Während ihres Jurastudiums müssen angehende Jurist:innen mindestens drei Pflichtpraktika über eine Dauer von jeweils vier Wochen absolvieren. Wo diese Praktika abzuleisten sind, ist den Jurastudierenden in den meisten Bundesländern freigestellt. In einigen Bundesländern existieren strengere Vorgaben – sodass bspw. ein Gerichtspraktikum oder ein Praktikum in der Verwaltung Pflicht ist. Ich interessiere mich schon immer für Politik und habe mich deswegen für ein Praktikum bei einer politischen Partei bzw. bei einer Landtagsfraktion entschieden. In meinem Fall bei Bündnis90/DIE GRÜNEN am Landtag von Kiel.
Ein Praktikum in der Politik
Für politikinteressierte Jurastudierende liegt ein Praktikum in der Politik natürlich nahe. Die gute Nachricht: Die Auswahl ist riesig! Man kann entweder direkt beim Bundestag bzw. allen 16 Landesparlamenten anfragen oder ein Praktikum bei einer der Fraktionen bzw. bei einem:r speziellen Abgeordneten machen. Die schlechte Nachricht: Die Plätze (vor allem im Bundestag und bei bekannten Politiker:innen wie z.B. Bundesminister:innen) sind beschränkt. Wenn es nicht zwingend der Bundestag oder ein Landesparlament sein muss, sind Praktika auch bei Ministerien oder der Kommunalverwaltung möglich. Dann begibt man sich inhaltlich aber weg von der aktuellen Tagespolitik und hin zur klassischen Verwaltung. Sollte auch das nicht klappen, kann man immer noch bei Interessenverbänden oder NGOs wie z.B. Amnesty International unterkommen. Auch hier beschäftigt man sich mit Politik. Allerdings aus einem anderen Blickwinkel und aus Sicht eines:r Interessenvertreter:in.
Voraussetzung für ein Praktikum in der Politik ist ein gesundes Interesse am aktuellen Tagesgeschehen und an politischen Entwicklungen im Allgemeinen. Außerdem solltest du dich mit der politischen Strömung deines:r Ausbilder:in zumindest identifizieren können. Wer zu den Grünen geht, sollte Klimaschutzmaßnahmen nicht rundheraus ablehnen. Wer sich bei einem:r Abgeordneten des Finanzausschusses bewirbt, sollte kein Problem mit Zahlen haben usw. Entgegen anderweitiger Behauptungen musst du allerdings nicht Mitglied einer bestimmten Partei sein. Ich habe mich erfolgreich bei den Grünen beworben, ohne der Partei anzugehören.
Bewerbung am Bundestag/Landtag
In deine Bewerbung solltest du etwas mehr Zeit und Mühe investieren als z.B. in die Bewerbung für ein Gruppenpraktikum bei der Justiz. Denn die Konkurrenz dürfte vor allem auf Bundesebene deutlich größer sein. Deine Erfolgschancen steigen also, wenn du nicht nur gute Noten aufweisen kannst und dich an die vorgegebenen Bewerbungsformalia hältst, sondern auch dadurch, dass du gut begründen kannst, wieso du gerade bei DIESER Partei oder bei DIESEM:R Abgeordneten dein Praktikum absolvieren möchtest. Recherchiere deswegen, welche Themen im Wahlprogramm deiner Wunschpartei stehen und welche Ansichten dein:e potentielle:r Ausbilder:in vertritt. Für Jurastudierende bieten sich insbesondere Politiker:innen an, die im Rechtsausschuss sitzen bzw. sich mit Rechtspolitik (z.B. Verbraucherschutz, Asylrecht usw.) beschäftigen. Die jeweiligen Bewerbungsformalia findest du online auf der Website des Bundestags/der Landtage bzw. der politischen Parteien. Hier beispielshaft:
- Praktikum am Bundestag: https://www.bundestag.de/praktikum
- Praktikum bei der Grünen Bundestagsfraktion: https://www.gruene-bundestag.de/fraktion/jobs/
- Praktika bei der Grünen Landtagsfraktion Schleswig-Holstein: https://sh-gruene-fraktion.de/jobs-und-praktika
Was erwartet mich bei einer Landtagsfraktion?
Ich persönlich habe mein Praktikum bei der Grünen Fraktion am Landtag von Schleswig-Holstein verbracht. Mein Arbeitstag begann um 9 und dauerte meistens bis ca. 17 Uhr. Die Grünen Fraktion hat ihre Büros in einem Flügel des Landtags von Schleswig-Holstein in Kiel. An meinem ersten Tag wurde ich von der Geschäftsstelle empfangen und habe eine Zutrittskarte erhalten. Mir wurde ein Schreibtischplatz im „Praktikant:innen-Zimmer“ der Fraktion zugewiesen, in dem neben mir noch zwei andere Praktikant:innen (allerdings keine Jurastudierenden) arbeiteten. Und dann ging es auch schon los mit der politischen Arbeit.
Ich unterstützte als Jurastudierende hauptsächlich den für Rechtspolitik zuständigen Abgeordneten sowie die Justiziarin der Fraktion. Meine tägliche Arbeit bestand aus der Recherche verschiedener juristischer Themen, wie z.B. Polizeirecht, Asylrecht, Datenschutz und Co. Ich durfte an Redeentwürfen sowie Gesetzesentwürfen mitarbeiten und erstellte Synopsen zwischen der aktuellen Rechtslage und der angepeilten neuen Rechtslage. Die Fraktion hatte außerdem viele spannende Termine geplant, an denen ich teilnehmen durfte. Beispielsweise an interessanten Plenarsitzungen (NSU-Untersuchungsausschuss), bei Besprechungen, einem Besuch bei der Polizei und vielem mehr.
Das Praktikum war insgesamt sehr angenehm, da ich von den Abgeordneten und anderen Mitarbeitenden der Fraktion offen aufgenommen wurde. Mittags ging man immer gemeinsam in die Kantine und dann zu einem kurzen Spaziergang an die Förde. Ich konnte jederzeit um Hilfe Fragen, wenn ich nicht weiterwusste und habe so viel Neues gelernt. Die Beschäftigung mit aktuellen Rechtsfragen und deren Ausarbeitung in Wort und Schrift hat mir großen Spaß gemacht. Das Praktikum wurde (entgegen der anderen unbezahlten Praktika) mit 450 Euro vergütet.
Fazit: Lohnenswert!
Für meine persönliche Entwicklung war das Praktikum eine echte Bereicherung. Sowohl in juristischer Hinsicht als auch in politischer. Das Praktikum war letztendlich der Auslöser dafür, dass ich später Bündnis90/DIE GRÜNEN beigetreten bin und mich sogar in den Gemeinderat meines Heimatdorfes wählen ließ.
Aber auch Jurastudierenden, die überhaupt keine politischen Ambitionen haben, kann ich ein Praktikum am Landtag nur nahelegen. Denn danach versteht man endlich das leidige Staatsorganisationrecht. Man versteht, wie unser Staat politisch aufgebaut ist. Wie das Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Landesebene funktioniert und wozu solche (zunächst langweilig erscheinenden) Verfahren wie der Organstreit notwendig sind. Auch erhält man einen ganz anderen Blick auf das politische Tagesgeschehen und kann „Stammtischmeinungen“ wie „Politiker sind faul und überbezahlt“ einfach wegargumentieren.