Absolvent:innenbefragung: Jurastudierende unzufrieden, zwei Drittel würden Jurastudium nicht weiterempfehlen

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Die sechste bundesweite Absolvent:innenbefragung des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) liefert ein deutliches Stimmungsbild zur Lage der juristischen Ausbildung in Deutschland.

Seit 2014 führt der BRF unter den Absolvent:innen der ersten juristischen Prüfung regelmäßig eine Befragung durch, um ein umfassendes Meinungsbild über die Ausbildungsbedingungen im rechtswissenschaftlichen Studium zu gewinnen.

Zwischen Februar und September 2024 nahmen 1.835 Absolvent:innen aus allen Bundesländern teil – so viele wie nie zuvor. Der Frauenanteil lag bei 61,91 %, das Durchschnittsalter der Teilnehmenden bei 25,9 Jahren. Insgesamt haben 82,02 % die staatliche Pflichtfachprüfung bestanden, 10,08 % befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung in Vorbereitung auf die mündliche Prüfung, 5,23 % planten einen Zweitversuch und 1,31 % gaben an, endgültig nicht bestanden zu haben.

Mehrheit unzufrieden mit juristischer Ausbildung

Die Zufriedenheit mit dem Jurastudium bleibt niedrig: Nur 5,99 % der Befragten gaben an, „sehr zufrieden“ zu sein. Dagegen äußerten sich 43,03 % „eher unzufrieden“ und 19,75 % „sehr unzufrieden“. Damit bewerten insgesamt 62,78 % das Studium negativ. Auch die Bereitschaft, das Studium weiterzuempfehlen, ist gering: 66,27 % würden das Jurastudium nicht weiterempfehlen – darunter 41,31 %, die es „eher nicht“, und 24,96 %, die es „gar nicht“ weiterempfehlen würden. Nur 32,04 % sprechen sich für eine Empfehlung aus, lediglich 5,12 % aus voller Überzeugung.

Im Vergleich zur vorherigen Befragung 2022, bei der 43,93 % das Studium nicht empfohlen hatten, bedeutet dies eine Zunahme der Unzufriedenheit um über 20 Prozentpunkte. „Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Studium für viele Absolvent:innen nicht das Vertrauen vermittelt, das es eigentlich fördern sollte: Vertrauen in Nachvollziehbarkeit und Transparenz in der Notenvergabe, sowie die eigene Befähigung, Recht anzuwenden,“ erklärt Ali Sahan, Vorsitzender des BRF.

Auf die Frage, ob sie sich erneut für das Jurastudium entscheiden würden, antworteten 43,76 % mit „Ja“, 29,16 % mit „Nein“ und 26,81 % waren unentschlossen. Nur 0,27 % machten keine Angabe.

Besonders häufig kritisiert werden die fehlende Praxisnähe (71,88 %), der Prüfungsdruck (82,11 %) sowie die mangelnde Transparenz der Leistungsbewertung (78,64 %). Auch die emotionale Belastung bleibt hoch: 68,03 % der Befragten gaben an, während des Studiums unter erheblichem psychischem Druck gestanden zu haben; 32,45 % berichteten von Angststörungen oder Burnout-Symptomen im Zusammenhang mit der Examensvorbereitung.

Ein besonders deutlicher Kritikpunkt bleibt die Korrektur juristischer Klausuren: 81,63 % halten die Bewertung für „nicht objektiv“. Nur 7,25 % sehen sie als „weitgehend fair“ an. Die meisten Befragten monieren die fehlende verdeckte Zweitkorrektur; 72,14 % der Zweitkorrektor:innen sollen sich nach Wahrnehmung der Befragten „begründungslos“ der Erstkorrektur anschließen.

Auslandserfahrungen bleiben die Ausnahme

Trotz des wachsenden Internationalisierungsdrucks bleibt die Auslandsmobilität gering: 74,55 % der Absolvent:innen haben keinen studienbedingten Auslandsaufenthalt absolviert, 20,05 % waren einmal und 3,38 % zweimal im Ausland. Nur 1,14 % gaben an, mehr als zwei Aufenthalte absolviert zu haben. Insgesamt wurden 522 Auslandsaufenthalte dokumentiert, davon 88,12 % innerhalb des Europäischen Hochschulraums und 66,28 % innerhalb der EU.

Das beliebteste Zielland war Frankreich (17,05 %), gefolgt von Großbritannien (9,39 %), Spanien (8,81 %), Italien (7,85 %) und den USA (4,79 %). Durchschnittlich dauerte ein Auslandsaufenthalt fünf bis sechs Monate.

