Interview: Frag die… Richterin am Landgericht

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Ri.inLG Juliane Schrader studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster und legte ihr zweites Staatsexamen vor dem GPA in Hamburg ab. Sie erwarb außerdem einen Magister Artium in neuerer und neuester Geschichte, Wirtschaftspolitik und öffentlichem Recht. Nach einem kurzen Ausflug in die Anwaltschaft ist sie seit 2013 Richterin an einem nordrhein-westfälischen Landgericht und war von 2015 bis 2023 Prüferin in der Staatlichen Pflichtfachprüfung. Eine Abordnung führte sie zwischen 2019 und 2022 an das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen.

Seit 2023 bietet sie mit dem Projekt „Fine.Jura“ Lernstrategien, Tipps für die Examensvorbereitung und Denkanstöße für Studierende der Rechtswissenschaften und Referendar:innen. Unter anderem zur Vermittlung dieser Themen wurde ihr für das Sommersemester 2024 ein Lehrauftrag durch die juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf erteilt.

Berufsspecial

Sehr geehrte Frau Ri.inLG Schrader, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Wissenswertes über sich und Ihren Beruf als Richterin am Landgericht mit unseren JURios-Leser:innen zu teilen! Wollten Sie eigentlich schon immer Richterin werden? Und warum gerade am Landgericht?

Schrader: Tatsächlich habe ich erst nach und nach zu meinem jetzigen Beruf gefunden. Retrospektiv bin ich sehr glücklich darüber, dass ich mir nicht zu Beginn des Studiums ein allzu fixes Ziel gesetzt habe und meine Eltern mich stets darin unterstützt haben, außerhalb fester Lebenspläne zu denken. Ich wollte ursprünglich Journalistin werden und habe deshalb ein geisteswissenschaftliches Magisterstudium begonnen. Durch mein juristisches Nebenfach entstand das Interesse an meinem späteren Studienfach Jura. Bis zum Beginn des Referendariats war ich mir noch recht unsicher, wohin mich diese Kombi aus meinen zwei Abschlüssen führen würde. Nach dem Zweiten Staatsexamen habe ich zunächst als Rechtsanwältin in einer IP-Boutique – meiner Ausbildungskanzlei während des Referendariats – gearbeitet.

Warum ich dann Richterin geworden bin? Mir gefällt die Arbeit am Gesetz und ich finde es sehr sinnstiftend, Probleme und Konflikte aktiv einer Lösung zuzuführen und dabei unabhängig und frei Entscheidungen treffen zu können. Aufgrund der Vielfalt der praktischen und fachlichen Betätigungsfelder zweifle ich daran, dass dieser Beruf mir je langweilig werden wird. Ich lerne einerseits viel über die Lebensrealitäten anderer Menschen, was ich als sehr wertvoll empfinde. Außerdem lerne ich stets etwas über mich selbst, denn die Verantwortung und die notwendige Entscheidungskraft verlangen auch mentale Stärke, Kritikfähigkeit und Demut. Die – durch die Digitalisierung noch ausgeweitete – Flexibilität in meiner Arbeitsorganisation schätze ich ebenfalls sehr.

Für das Landgericht habe ich mich im Laufe meiner Proberichterzeit entschieden, fand aber auch meine Zeit am Amtsgericht sehr spannend. Letztlich arbeite ich mich gerne vertieft in Probleme ein und habe für diese „Tüftelarbeit“ bei der Tätigkeit am Landgericht mehr Gelegenheiten gesehen. Dennoch ziehe ich da nicht so eine trennscharfe Linie zwischen den beiden Tätigkeitsbereichen.

Sie spielen eine Runde Tabu und müssen als Erklärerin Ihren Mitspieler:innen den Begriff „Richterin“ umschreiben. Welche fünf Tabu-Begriffe, die dabei nicht genannt werden dürfen, stehen auf Ihrer Karte, um Ihren Suchbegriff nicht direkt zu entlarven?

