Das Karussell des schlechten Gewissens – zwischen Jurastudium und Familienalltag

-Werbung-spot_imgspot_img

Das Jurastudium ist zeitintensiv, anspruchsvoll und mit hohem Druck verbunden. Über lange Zeiträume sind Vorlesungen zu besuchen, Fälle und Urteile zu bearbeiten und Unmengen an Folien zu erlernen. Ein gut strukturiertes und sinnvolles Zeitmanagement, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarung des Studiums mit der mentalen Gesundheit ist für Jurastudierende unabdingbar und gleichzeitig eine enorme Herausforderung.

Und doch erwischt es auch die bestorganisiertesten Jurastudierenden. Die Motivation lässt nach, die Erschöpfung nimmt zu, die Kraft schwindet. Schnell werden Vorlesungen nicht besucht, die Vorlesungsfolien nachzuarbeiten fällt schwer und ein schlechtes Gewissen setzt ein. Kommt nun zum Jurastudium die Care Arbeit für Kinder hinzu, braucht es weit mehr als nur gutes Zeitmanagement, um die Semester erfolgreich abschließen zu können. Denn nun kommen Kita- und Schulschließtage, Freizeitaktivitäten der Kinder, Haushalt und Kindskranktage hinzu. Studierende Mütter befinden sich in einem immer wiederkehrenden Karussell aus schlechtem Gewissen gegenüber ihren Kindern und der Partner*in sowie dem Studium, weil es einfach an Zeit und Kraft fehlt. Über meinen Instagram – Account jura.familie.ich erreichen mich regelmäßig Nachrichten von studierenden Müttern, die genau in diesem Strudel im Studien- und Familienalltag gefangen sind.

Das schlechte Gewissen – ein schleichender Prozess

Abendliche Rituale mit den Kindern müssen für die nächste Lerneinheit ausfallen und an Wochenenden werden Lernrückstände aufgeholt. An den Vorlesungstagen fängt das Kind an zu fiebern und nach wie vor steht die Frage im Raum, wann du deine Praktika absolvieren sollst. Es fühlt sich an, als wäre es unmöglich, den Kindern und gleichzeitig dem Jurastudium tatsächlich gerecht zu werden. Das schlechte Gewissen und die Gewissensbisse führen zu mehr Stress, Druck und einem geschädigten Selbstwertgefühl während des Jurastudiums. Doch was ist die Ursache für ein schlechtes Gewissen von Müttern?

Ein schlechtes Gewissen tritt immer dann ein, wenn das Gefühl entsteht, Erwartungen nicht erfüllt zu haben. Erwartungen an sich selbst und die Erwartungen der anderen. Insbesondere Mütter werden mit gesellschaftlichen Erwartungen „zugeschüttet“. Es beginnt mit der Frage, wie das eigene Kind zur Welt kommt, es folgen Erwartungen über die Dauer der Stillzeit. Der Druck nimmt drastisch zu bei Themen wie dem Ess- und Schlafverhalten des Kindes, der Art den Haushalt zu führen, der Dauer der Elternzeit oder der Entscheidung, entweder länger Vollzeit die Care Arbeit des Kindes zu übernehmen oder eben in die Berufswelt zurückzukehren. Die Erwartungen steigen insbesondere mit der Entscheidung, als Mutter Jura zu studieren. Erwartungen, die längst nicht mehr erfüllt werden können und sollten.

Der Stereotyp „Frau“ und „Mutter“

Doch wie lässt sich der Kreislauf des schlechten Gewissens gegenüber den eigenen Kindern und dem Studium durchbrechen?

Gesellschaftliche Erwartungen an studierenden Müttern orientieren sich an den Stereotypen „Frau“ und „Mutter“. Mütter sollen gepflegt, fleißig, fürsorglich und aufopfernd sein. Sie sollen die perfekten Hausfrauen sein, immer frisch und gesund kochen und eine geduldige Partnerin sein. Das ist nur eine kurze Aufzählung von all dem, was Frauen und Mütter täglich erfüllen sollen.

Ein Jurastudium erfordert gleichzeitig ein regelmäßiges, zeitintensives Lernen und Wiederholen. Es bringt viele Prüfungen und zum Ende hin zwei Staatsexamina mit sich, die eine lange und intensive Vorbereitung voraussetzen. Darüber hinaus ist das Studium oft von Druck und Stresssituationen geprägt. Im Ergebnis sind all die Erwartungen an Mütter absolut nicht vereinbar mit den Anforderungen eines Jurastudiums und damit auch nicht zu erfüllen. Für Niemanden.