Bemerkenswert ist die hohe Zufriedenheit derjenigen, die im Ausland waren: 87,23 % würden den Aufenthalt „sehr“, weitere 7,45 % „eher“ weiterempfehlen – zusammen 94,68 %. Gleichwohl bewerten nur 40,15 % aller Befragten Auslandsaufenthalte als „sehr“ oder „eher wichtig“. Hauptgründe gegen einen Auslandsaufenthalt sind finanzielle Belastungen (62,47 %), fehlende Anrechnungsmöglichkeiten (48,31 %) und pandemiebedingte Einschränkungen (21,82 %).

Digitalisierung und integrierter Bachelor

Die Digitalisierung der juristischen Ausbildung wird von den Absolvent:innen klar befürwortet. 82,02 % wünschen sich künftig hybride Lehrformate, die sowohl Präsenz- als auch Online-Teilnahme ermöglichen. 56,08 % befürworten vollständig digitale Veranstaltungen. Nur 9,91 % lehnen digitale Formate ab.

Auch in der Examensvorbereitung haben sich Online-Materialien etabliert: 71,14 % der Befragten nutzten digitale Karteikarten-Apps, 64,02 % Video- oder Podcastformate und 59,88 % Online-Repetitorien.

Einen deutlichen Reformimpuls zeigt die Diskussion um einen integrierten Bachelorabschluss im Jurastudium. 61,91 % der Befragten stimmten der Aussage „Ja, sehr“ zu, 23,92 % „eher ja“. Damit sprechen sich 85,83 % für ein solches Modell aus. Nur 10,26 % lehnen es ab.

Zugleich gaben 91,01 % an, dass sie sich trotz eines integrierten Abschlusses weiterhin auf die staatliche Pflichtfachprüfung vorbereitet hätten. Ein Bachelorabschluss wird somit nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung und Absicherung gesehen. 77,42 % erwarten eine Verringerung des psychischen Drucks, 69,18 % eine verbesserte Studienmotivation.

Referendariat als nächste Herausforderung

Der juristische Vorbereitungsdienst steht im Zentrum vieler Zukunftsüberlegungen der Absolvent:innen. Fast neun von zehn Befragten (89,97 %) planen, den juristischen Vorbereitungsdienst (Referendariat) zu absolvieren. Nur 6,83 % lehnen dies ab, während 3,20 % noch unentschlossen sind.

Fast die Hälfte (49,64 %) der Teilnehmenden empfindet den Vorbereitungsdienst als größere Herausforderung als das Studium selbst, 37,96 % sehen das Gegenteil, und 12,40 % machten keine eindeutige Angabe.

Die Erwartungen an das Referendariat sind hoch: 73,84 % erwarten eine bessere praktische Ausbildung, 68,51 % wünschen sich mehr Flexibilität bei der Stationswahl und 62,77 % fordern eine stärkere Vergütung. Dennoch halten 63,95 % die Zweistufigkeit des juristischen Ausbildungssystems – bestehend aus Studium und Vorbereitungsdienst – für grundsätzlich sinnvoll.

Auch der Einfluss der Examensvorbereitung zeigt sich im Referendariat: 58,12 % der Befragten sehen den Druck, erneut ein Staatsexamen bestehen zu müssen, als „sehr belastend“. 44,21 % befürchten, dass die Noten im zweiten Examen noch stärker über Karrierechancen entscheiden als im ersten.

Fazit: Reformdruck steigt

Die sechste bundesweite Absolvent:innenbefragung verdeutlicht die zunehmende Diskrepanz zwischen inhaltlichem Interesse und struktureller Frustration im Jurastudium. Während viele Absolvent:innen das Recht als Fachgebiet schätzen, stoßen die Prüfungsbedingungen, der psychische Druck und die unzureichende Praxisorientierung auf breite Ablehnung.

„Um dem Jurist:innenmangel entgegenzuwirken und das Studium damit einhergehend für Studierende attraktiver zu machen, sind Veränderungen in den Strukturen der juristischen Ausbildung erforderlich,“ schlussfolgert Sahan.

Mit Blick auf die Reformdebatte um die juristische Ausbildung fordern die Befragten – so der BRF – mehr Transparenz, Zwischenabschlüsse, digitale Lehrangebote und psychologische Unterstützung. Die Daten sollen als Grundlage dienen, um eine „zeitgemäße und zukunftsorientierte Weiterentwicklung“ der Jurist:innenausbildung anzustoßen.

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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