Das Staatsexamen: Der Killer der psychischen Gesundheit

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Am 05. Februar 2022 war es so weit: ich hatte einen kompletten Nervenzusammenbruch.

Das zweite Examen stand im Juni an und ich hatte pünktlich zu Neujahr damit begonnen, mich voll und ganz auf das Lernen zu konzentrieren. Sehr schnell wurde mir klar, dass fünf Jahre Studium und zwei Jahre Referendariat nicht reichten, damit man alles über Jura wusste. Meine Lücken wurden mir schmerzlich bewusst. Dazu kamen noch persönliche Probleme; Streit mit der einen Freundin, einer anderen Freundin versuchte ich durch eine Trennung zu helfen.

Ich hatte einen Nervenzusammenbruch

Ein falsches Wort genügte und es wurde mir alles zu viel. Ich fing an zu heulen. Ich wurde hysterisch. Ich hörte nicht mehr auf mich in einen Ausnahmszustand “reinzusteigern”.

Im Nachhinein weiß ich, dass ich völlig überfordert und überlastet war, sonst hätte mich eine kleine Diskussion nicht so aus der Bahn werfen können, doch in diesem Moment konnte ich das nicht sehen. In meinen Augen waren zunächst einmal die anderen Schuld, die mir noch mehr aufbürdeten. Also machte ich das einzige, was für mich in diesem Moment Sinn ergab: Ich löschte die Nummer der Freundin, mit der ich gerade Streit hatte. Weil ich schon dabei war, löschte ich auch sämtliche andere Kontakte aus meinem Handy. Ob es nun die Freundin war, die mir gerade “zu glücklich” in ihrer neuen Beziehung war, der Kumpel, der beruflich erfolgreich war oder jemand, der gerade Urlaubsbilder postete, war dabei ganz egal. Ich wollte nichts mehr davon sehen. Nachdem ich mein halbes Handy leer gefegt hatte und mir gerade überlegte, ob ich es nicht gleich aus dem Fenster schmeißen und mit dem Auto darüber fahren sollte, bekam ich Angst vor mir selbst.

Ohne jemandem Bescheid zu geben, legte ich es in die Ecke, setzte ich mich hinters Steuer und fuhr zu meinen Eltern. Man muss wohl nicht betonen, dass die nicht vor Begeisterung überschäumten, dass ich an einem sehr stürmischen Tag ohne Handy 90km auf der Autobahn unterwegs war. Auch Freundinnen und Freunde sind nicht völlig entflammt, wenn man für einen Monat einfach von der Bildfläche verschwindet und nicht erreichbar ist.

“Natürlich ging mein Leben weiter”

Natürlich ging mein Leben weiter. Ich machte lediglich mein Handy nicht mehr an und verzog mich zum Lernen in eine andere Bib. Kurz gesagt, niemand wusste, wo ich war, was ich machte oder wie es mir ging. Zumindest auf Mails reagierte ich nach ein paar Tagen und ich weiß, dass sich meine Freund:innen untereinander vernetzten und sich Entwarnung gaben. Ich lebte noch, so viel war bekannt.

Zuerst erzählte ich noch, dass ich mein Handy liegen lassen hatte. Danach, dass es kaputt gegangen sei. Als ich wieder auftauchte, wurde ich es leid und erzählte die Wahrheit: Ich hatte einen Nervenzusammenbruch. Ich habe es nicht mehr gepackt. Das Examen konnte ich nicht verschieben, also eliminierte ich alles andere: Spaß, soziale Kontakte, Sport und Freud:innen. In persona war ich nun anzutreffen, soziale Medien blieben weiterhin gelöscht.

Die Reaktionen waren so schön wie erschreckend. Nicht einer verdrehte die Augen. Stattdessen kamen noch ganz andere Geschichten heraus.

Den anderen erging es nicht besser

Eine Freundin heulte sich fast täglich in den Schlaf, weil sie die Anspannung des Tages nicht mehr packte. Ein Bekannter schläft regelmäßig am Schreibtisch ein, weil er im Bett hellwach ist und sich dann halt wieder hinsetzt, um keine Zeit zu verlieren.

Eine andere Freundin ging mittlerweile sogar zur Therapeutin und nahm Tabletten gegen ihre Panikattacken. Ihre Ärztin hat auch ein Examen hinter sich und weiß, wie das ist. Wenn man nicht bestehen sollte und eine Bescheinigung für den Drittversuch brauchte, sollte man sich bei ihr melden.

Ich bin ehrlich: Es geht einem ein bisschen besser, wenn man weiß, dass es noch weitere Möglichkeiten gibt, doch es ist unglaublich erschreckend, dass dies überhaupt nötig ist.

