Am Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht der LMU München bietet Prof. Dr. Volker Rieble im kommenden Semester das Grundlagen- und Schwerpunktseminar „Liebschaften am Arbeitsplatz“ an. Auch wenn sich der Titel zunächst interessant liest, stießen die Formulierungen im Ankündigungstexte des Seminars bei den Studierenden und Interessenvertretungen auf Unmut.
Die Juristin Dr. Jana Schollmeier machte auf Twitter auf das Seminar aufmerksam und schrieb: „München hat angerufen und will das Frauenbild der 50er zurück.“ In den Kommentare stimmten ihre viele Jurastudierende und Praktiker:innen zu. Eine Nutzerin fragt, ob das Satire sei. Rechtsanwältin Alexandra Braun kommentiert „Was zur Hölle?“.
Praxisrelevantes Thema, ungeschickt formuliert?
Doch es ist nicht der Titel „Liebschaften am Arbeitsplatz“, der den (angehenden) Jurist:innen sauer aufstößt. Denn Beziehungen zwischen Arbeitskolleg:innen kommen regelmäßig vor. Manchmal entwickelt sich daraus eine Beziehung fürs Leben und die Kolleg:innen werden zu einer Hochzeit eingeladen. In vielen Situationen geht die „Liebschaft am Arbeitsplatz“ aber auch gehörig in die Hose. Im besten Fall trennt sich das Paar im Streit, im schlechtesten Fall hat die Sekretärin eine Affäre mit ihrem Chef und wird gekündigt, nachdem die Ehefrau von der „Liebschaft“ erfährt. Diese Fälle landen dann bei einer auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei. Und diese Fälle sind es auch, in denen es im Seminar vermutlich gehen wird.
Das ist grundsätzlich spannend und äußerst praxisrelevant. Doch bei der Frage, wie derartige Sachverhalte in der juristischen Ausbildung gelehrt werden, ist oft noch Luft nach oben. Denn häufig greifen die Professor:innen und Lehrenden auf Geschlechterklischees und Stereotype zurück. Das Projekt „Üble Nachlese“ des Deutschen Juristinnenbundes macht explizit auf derartige Sachverhalte in der Lehre aufmerksam und versucht, ein Bewusstsein hierfür zu schaffen. Als Negativbeispiel hat der DJB deswegen auch die Seminarankündigung „Liebschaften am Arbeitsplatz“ auf ihrem Instagram-Kanal vorgestellt. Im Ankündigungstext des Seminars heißt es nämlich:
„Liebschaften am Arbeitsplatz sind gang und gäbe. Das Arbeitsleben ist auch Kontaktbörse. Generelle Beziehungsverbote im Unternehmen lässt das deutsche Recht nicht zu (anders in den USA).“ So weit, so gut. Aber jetzt wird es problematisch: „Gleichwohl bleiben harte Rechtsprobleme: Darf frau [sic!] sich „hochschlafen” [sic!], also eine Einstellung oder Beförderung mit Sex erkaufen? Was ist »Machtmißbrauch« [sic!] rechtlich (Fall Reichelt, jedenfalls in der Skandalisierungs-Wahrnehmung)?“
Frauenfeindliche Formulierung wird kritisiert
Dass das Substantiv „frau“ in der Seminarankündigung klein geschrieben wird, steht symbolisch für die Wertschätzung, die Frauen in diesem Text entgegengebracht wird. Und auch die darauffolgende Frage ist skandalös. Denn das Frauen im Beruf noch immer diskriminiert werden, ist unumstritten. Ebenfalls die Tatsache, dass Frauen am Arbeitsplatz sexuellen Belästigungen ausgesetzt sind. Die „Skandale“ in den letzten Jahren haben vor allem gezeigt, dass männliche Vorgesetzte ihre Macht gegenüber ihren weiblichen Angestellten gezielt missbrauchen. Dieses von Männern ab und zu als Rechtfertigung angeführte “Hochschlafen” scheint also doch nicht so gut zu funktionieren. Dass der Machtmissbrauch hier im Text in Anführungszeichen gesetzt wird, ist ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen, die bereits Gewalterfahrungen im Beruf machen mussten – und ihren Job deswegen eventuell sogar verloren haben.