Schrader: Oh, da bräuchte man wahrscheinlich mehr als fünf. Ich versuche es mal. Unter Berücksichtigung dessen, was in der Gesellschaft so mit unserem Beruf assoziiert wird, würde ich ausschließen: Robe, Urteil, Salesch, Verhandlungssaal und Hammer.

Nehmen Sie uns an die Hand und führen Sie uns durch einen typischen Arbeitstag als Richterin am Landgericht. Was unterscheidet Ihren Beruf von der Anwaltschaft?

Schrader: Mein Arbeitsalltag ist nicht an jedem Tag gleich. Stehen Verhandlungen an, verbringe ich den Tag hauptsächlich im Gerichtssaal. Man vernimmt z. B. Zeuginnen oder Zeugen, hört sich Sachverständige an oder – insbesondere im Zivilrecht – erörtert die Sachlage mit den Beteiligten. Die anderen Tage sind eher von der Arbeit am Schreibtisch geprägt: Vorbereitungen von Verhandlungen, das Absetzen von Urteilen und zahlreiche Zwischenentscheidungen oder auch Beratungen in der Kammer stehen dann an. Viele dieser Aufgaben erledige ich in freier zeitlicher Einteilung und kann deshalb auch – in Absprache mit meinen Kolleg:innen – recht flexibel von zu Hause aus arbeiten.

Ein wesentlicher Unterschied zur Rolle eines Anwalts ist die neutrale Position, die Richter:innen gegenüber der zu verhandelnden und entscheidenden Sache einnehmen. Aus meiner persönlichen Sicht ist das auch ein tragendes Argument für meine Berufswahl gewesen. Es fällt mir nicht schwer, mich argumentativ auf eine Seite zu stellen, das lernt man in der juristischen Ausbildung ja ganz gut. Aber ich war sehr schnell unzufrieden, wenn ich als Anwältin weniger aussichtsreiche Fälle bearbeitet habe und empfand diese Zuschreibung einer festen Position als frustrierend. Für viele Anwälte macht genau das den Reiz aus. Mir gefällt es hingegen besser, unabhängig entscheiden zu können, wo die rechtliche Lösung liegt. Die Herausforderung liegt für mich eher darin, die Grundlage hierfür zu erarbeiten und den objektiven Sachverhalt so weit wie möglich „freizulegen“.

Apropos „typischer Tag“: Was sind typische juristische Probleme, die Ihnen tagtäglich in Ihrer Arbeit begegnen – was war im Gegenteil dazu der kurioseste Fall, der Ihnen im Berufsleben widerfahren ist?

Schrader: An Verhandlungstagen sind es eher organisatorische Probleme, vor allem die Frage, ob alle Beteiligten anwesend sind. Gerade im Strafprozess ist das von besonderer Bedeutung. Da kann es schon mal hektisch werden, wenn man zum Beispiel einen Schöffen vermisst. Außerdem können in der Verhandlung Probleme auftauchen, wenn verschiedene Beteiligte in der Vorbereitung von unterschiedlichen Sachverhalten ausgegangen sind. Solche Diskussionen können Probleme aber auch vereinfachen oder in ein anderes Licht rücken – und insbesondere im Zivilverfahren auch einer Einigung näherbringen. Generell sind Tage, an denen ich Fälle vor- oder nachbereite, weniger von praktischen und eher von rechtlichen Problemen geprägt. Aber das gehört ja zu meiner Kernaufgabe, diese zu lösen.

Die Fälle, die zu Gericht kommen, bringen schon einiges an Kuriositäten in meinen Alltag, aber dazu gibt es viele Erzählungen von Kolleg:innen. Ein Erlebnis, das eher die Berufspraxis betrifft, kam mir kürzlich in Erinnerung und liegt viele Jahre zurück: In einer Strafverhandlung am Amtsgericht saßen sich eine Verteidigerin und eine Nebenklägervertreter gegenüber. Die gesamte Verhandlung über haben beide sich keine Ruhe gelassen und ständig an den prozessualen Verhaltensweisen, Fragen etc. des jeweils anderen herumkritisiert. Für mich war das eine recht anstrengende Verhandlung und in der langen Beweisaufnahme bin ich davon ausgegangen, dass sicher auch die beiden „Streithähne“ eine Pause voneinander bräuchten. Beide standen auf, lachten sich an, gingen gemeinsam Richtung Kantine und wirkten wie die besten Freunde. „Er war mal mein Referendar“ sagte die Verteidigerin lachend zu mir, klopfte ihm auf die Schulter und off they went. Das zeigte so anschaulich: Manchmal ist der Gerichtssaal auch eine Art Bühne.

