Der erste Moot Court im internationalen Tierrecht

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Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit: auch für Tiere?

Vor einem knappen Jahr saßen wir in einem von Leipzigs schönen Parks, schrieben eine Pro- und Contra-Liste bezüglich einer Teilnahme am weltweit ersten Moot Court on International Law and Animal Rights und steckten eigentlich mitten in der Examensvorbereitung. Doch seitdem ist viel passiert. Heute hat eine von uns das Examen schon in der Tasche, die andere engagiert sich neben dem Studium für Tierrechte – und beide sind wir diesen Monat World Champions geworden.

Obwohl mit dem anstehenden Examen und diversen Unsicherheiten bezüglich Finanzierung und Organisation mehr Argumente gegen eine Teilnahme sprachen als dafür, brannten wir für die Idee, juristisch für die Rechte von Tieren einzutreten. Es war uns eine Herzensangelegenheit und so meldeten wir uns mit einiger Moot-Court-Erfahrung in der Hinterhand an. Schließlich beginnen die spannendsten Geschichten selten mit einer rationalen Entscheidung.

Zwischen Urlaub und Boot Camp: der Fall Seitan gegen Tempeh

Um beim Paula Sparks World Moot on International Law and Animal Rights teilnehmen zu können, braucht es ein Team aus zwei bis vier Personen, die – gegebenenfalls unter Anleitung von erfahrenen Coaches – einen vorgegebenen fiktiven Fall im Tierrecht bearbeiten und zunächst für Kläger- und Beklagtenseite einen Schriftsatz vorbereiten. Während eines gemeinsamen Urlaubs im September, der uns nach Den Haag und damit in die Hauptstadt des Völkerrechts führte, erhielten wir den Fall und verwandelten den Kurzurlaub kurzerhand in ein Tierrechts-Bootcamp. Zwischen Ausflügen zum Internationalen Gerichtshof (IGH) und Internationalen Strafgerichtshof lasen wir uns den Fall und die mitgelieferten Quellen durch: nationale Urteile aus verschiedenen Ländern von Ecuador bis Indien, in denen Tieren bereits Rechte zugesprochen wurden, internationale Verträge und Aufsätze von Akademiker:innen.

In dem Fall verklagt der fiktive Staat Seitan das Nachbarland Tempeh vor dem IGH wegen Verletzungen von völkerrechtlich anerkannten Tierrechten. In diesem Szenario war ein echter ecuadorianischer Gesetzesvorschlag zur Umsetzung verfassungsrechtlich anerkannter Tierrechte zur Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages geworden, der Tieren Rechte zusprach und die Ausbeutung und Tötung eben dieser verbot. Während die Bevölkerung Seitans einen veganen Lebensstil pflegt und empfindsamen Lebewesen mit Respekt begegnet, basiert ein Großteil der Wirtschaft Tempehs auf industrieller Massentierhaltung, die notwendigerweise die Ausbeutung und Tötung zahlloser Tiere mit sich bringt. Während wir selbst als Veganerinnen zwar mit Seitan sympathisierten, mussten wir beim Verfassen der Schriftsätze schnell feststellen, dass es gar nicht so leicht ist, mit dieser neuen – fiktiven – Tierrechtsordnung zu argumentieren. Auf der anderen Seite argumentierte Tempeh mit dem Recht seiner Bevölkerung auf eine adäquate Ernährung sowie auf den Schutz der eigenen Kultur, die seit Jahrhunderten den Konsum von Fleisch beinhaltet. Herausfordernd war auch die Arbeit mit Urteilen aus Ländern wie Indien, in denen die Gesetzesauslegung nicht selten auf moralischen Erwägungen und kulturellen Narrativen basiert – eine Herangehensweise, die im deutschen Jurastudium selten thematisiert wird.

Vorbereitung, Finanzierung und knappe Deadlines

Die letzten Tage vor der Abgabe der Schriftsätze waren wie bei vermutlich jedem anderen Moot Court auch: nervenaufreibend. Mit kurz vor knapp fertiggestellten und abgegebenen Schriftsätzen ging es im März auch schon nach Kroatien, wo die regionalen Vorrunden für die Teams aus Europa und Zentralasien stattfanden. Tickets und Unterkunft waren gebucht, die Teilnahmegebühren bezahlt – nachdem wir Dutzende Kanzleien angeschrieben hatten, die in ganz Deutschland Fälle im Umweltrecht oder mit Tierschutzbezügen bearbeiten, erklärten sich zwei Rechtsanwälte dazu bereit, uns finanziell zu unterstützen. Auch der Fachschaftsrat und der Student:innenrat unserer Uni steuerten einen Teil bei. Nach einem zweitägigen Trainingskurs über das Halten von Plädoyers begann der Wettbewerb. Nach spannenden Runden gegen Teams aus Kasachstan, Polen und Kroatien trafen wir im Finale auf das Team aus Finnland und konnten es kaum fassen, auch diese Runde gewonnen und uns so für die internationalen Runden qualifiziert zu haben. Noch dazu mit dem Preis „Best Oralist“ für Marie Kolb.