„Nicht nachgedacht und unglücklich formuliert?“, fragt der Juristinnenbund? Doch so einfach ist es nicht. Denn die Fachschaftsinitiative München hat sich bereits an die Fakultätsleitung und die Frauenbeauftragte der LMU München, Prof. Kaufhold, gewandt. In einer gemeinsamen Mail wurde Prof. Rieble aufgefordert, den Ankündigungstext zu entschärfen und auf eine frauenfeindliche Wortwahl zu verzichten. Jedoch ohne Erfolg. Der Juristinnenbund kommt deswegen zu dem Ergebnis: „Aber nein, das ist hier genauso frauenfeindlich gemeint, wie es in der Ankündigung steht.“
“Fürsorglich für aufgeregte Hühner”
Gegen die Annahme einer lediglich unglücklichen Formulierung sprechen laut Juristinnenbudn auch noch weitere Veröffentlichungen von Prof. Rieble. So heißt es sogar in seinem Wikipedia-Eintrag: „In der Öffentlichkeit erstmals bekannt wurde er durch seinen polemischen Aufsatz in der NJW zum Fall Emmely 2009, der durch seine personenbezogene Wortwahl (‘Frau Emme ist eine notorische Lügnerin’, ‘ihr fragwürdiger Rechtsanwalt’) auffiel.“ (NJW, 2009, 2101). Ein anderer Aufsatz trägt den Titel „Giftige Betriebsrätin“ (BB 2011, 697). Darin zitiert er unter anderem explizit das „übliche Getratsche von Frauen am Arbeitsplatz” und nennt die Arbeitnehmerin „rachsüchtige Haupttäterin“.
Felicitas Felder und Tim Bühring vom Fachschaftsrat weisen außerdem auf einen Text des Professors zum Gendern hin, in dem er Studentinnen als “aufgeregte Hühner” bezeichnet. Und weiter: “Es gibt auch ein generisches Femininum, bei dem die weibliche Form auch männliche Wesen bezeichnet. Das ist im Tierreich etwa bei vielen Vögeln der Fall. Auch der Ganter ist eine Gans, womöglich eine dumme. Und deshalb kann im Volkslied von der Vogelhochzeit „die Drossel“ auch „der Bräutigam“ sein. Magnifizenz als Ehrentitel des Rektors einer Universität ist gleichfalls grammatikalisch weiblich, ebenso die Spektabilität (Dekan, anders das männliche lateinische Spectabilis).”
Auch die Fachschaftsinitiative München schreibt deswegen in einem Statement: „Wir möchten uns als Studierendenvertretung deutlichst gegen solche diskriminierenden und frauenverachtenden Formulierungen positionieren.“ Und weiter: “Wir stellen uns gegen diesen Professor, wir wünschen uns, dass diese Art des höchst fragwürdigen ‘wissenschaftlichen Arbeitens’ nicht geduldet wird und dass sich vonseiten der Fakultät dagegen eingesetzt wird. Als Vertretung der Studierendenschaft möchten wir deutlichst äußern, dass wir solch frauenfeindliche und diskriminierende Äußerungen und Formulierungen für höchst verwerflich halten.”
Update 06. Juni 2023
Inzwischen haben sich das Professorium und Lehrende des Mittelbaus der Juristischen Fakultät der LMU in einer Stellungnahme von der Seminarankündigung distanziert. Im Schreiben heißt es: “Wir verstehen unsere Fakultät als einen kollegialen Raum, in dem sich alle Lehrenden und Studierenden mit gegenseitiger Wertschätzung begegnen und in dem insbesondere Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Das ist die Basis für erfolgreiches Lernen, Lehren und Forschen.”
Die Formulierung des Ankündigungstextes lege nahe, allein Frauen versuchten sich aus eigenem Antrieb über sexuelle Beziehungen Vorteile zu verschaffen. Die gewählte beispielhafte Erläuterung des Themas „Machtmissbrauch“ greife eine
aktuelle Diskussion in tendenziöser, einseitiger und verzerrender Weise auf, die Stereotype reproduziere.