Jetlag, sondern auch mit der eigenen Orientierung. Konzentration? Schwierig! Während andere am Nachmittag in die Bibliothek gehen, hängt der eigene Tag vom Biorhythmus ab – nicht vom Stundenplan. Auch wenn Destinationen wie New York oder Bangkok glamourös klingen, bleibt in der Klausurenphase sehr wenig von den jeweiligen Orten. Statt Sightseeing heißt es Lernen im Hotelzimmer.
Immerhin: Mit Roomservice. Die Verpflegung vor Ort muss dabei nicht selbst gezahlt werden. Zu dem Gehalt, das bei etwa 1.300 Euro netto bei 70 Prozent Stellenumfang liegt, kommen Spesen und Pauschalen, abhängig von Ziel, Strecke und Aufenthaltsdauer hinzu. Diese Spesen sind zwar für die Verpflegung gedacht, sind aber frei verfügbar und könnten somit auch komplett gespart werden. Nicht unbedingt mehr als bei den gängigen Werkstudentenstellen, aber fair für die reine Arbeitszeit, die nach tatsächlichen Flugstunden gemessen wird. Wie viele Stunden tatsächlich geflogen werden, ist sowohl von der Saison, als auch von der jeweiligen Airline abhängig und kann somit nur schwer pauschalisiert werden.
Eine „typische Woche“ zwischen Hörsaal und Uni?
Vorab: Eine typische Woche gibt es nicht. Während die Vorlesungstermine konstant bleiben, wechselt der Dienstplan. Glücklicherweise ließen sich alle meine Veranstaltungen auf Dienstag bis Donnerstag legen, sodass eine Langstrecke meist gut in den Rhythmus passt. Hinzu kommt oft eine Kurzstrecke und der Rest der Woche bleibt durch gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeiten frei. Komplizierter wird es abseits der Uni: Alltag und Lernzeiten müssen flexibel drumherum organisiert werden. Die Karteikarten sind daher immer mit dabei, und nicht selten finden sich ein:e Kolleg:in oder Passagier:in, die in der Pause beim Abfragen unterstützen, inklusive Legaldefinitionen-Crashkurs. Eine Konstante bleibt: Angekommen am Zielort – ob zu Hause oder in Vancouver – heißt es erst einmal: Schlaf nachholen.

Fazit: Für alle, die mehr als nur Geld verdienen wollen
Der Nebenjob als Flugbegleiter:in verlangt Flexibilität, Disziplin und trainiert Fähigkeiten, die sich im juristischen Berufsalltag später auszahlen werden. Während das Studium sehr theorie- und lernintensiv ist, bietet der häufige Kulissenwechsel und praktische Arbeit eine willkommene Abwechslung. Es ist sicherlich nicht für jeden das Richtige, aber wer sich darauf einlässt, erhält nicht nur ein Einkommen, sondern auch die Möglichkeit, die Welt zu bereisen – und damit an sich selbst zu wachsen.
Du bist Jurastudentin oder Jurastudent und hast einen spannenden Nebenjob, von dem Du unseren Leserinnen und Lesern erzählen möchtest? Schreib eine Mail an: redaktion@jurios.de