Von Leipzig nach Oxford: Der Weg zum Weltmeistertitel

Als Regional Champions zogen wir Anfang Juni in die internationalen Runden ein, welche am St. Hilda’s College in Oxford (UK) stattfanden. Sowohl online als auch vor Ort waren zahlreiche Teams aus aller Welt vertreten und es war regelrecht beflügelnd, zu sehen, wie viele junge Menschen sich für Themen des internationalen Rechts interessieren und einen Beitrag dazu leisten wollen, denjenigen eine Stimme zu geben, die andernfalls nicht gehört werden. Bei der Auftaktveranstaltung hörten wir inspirierende Keynote-Speeches von einem Aktivisten und Anwalt aus Kalifornien sowie einer Verfassungsrichterin aus Ecuador, die mit ihrer Arbeit auf ganz unterschiedliche Weisen den Kampf für Tierrechte vorantreiben.

Nach den Viertelfinalsrunden an Tag eins des Wettbewerbs trafen wir am zweiten Tag im Halbfinale auf ein Team aus Indien und konnten einen weiteren Sieg verbuchen. Das hieß jedoch, dass wir nach einer kurzen Pause direkt wieder vor die Richter:innenbank mussten – und die war im Finale mit sieben namhaften Jurist:innen aus dem internationalen Recht besetzt, was die Aufregung noch einmal mehr erhöhte. Das Team aus Chile, gegen das wir antraten, hatten wir am Vortag schon kennengelernt und wussten, dass die vier jungen Frauen über herausragende juristische Fähigkeiten verfügen. Wir gaben unser Bestes, um die Richter:innen von den Argumenten für Seitan und damit für den Schutz von Tierrechten zu überzeugen, doch die Fragen und Einwände, mit denen wir konfrontiert wurden, machten es uns nicht leicht. Umso größer war die Überraschung, als wir als World Champions ausgezeichnet wurden – und Marie Kolb erneut den Preis als Best Oralist erhielt.

Mehr als nur ein Wettbewerb…

Der Preis bedeutet für uns nicht nur Anerkennung und ein Preisgeld, sondern auch eine vegane Koch-Session und ein Praktikum beim Think Tank Global Research Network. Dieser Sieg war für uns ein sehr emotionaler Moment, doch noch berührender waren die Reden renommierter Jurist:innen, die aus vielen Ländern angereist waren, um bei Panel-Discussions zum Abschluss der Veranstaltung nicht nur über die Herausforderungen im Bereich der Tierrechte zu sprechen, sondern auch über Erfolge und Meilensteine, die Mut machten. Mut und Hoffnung, dass Tierrechte und Staaten, die sich für empfindsame Lebewesen stark machen, bald mehr als nur eine Utopie sein werden.

Unser Dank gilt Frau Prof. Dr. Schiedermair, unter deren Schirmherrschaft wir dieses einzigartige Projekt Wirklichkeit werden lassen durften. Bei diesem Moot Court ging es um mehr als nur Gewinnen und wir können nur allen Studierenden wärmstens ans Herz legen, sich die Chance einer Teilnahme an so einem Wettbewerb nicht entgehen zu lassen. Ihr findet unter Umständen nicht nur Freund:innen fürs Leben und zukünftige Arbeitgeber:innen, sondern erlernt auch das praktische Handwerkszeug, das im Studium oftmals viel zu kurz kommt.

Weitere Informationen zum weltweit ersten Moot Court im internationalen Tierrecht: https://wmilar.com/


Josephine Götze ist Juristin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Menschenrechten. Studiert hat sie an der Universität Leipzig.

Marie Kolb ist Jurastudentin an der Universität Leipzig und arbeitet als Executive Associate beim Paula Sparks World Moot on International Law and Animal Rights.

Beide interessieren sich schon länger für Tierrechte und haben 2024 erstmals zu dem Thema veröffentlicht: https://www.rug.nl/

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