Wer auf der Autobahn drängelt und dadurch einen tödlichen Unfall verursacht, kann Tötungsvorsatz haben. Das entschied der BGH in einem aktuellen, examensrelevanten Beschluss, bei dem der Fahrer angab, den tödlichen Ausgang des Unfalls nicht bemerkt zu haben und davonfuhr.
Der spätere Angeklagte hatte sich morgens auf dem Weg zur Arbeit auf der B 33 befunden. Das Überholmanöver des vor ihm fahrenden PK, der mit zwei unangeschnallten Männern besetzt war, dauerte dem Mann zu lange. Er bedrängte das Auto, betätigte Fernlicht und Warnblinkanlage und lenkte nach links und rechts „um zu provozieren“. Nachdem er das Fahrzeug überholt hatte und sich dicht vor dieses gesetzt hatte, betätigte er kurz das Bremspedal, sodass das andere Auto ebenfalls abbremsen musste. Danach wechselte der Mann wieder auf die Überholspur, um das andere Auto aufschließen zu lassen. Als sie auf etwa gleicher Höhe waren, lenkte er ruckartig ein, um den anderen Fahrer zu „maßregeln“. Es kam zur Kollision, wobei sich der andere Pkw überschlug und krachte in 100 Metern Entfernung in einen Baum. Der Beifahrer wurde aus dem Auto geschleudert und verstarb. Der Fahrer überlebte schwerverletzt.
„Boss, mir ist einer reingefahren“
Entscheidend für das spätere Urteil war sodann das Nachtatverhalten des Mannes. Dieser behauptete, den tödlichen Ausgang des Unfalls nicht bemerkt zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass der Unfallgegner die nächste Abfahrt genommen haben. Der Mann rief nach dem Unfall seinen Chef an, um diesen über den Unfall zu benachrichtigen. Später schrieb er ihm auf WhatsApp:„Das Problem, Boss, ist, dass er mir reingefahren ist, und ich hätte jetzt tot sein können.“
Das Landgericht (LG) Osnabrück hatte einen Tötungsvorsatz noch abgelehnt. Es verurteilte den Mann zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten – wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB. Das sah der BGH jetzt anders. Das Gericht hätte zwischen dem tödlichen Überholmanöver und der späteren Fahrerflucht des Mannes differenzieren müssen.
Kein Tötungsvorsatz bei Drängelmanöver
Das Drängenmanöver des Mannes sei nicht auf eine Kollision ausgelegt gewesen. Der Mann habe zu diesem Zeitpunkt keinen Tötungsvorsatz besessen. Dafür spreche auch, dass der Mann eine mögliche Eigengefährdung erkannt habe – dies ergebe sich aus der späteren WhatsApp-Nachricht an den Chef. Das LG hätte aber erörtern müssen, ob in der späteren Fahrerflucht eine versuchte Tötung liegen könnte.
Die Strafkammer habe festgestellt, dass der Mann den Anstoß gegen das andere Fahrzeug bemerkte. Dass das gegnerische Fahrzeug in der Vorstellung des Mannes die Ausfahrt genommen haben könnte, habe das LG angesichts seines Sichtfeldes verneint. Im nicht aufgelösten Widerspruch hierzu habe die Strafkammer allerdings angenommen, der Mann sei nicht notwendig davon ausgegangen, der Unfallgegner müsse sich noch am Unfallort befinden.
„Verschwinden“ bei über 100 km/h
Angesichts der zuvor genannten Umstände hätte sich das LG erörtern müssen, welche Vorstellungen des Angeklagten im Hinblick auf etwaige eingetretene Verletzungsfolgen für die Fahrzeuginsassen gehabt hat. Denn immerhin sei das gegnerische Fahrzeug nach der Kollision bei einer Geschwindigkeit von mindestens 110 km/h „verschwunden“.
Hätte der Angeklagte ein Versterben der Geschädigten sowie ihre Rettung bei einem von ihm abgesetzten Notruf mit seinem Mobiltelefon auch nur für möglich gehalten, komme nämlich aufgrund des pflichtwidrigen Vorverhaltens und der damit verbundenen Garantenstellung aus Ingerenz die Verwirklichung eines (untauglichen) versuchten Tötungsdelikts in Betracht.
Entscheidung: BGH, Beschl. v. 10.06.2021, Az. 4 StR 312/20