Jetzt haben Sie uns schon sehr von Ihrem Beruf überzeugen können. Was muss man tun, um Richterin am Landgericht zu werden und welche Voraussetzungen sollte man dabei mitbringen? Unter welchem Umständen würden Sie dazu raten, von dieser Berufswahl abzusehen?

Schrader: In Nordrhein-Westfalen muss man neben den fachlichen Voraussetzungen im Rahmen eines Assessment-Centers überzeugen. Ich vermag nicht zusammenzufassen, wie hier von Seiten der Justizverwaltung bei der Auswahl gewichtet wird. Aus meiner persönlichen Sicht habe ich für mich festgestellt, dass mir bei der Erfüllung meiner Aufgaben vor allem Entscheidungskraft, Besonnenheit und Sicherheit im Umgang mit juristischer Methodik sehr geholfen haben. Letztere wächst mit der Erfahrung, denn wir arbeiten ja schließlich tagtäglich mit dem Gesetz. Diese Voraussetzungen klingen eventuell vage, denn die Bewertung von Eigenschaften ist ja sehr individuell und schwer zu pauschalisieren. Folglich scheue ich mich davor, konkrete Gegenbeispiele zu nennen. Ich kann nur raten, sich in der Zeit der Gerichts- und ggf. auch Wahlstation im Referendariat die Zeit zu nehmen, viele „echte“ Einblicke in den Beruf zu erhalten und den:die Einzelausbilder:in auch aktiv zum Arbeitsalltag zu befragen. Hier kann man am ehesten erkennen, ob man Gefallen an dieser Art der Tätigkeit hat. Und das ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Voraussetzungen.

Sie informieren Studierende und Referendar:innen mit Ihrem Projekt Fine.Jura über „gutes Lernen“ außerdem werden Sie künftig als Dozentin in diesem Bereich tätig sein. Welche Tipps haben Sie für die Vorbereitung auf das Examen?

Schrader: Es ist unglaublich schwierig, in der Kürze die besten Tipps zusammenzufassen, deshalb möchte ich vorab darauf hinweisen, dass es ganz tolle, kostenfreie Unterstützungsangebote seitens der Universitäten gibt, die häufig – etwa über Social Media – viel zu wenig wahrgenommen werden. Auch diesbezüglich mehr Sichtbarkeit zu schaffen, ist Ziel meines Projekts. Auf www.finejura.de habe ich zwei (wachsende) Linklisten zum Download bereitgestellt, die universitäre Angebote zum effizienten Lernen und zur Unterstützung der mentalen Stärke im Studium gesammelt darstellen.

Dennoch will ich versuchen, meine drei Top-Tipps, die ich aufgrund meiner Erfahrungen als Ausbilderin und Prüferin weitergeben kann, kurz und knapp zusammenzufassen. Die wichtigste Message ist nicht neu, gilt aber für die jetzige Generation von Studierenden mehr denn je: Lasst Euch nicht verrückt machen und versucht, Euch so wenig wie möglich zu vergleichen! Instagram und Co. können sinnvolle Tipps bieten, aber auch destruktive Fehlinformationen und verzerrte Bilder der Studienrealität vermitteln. Das Examen ist machbar. Das Hauptwerkzeug hierfür sind die Basics, die Ihr von Anfang an lernt. Man fällt nicht durch, weil man eine einzelne Entscheidung des BGH zu einer rechtlichen Detailfrage nicht kannte.

