Angeklagter will Schöffen wegen Rechtsbeugung festnehmen – Haftbefehl!

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Berlin ist immer wieder für Possenspiele gut – ich erinnere nur an das Trauerspiel um den Flughafen, der Umbau einer Straße kann schon mal 14 Jahre dauern, wogegen die Sanierung eines Opernhauses mit „nur“ sieben Jahren schon geradezu kurz erscheint.

Doch was sich am 20. August vor dem Kriminalgericht in Moabit ereignete, dürfte ein in der deutschen Rechtsgeschichte einmaliges Ereignis sein: ein Angeklagter versuchte nach einem Verhandlungstag, vor dem Gerichtsgebäude einen Schöffen wegen des Verdachts der Rechtsbeugung festzunehmen. Und tatsächlich erging in der Folge auch ein Haftbefehl – wenn auch anders, als vom Angeklagten erwünscht.

Was war da nur los?

Der Angeklagte Arne S., selbsternannter „Friedenspianist“, welcher als Straßenmusikant mit einem Piano durch die Welt tingelt, hat sich während der Coronapandemie (von „Querdenkern“ auch gern „Plandemie“ genannt) radikalisiert und trat mit seinem Piano bei Querdenkerdemonstrationen auf.

So auch im April 2021, wo er mit seinem mit seinem auf Rädern montierten und einem Elektromotor versehenen Piano eine Polizeiabsperrung durchbrach. Nachdem er dafür in erster Instanz wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, nahm das Drama in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Berlin seinen Lauf.

Arne S., welcher sich zwischenzeitlich, nun ja, parajuristisch fortgebildet hatte, bei Strafprozessen gegen Querdenker schon als Verteidiger aufgetreten war und sich selbst gern als „Verteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO“ bezeichnet, verteidigte sich selbst. Mit ausufernden Tiraden und unsinnigen Anträgen gelang es ihm immerhin, das Verfahren auf 14 Verhandlungstage aufzublähen – mit dem absoluten Höhe- oder auch Tiefpunkt am 20. August: ein Schöffe, welchem S. Schon im Gerichtssaal Rechtsbeugung vorgeworfen hatte, traf beim Verlassen des Gerichtsgebäudes auf den Angeklagten.

Dieser, nach eigenem Bekunden „energetisch sauer“, wähnte sich berechtigt den Schöffen nach § 127 Abs. 2 StPO festnehmen zu dürfen, was durch das Eingreifen von Justizwachtmeistern verhindert wurde. Die versuchte „Festnahme“ filmte er mit seinem Handy und lud das Video auf youtube hoch.

Doch damit noch nicht genug: nun kam die berliner Justiz ins Spiel.

Die Staatsanwaltschaft leitete gegen S. ein Ermittlungsverfahren wegen Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Vortäuschen einer Straftat und falscher Verdächtigung ein und beantragte einen Haftbefehl wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Der Haftbefehl wurde antragsgemäß erlassen und S. Am 3.9. im Gerichtssaal festgenommen.

Und das hat nun wirklich ein Geschmäckle: ein Schöffe dürfte zum einen kein zur Vollstreckung von Gesetzen berufener Amtsträger i.S.d. §§ 113 f. StGB sein, zum anderen befand er sich bei dem Angriff bereits auf dem Heimweg und wurde gerade nicht bei der Diensthandlung angegriffen. Vortäuschen einer Straftat bzw. falsche Verdächtigung kommen ebenfalls nicht in Betracht, schließlich war der gute Mann von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt.

Eine Verdunkelungsgefahr besteht schon aus dem Grunde nicht, daß S. das belastende Video selbst veröffentlicht hat. Auch die Annahme einer Fluchtgefahr dürfte trotz dem Umstand, dass S. ohne festen Wohnsitz in einem Wohnmobil lebt, haltlos sein – schließlich hat er sich auch dem Verfahren wegen Landfriedensbruchs nicht entzogen.

Richter und Staatsanwälte sind auch nur Menschen, sollten aber, wenn „energetisch sauer“, keine übereilten Entscheidungen treffen; insbesondere nicht über einschneidende Maßnahmen wie Entzug der Freiheit. Immerhin wurde der Haftbefehl nach sechs Wochen Untersuchungshaft in einem Haftprüfungstermin aufgehoben und der Tatvorwurf auf versuchte Nötigung eingedampft – besser spät als nie!

Damit kein Mißverständnis aufkommt: meine Sympathie für den Beschuldigten hält sich in Grenzen. Aber auch angesichts solcher Zeitgenossen sollte man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Fundstelle: https://www.tagesspiegel.de/

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