Die Sozialwissenschaftlerin Julia Habermann hat in ihrer Doktorarbeit tödliche Gewalt zu Lasten von Frauen in Partnerschaften untersucht. Ihr Ergebnis: Die Gerichte lassen dann besondere Milde walten, wenn Männer ihre eigenen Partnerinnen umbringen. Ein erschreckendes Ergebnis.
Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren (ehemaligen) Partner getötet. Femizide sind in Deutschland also erschreckende Normalität. Der Begriff “Femizid” bezeichnet dabei Tötungsdelikte an Frauen, die getötet werden, weil sie Frauen sind. Häufigster Fall des Femizids ist dabei die Partnerinnentötung (durch den männlichen Partner).
Die Sozialwissenschaftlerin Julia Habermann arbeitet am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum und hat sich genau damit beschäftigt. In ihrer Doktorarbeit mit dem Titel “Die Sanktionierung von Partnerinnentötungen – Eine vergleichende Urteilsanalyse zu Partnerinnentötungen als Form des Femizids“ untersucht sie Tötungsdelikte in Paarbeziehungen und hat sich insbesondere angesehen, wie hoch die jeweiligen Strafen ausgefallen sind.
472 Verurteilungen untersucht
Ihr Ausgangspunkt war ihre eigene Ausgangsbeobachtung aus der Presse. Täter, die ihre (ehemaligen) Partnerinnen töteten, wurden milder bestraft als andere Täter, so die Einschätzung der Sozialwissenschaftlerin. In offizielle Statistiken, wie der Polizeilichen Kriminalstatistik oder der Strafverfolgungsstatistik, wird diese Frage jedoch nicht untersucht. Habermann machte sich deswegen selbst ans Werk und untersuchte in ihrer Dissertation 472 Verurteilte aus den Jahren 2015-2017. Von 472 verurteilten Männern brachten 154 ihre (ehemalige) Partnerin und 318 eine andere nahestehende Person um, zum Beispiel ihre Mutter oder einen Freund. Dass der Wissenschaftlerin eine so große Anzahl an Urteilen zur Verfügung stehen, ist für sich genommen bereits erschreckend.
Ihre erste Erkenntnis nach der Auswertung. In weniger als der Hälfte der Fälle von Partnerinnentötungen wurde auf eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes erkannt. Diese Zahl setzte Habermann auch in Vergleich zu Tötungsdelikten an anderen Personen. Außerdem wurden Aspekte der Partnerinnentötung – zum Beispiel vorausgehende häusliche Gewalt – oft strafmildernd berücksichtigt.
Urteil lautet häufiger auf Totschlag als auf Mord
Obwohl bei vielen Tötungsdelikten an (ehemaligen) Partnerinnen die Frauen vor der Tat sogar bedroht wurden, werteten die Gerichte diesen Aspekt nicht zu Lasten der Täter. Vielmehr wurde in den Urteilen viel Wert darauf gelegt, zu analysieren, ob das weibliche Opfer ein moralisch einwandfreies Leben geführt habe. Ließen die Frauen den Kontakt zum späteren Täter zu oder „machten ihm Hoffnung“, so werteten die Richter:innen dies strafmildernd. Dabei ist es hinlänglich bekannt, dass es viele Aspekte gibt, die Frauen dazu zwingen, den Kontakt zum Täter zu halten oder sogar weiter mit ihm zusammenzuleben. Beispielsweise gemeinsame Kinder oder eine finanzielle Abhängigkeit.
Ein Beziehungsfemizid kann nach ständiger Rechtsprechung in Deutschland nur dann als Mord aus sonstigen niedrigen Beweggründen verurteilt werden, wenn die Tat als Ausdruck eines Macht- und Besitzanspruchs verstanden wird (Merksatz: “Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie niemand haben”). Die Hürden für dieses Mordmerkmal sind jedoch hoch.
Ein Problem sieht Habermann in der Ausbildung angehender Jurist:innen. „Es sollte schon Bestandteil des Jurastudiums sein, seine eigene Haltung und mögliche Voreinstellungen zu hinterfragen“, sagt sie im Interview mit der RUB. Trotzdem spielen psychologische Aspekte im Jurastudium und Referendariat keinerlei Rolle. Jede Person, die eine gute Note hat, kann später Strafrichter:in werden. Ohne Nachweis weiterer Qualifikationen oder einer Zusatzausbildung beispielsweise im Bereich Aussagepsychologie. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Richter:innen nicht einmal wissen, was die Istanbul-Konvention ist und das diese von Deutschland ratifiziert Konvention vorschreibt, dass häusliche Gewalt gegen Frauen schärfer bestraft werden soll.
Patriarchale Juristenausbildung
„Die Aus- und Weiterbildung von Jurist:innen im Themenfeld geschlechtsbezogene Gewalt hat weit über Femizide hinaus Bedeutung für viele andere Formen der Gewalt – zum Beispiel, wenn Körperverletzungsdelikte und Stalking verhandelt werden. Und nicht nur im Strafrecht, sondern auch in familienrechtlichen Verfahren oder Verfahren zu Gewaltschutzanordnungen ist dieses Wissen über geschlechtsbezogene Gewalt notwendig“, so Habermann im Interview mit der Körber Stiftung.
Habermann ist sich aber auch sicher, dass „Gesetzesänderungen allein […] die bestehenden Probleme bei der Sanktionierung von Beziehungsfemiziden“ nicht lösen können. Allerdings könne eine Reform des § 46 StGB und die Aufnahme des „Femizids“ als strafschäfendes Merkmal zumindest teilweise Abhilfe schaffen.
Für ihre Arbeit hat Julia Habermann den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Studienpreis 2023 in der Sektion Sozialwissenschaften der Körber Stiftung erhalten.