Der zweite Tipp ist auch nicht neu, aber wird zu wenig berücksichtigt: Bemüht Euch um eine positive Fehlerkultur und analysiert Eure Probeklausuren – mit denen man bestenfalls schon sehr früh beginnt, denn hier zählt in der Vorbereitung das Schreiben und nicht das Bestehen. So lernt Ihr mit und nicht gegen Eure Fehler.

Und drittens: Widersetzt Euch dem Mythos der Konkurrenz und kooperiert. Sucht Euch eine Lerngruppe, die eine positive Fehlerkultur umsetzen will und sprecht dort nicht einfach nur Lösungsskizzen durch, sondern verteilt Themenreferate. Das sind die Aufhänger, um Euch gegenseitig das zu erklären, was Eure Synapsen richtig zum Glühen bringt und zwar bis es alle verstanden haben – auch den gutgläubigen Zweiterwerb der Hypothek und den Bonifatius-Fall. Gemeinsam schafft Ihr das. Dafür dürfen die Leistungsniveaus ruhig unterschiedlich sein, denn auch der Erklärende lernt bei diesem Konzept wahnsinnig viel. Wer sich für mehr Tipps interessiert, kann gerne mal meinen Blog auf www.finejura.de besuchen oder auf Instagram bei @jura_guide vorbeischauen. Speziell für die Studierenden in Düsseldorf wird es zu diesen Themen ein besonderes Lehrangebot im kommenden Sommersemester geben und ich freue mich sehr, dies als Lehrbeauftragte umsetzen zu dürfen.

Zu guter Letzt: Versetzen Sie sich in Ihr Erstsemester-Ich zurück. Was würde es heute von Ihrem Werdegang halten und umgekehrt: was würden Sie Ihrem Erstsemester-Ich raten?

Schrader: Hier muss man berücksichtigen, dass ich im ersten Semester ja noch nicht Jura studiert habe. Mein Erstsemester-Ich wäre also sicher überrascht, dass ich gerade nicht auf Ihrem Platz sitze und das Interview führe und würde einen verwirrten Blick auf die Immatrikulationsbescheinigung werfen. Was ich mir mit Blick auf das Jurastudium raten würde, ist daher schwierig zu beantworten. Allgemein habe ich die Anfangszeit wirklich zur Orientierung genutzt, Freunde gefunden und mich eingelebt. Am Ende des ersten Semesters habe ich mich von meinem Nebenfach Germanistik verabschiedet und es gegen Öffentliches Recht eingetauscht. Da könnte man meinen, ich würde meinem Erstsemester-Ich jetzt raten, das von Anfang an so zu machen oder direkt Jura „voll“ zu studieren. Nein, täte ich nicht. Zum Studienbeginn lernt man so viel über sich und trifft so viele Entscheidungen für die Zukunft. Es ist gerade richtig und wichtig, in dieser Zeit zu erkennen, dass man nicht alles perfekt vorher festlegen und abarbeiten muss im Leben.

Vorwärtsgehen besteht manchmal auch aus Schritten zurück und zur Seite. Deshalb möchte ich allen Erstsemstern raten, setzt Euch im ersten Semester nicht so sehr unter Druck und kommt erst einmal an in der Uni-Welt. Es ist sinnvoll, jetzt ein bisschen die persönliche Entwicklung in den Fokus zu nehmen – der Wechsel von Schule zu Uni ist ein großer Sprung. Das heißt nicht faulenzen und Klausuren sausen lassen. Aber eine vorab fest eingeplante Lernphase vor den Klausuren, in der man den Stoff der Vorlesung wiederholt, reicht meiner Meinung nach aus. Fangt nicht ab Tag 1 an, Euch stundenlang in die Bib zu setzen, auch wenn vermeintlich „alle“ das machen. Ich versichere Euch, das machen nicht alle so. Traut Euch, Euren Weg zu gehen und hinterfragt verunsichernde Legenden, die Euch manche Kommilton:innen weismachen wollen. Häufig wird das alles heißer gekocht, als gegessen. Ich setze mich sehr dafür ein, dass man diesen Juramythen mit Verstand begegnet.

Sehr geehrte Frau Ri.inLG Schrader, vielen Dank für Ihre spannenden Einblicke!

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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