Es wäre gelogen zu sagen, ich hätte nicht selbst schon darüber nachgedacht, Ritalin zu nehmen. Ich habe es nie getan, doch die Versuchung wurde immer größer. Im Nachhinein weiß ich nicht mehr so ganz, was ich mir davon erwartete. Ich saß sowieso schon den ganzen Tag am Schreibtisch und machte nichts anderes mehr. Sport? Freunde? Fehlanzeige! Zu Familiengeburtstagen und Feiertagen ließ ich mich manchmal noch überreden, aber mehr war in meinen Augen nicht mehr drin.

Trotzdem würde ich niemanden verurteilen, der es tatsächlich nimmt. Wenn der Druck immer größer wird, weiß man irgendwann einfach nicht mehr, wie man mit manchen Sachen umgehen soll, wie man sich noch helfen soll.

Wir lagen alle schon heulend auf dem Küchenboden

Am Meisten im Gedächtnis geblieben ist mir aber folgender Satz auf meine Beichte: “Keine Sorge, wir lagen alle schon heulend auf dem Küchenboden.” Im ersten Moment hat es mich unheimlich beruhigt. Ich war keine Ausnahme, ich war nicht komisch, nicht nah am Wasser gebaut und auch nicht komplett unbelastbar. Es ging uns allen gleich.

Im Nachhinein ist es aber gerade das, was alles noch viel erschreckender macht. Ich bin kein Einzelfall. Ich kenne niemanden in meinem Freundeskreis, der nicht schon einmal ein examensbedingten Nervenzusammenbruch hatte. Selbst alle Anwalt:innen aus meinem Bekanntenkreis sagen, dass sie immer noch 1-2 Mal im Jahr aus einem Alptraum aufwachen, in dem es darum geht, dass sie morgen Examen schreiben müsste.

Das kann nicht sein! Wie kann ein System bestehen bleiben, das so viele Leute so nachhaltig negativ beeinflusst? Das so viele Leute zu Mitteln greifen lässt, die nicht normal sind? Das so vielen Leuten psychische Probleme bringt?

Das darf nicht sein! Vor allem, weil man mit relativ geringen Mitteln so viel verändern könnte. Wir sind der einzige Studiengang, bei dem ausnahmslos die Prüfungen am Ende des Studiums zählen. Warum müssen diese auch noch an aufeinanderfolgenden Tagen geschrieben werden? Offensichtlich geht es anders. Entzerrt das Examen, gebt uns freie Tage dazwischen. Lasst nicht den ganzen Druck auf eine Woche fallen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad können auch Semesterabschlussklausuren mit in die Examensnote rein zählen. Verringert den Prüfungsstoff.

Hört auf, Druck aufzubauen!

Hört auf, von Anfang an Druck auf die Studierenden aufzubauen. Sätze wie “ihr müsst nicht gut, nur besser als der Rest sein” sind weder nützlich, noch förderlich. Sie sorgen nur von Anfang an für eine Ellenbogenmentalität, die nicht sein muss. Gerade in den ersten Semestern sollte man das Studium noch genießen und nicht schon dort diesen Druck zu spüren bekommen. Er nimmt über die Zeit nicht mehr ab, sondern nur noch mehr zu.

Die Studierenden und Referendar:innen von heute sind die Volljurist:innen von morgen. Das sind die Leute, die der Pensionierungswelle und dem Nachwuchsmangel entgegenwirken sollen. Es sind die zukünftigen Arbeitskräfte, die nicht bereits vor dem Einstieg ins Arbeitsleben völlig fertig mit den Nerven sein sollten, die nicht bereits vorher den Spaß an Jura verloren haben sollten.

Keine Weiterempfehlung mit diesem System!

Obwohl es nichts mit dem Fach an sich zu tun hat, würde ich den Studiengang niemandem empfehlen. Nicht so! Nicht, solange sich an dem System nichts ändert. Nicht, solange nicht mehr Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen genommen wird.

Heute, über ein Jahr später, geht es mir wieder gut. Zwar habe ich in jeder Examensvorbereitung Freundschaften verloren, doch im Großen und Ganzen habe ich es besser überstanden als viele andere. Meine Social Media Kanäle sind immer noch ab und an aus, doch das ist dann eine bewusste Entscheidung.

Der Spaß an Jura kam bisher noch nicht zurück und das wird auch noch dauern, denn das letzte Jahr steckt mir immer noch in den Knochen. Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin. Trotzdem fängt jeder aus meinem Freundeskreis in juristischen Berufen an. Ein weiteres Studium oder eine Umorientierung will sich niemand antun. Wir wollen nach all den Strapazen endlich anfangen zu arbeiten. Der Stress soll nicht umsonst gewesen sein.


Die Autorin verwendet ein Pseudonym, weil sie auf Grund ihrer Schilderung berufliche Nachteile befürchtet. Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.

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