Münster locuta, E-Examen finita.

„Ab Januar 2024 – E‑Examen jetzt auch in NRW.“ So begrüßte ein bekanntes Nachrichtenportal die nordrhein-westfälische JAG‑Reform, die am 17. Februar 2022 in Kraft trat. Schon damals fragte sich: E‑Examen für wen? Nur für Rechtsreferendar:innen, die nach Inkrafttreten der Reform eingestellt wurden? Oder auch für solche, die vorher eingestellt wurden, aber ab Januar 2024 zum Beispiel ihren Wiederholungsversuch schreiben?

E-Examen für alle?!

So fernliegend, „dass seitens der Prüfungsämter die Frage der Differenzierung nicht einmal diskutiert wird.“ Das war die schlichte Antwort des nordrhein-westfälischen Justizministeriums. Komme das E-Examen, komme es für alle. Kein Grund zur Sorge! Entsprechende Rechtsgrundlagen fänden sich für neue Rechtsreferendar:innen in § 51 Abs. 1 S. 2, S. 3 JAG NRW n.F. und für alte eben irgendwo im JAG NRW a.F. Wo genau? Das blieb offen.

Wenig überraschend kann der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen dem nicht folgen (Beschl. v. 16.05.2023, Az. 19/23.VB‑1, 20/23.VB‑1). Im JAG NRW a.F. existiere keine Rechtsgrundlage für ein E‑Examen. Alte Rechtsreferendar:innen, die in zahlreichen Kollisionsfällen zum selben Zeitpunkt denselben Klausursachverhalt zu bearbeiten hätten wie ihre später eingestellten Kolleg:innen, unterlägen also anderen Prüfungsbedingungen als jene. Aber: Eine Verletzung von Gleichheitsrechten erscheine auf dieser Grundlage noch nicht einmal möglich.

Wie vergleichbar ist schon vergleichbar?

Denn auf 53 Seiten bleibe offen, inwieweit alte und neue Rechtsreferendar:innen überhaupt „in den maßgeblichen Aspekten vergleichbar“ seien. Eine Verfassungsbeschwerde gegen gleichheitswidrige Prüfungsbedingungen, die keinen substantiierten Vergleich „der jeweils insgesamt für [beide Prüfungsgruppen] geltenden Prüfungsvoraussetzungen und Bewertungsmaßstäbe“ anstelle, sei schon unzulässig.

Schließlich habe die JAG‑Reform nicht nur das E‑Examen eingeführt, sondern auch viele andere Regelungen des Ausbildungsrechts angepasst. Zum Beispiel die Prüfungsgegenstände. Solche Änderungen könnten der Vergleichbarkeit der alten mit den neuen Rechtsreferendar:innen „in den maßgeblichen Aspekten“ entgegenstehen. Sie seien entsprechend zu würdigen.

Dass es nun ausgerechnet die Änderung der Prüfungsgegenstände ist, die das Landesjustizprüfungsamt zu Recht nicht daran hindert, beiden Prüfungsgruppen zum selben Zeitpunkt ausdrücklich dieselbe Prüfungsaufgabe stellen zu wollen, lässt deren Vergleichbarkeit nicht einmal möglich erscheinen. Man ist geneigt zu fragen: Was denn dann?

Offenbar nicht, dass die einzusetzende Schreibsoftware laut Leistungsbeschreibung ab April 2023 zu Übungszwecken für alle hätte bereitstehen sollen und auch die alten Rechtsreferendar:innen an den Landgerichten schon seit Längerem ihre Übungsklausuren elektronisch anfertigen.

Substantiierung um der Substantiierung willen?

„[I]n den maßgeblichen Aspekten vergleichbar“ – das kann nur heißen: In Bezug auf den konkreten Regelungsgegenstand vergleichbar. Also: In Bezug auf das neu geschaffene Wahlrecht vergleichbar, sich anstelle einer handschriftlichen Anfertigung der Aufsichtsarbeiten – freiwillig – für eine elektronische zu entscheiden.

Im Zivilprozess ist die Darlegungslast bezüglich negativer Tatsachen eingeschränkt. Vergleichbares kennt Münster wohl nicht. Man knöpfe sich daher Ziffer für Ziffer der JAG‑Reform vor und prüfe: Steht dieser Reformgegenstand der Vergleichbarkeit der Prüfungsgruppen in Bezug auf ein Wahlrecht, die identische Examensklausur zum identischen Zeitpunkt freiwillig elektronisch anzufertigen, entgegen? Das Ergebnis wäre stets dasselbe: Diese Änderung hat mit einem derartigen Wahlrecht nichts zu tun.

Man kann Argumente aus der Luft greifen, um sie wieder zu verwerfen. Ob die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde davon abhängen kann, ist eine andere Frage.

Es ist, wie es ist.

Betroffene Rechtsreferendar:innen wissen nun, auf welchen Prüfungsmodus sie sich vorzubereiten haben und auf welchen nicht. Die Erkenntnis ernüchtert. Und den Weg zu ihr säumen Extrempositionen. Die eine, die legislative Ungleichbehandlungen dadurch beheben will, sich über geltendes Prüfungsrecht hinwegzusetzen, statt im Landtag dessen Korrektur einzubringen. Die andere, die benachteiligten Rechtsreferendar:innen eine aussichtslose Analyse der JAG‑Reform „insgesamt“ auf „maßgebliche“ Ausschlüsse ihrer Vergleichbarkeit mit bevorzugten abverlangt, bevor sie einen Gleichheitsverstoß für möglich hält, der den meisten offensichtlich erscheint. Einschließlich des Justizministeriums.

Immerhin erkennt auch der Verfassungsgerichtshof an, dass der Reformgesetzgeber nicht befugt gewesen wäre, „Prüflinge durch differenzierende Bestimmungen bis an die Grenze evidenter Unsachlichkeit verschieden zu behandeln“, sondern dazu angehalten, „die Chancengleichheit der Prüflinge so weit wie irgend möglich sicherzustellen und dann, wenn bei Übergangsregelungen eine Verschiedenbehandlung unvermeidbar wird, jedenfalls übermäßige Benachteiligungen zu vermeiden.“

Man wünscht dem juristischen Nachwuchs, dass sich dieser Auftrag bei bei der nächsten JAG-Reform durchsetzt.

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Ludwig Wegmann
Ludwig Wegmannhttp://miscellaneius.de.
Studium in Hamburg, Referendariat in Wuppertal und Duisburg, juristischer Blog unter http://miscellaneius.de.

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