Nun zu den Erwartungen, die wir an uns selbst stellen. Die eigenen Erwartungen orientieren sich zunächst an den von außen wahrzunehmenden Erwartungen. Wir nehmen an, dass die Vorstellungen, die der Großteil der Menschen im privaten Umfeld vertritt, richtig sein müssen. Hinzu kommt die Tatsache, dass wir Mütter die Eigenschaft haben, mit uns selbst noch härter ins Gericht zu gehen als unser Umfeld es bereits mit uns tut.

Doch die Entscheidung, all diese Erwartungen abzulegen, kann das dauerhafte schlechte Gewissen durchbrechen. Dadurch können sich studierende Mütter von allen Gewissensbissen, negativen Gedanken und Gefühlen entkoppeln und dem eigenen Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein Raum schaffen. Die dadurch neugewonnene Zeit kann von nun an in die Familie und in den Lernalltag investiert werden.

Den Kreislauf durchbrechen – aber wie?

Doch wie setze ich die Entscheidung um, mich nicht mehr mit den eigenen Erwartungen und die der anderen zu erdrücken? Es hilft, sich visuell alle Erwartungen hinsichtlich der eigenen Familienrolle und des Studiums zu vergegenwärtigen und sich zu fragen, welche Auswirkungen das Nichterfüllen dieser Erwartungen auf das eigene Leben, die Familie und das Studium hätte.

Nehmen wir als Beispiel die Regelstudienzeit. Die Regelstudienzeit von zehn Semestern ist für viele studierende Mütter durch die mangelnde Zeit und nicht planbaren Umständen ein großer Stressfaktor. Es wird in der Bibliothek, in den Hörsälen und Fluren der Universität darüber gesprochen, in welcher Geschwindigkeit andere Studierende die Semester absolvieren, ihren Freischuss wahrnehmen und vor dem 25. Lebensjahr bereits ins Berufsleben einsteigen dürfen. Das löst großen Druck und damit verbundene Ängste aus, die regelmäßig zu Blockaden führen.

Doch welche Auswirkungen hätte es, sich genau diesem Zeitdruck zu entziehen. Die zehn Semester Regelstudienzeit sind bereits für Studierende, die keine Kinder haben, enorm knapp bemessen und herausfordernd. Es wäre doch absurd, wenn sodann studierende Mütter diese einhalten könnten, ohne große Opfer zu erbringen.

Darüber hinaus passt sich für studierende Eltern die Förderungsdauer des BAföG entsprechend an. Beachtet werden dabei Schwangerschaft und das Alter der Kinder. Hinsichtlich des Freischusses und der damit verbundenen Semesteranzahl bleiben Zeiten des Mutterschutzes und der Elternzeit unberücksichtigt.

Zudem ist das immer wieder thematisierte hohe Alter von Jurastudierenden an Universitäten für die reale Berufswelt kaum von Bedeutung, wenn die benötigten Kompetenzen vorzuweisen sind. Ganz im Gegenteil, in vielen juristischen Berufen ist die bis dahin gesammelte Lebenserfahrung von großer Bedeutung.

Selbstverständlich kommt an einem gewissen Punkt das Bedürfnis auf, „fertig“ werden zu wollen und dieses Gefühl ist auch von großer Wichtigkeit, um voranzukommen.  Sich jedoch den Zeitdruck im Jurastudium zu nehmen, bringt großen Frieden und Ruhe in das Studium und den Familienalltag. Ein besonderer und äußerst wichtiger Nebeneffekt ist dabei, dass die Reduzierung von Druck und Ängsten gleichzeitig Lernblockaden löst und die Lerneffektivität enorm steigert.

Die dadurch eintretende Entlastung führt zur Durchbrechung des „Karussells“ eines immer wieder auftretenden schlechten Gewissens. Auf diese Weise schaffst du dir einen freundlichen und toleranten Raum für Familie und Studium.

Nur wir studierenden Mütter können die Entscheidungen für uns treffen, das Jurastudium zumindest für uns toleranter, menschlicher und angemessener zu gestalten. Denn dieser Weg ist ein Marathon und passen wir die Anforderungen des Studiums nicht an unsere individuelle Lebenslage an, birgt es die große Gefahr, nicht ans Ziel zu gelangen.

-Werbung-
Neda Who
Neda Who
Bei "Neda Who" handelt es sich um den Künstlernamen der Autorin. Der vollständige Name ist der JURios-Redaktion bekannt.

Ähnliche Artikel

Social Media

6,795FollowerFolgen
2,166FollowerFolgen
Download on the App Store
Jetzt bei Google Play
-Werbung-spot_img
-Werbung-

Letzte Artikel