Rezension: Die juristische Dissertation (Bayer/Schmidt)

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Das Wort promovieren ist ein wenig tückisch. Es suggeriert etwas Dynamisches: vorwärts bewegen, „pro“ und „movere“. So wird das Bild von einem geradlinigen Weg gezeichnet, der von einem exzellenten Examen zum prestigeträchtigen Titel führt. Es existiert eben nur die eine Richtung: vorwärts. Gerade die Promotionsphase ist aber auch eine, die Hürden beinhaltet. Sie gehören zum wissenschaftlichen Prozess sogar dazu, denn man wächst an ihnen. Manchmal verdient man auch eine Pause oder verirrt sich. Ab und zu ist die Promotion gar nicht der richtige Weg für einen selbst. Man kann sich nämlich auf so viele Weisen nach vorne bewegen.

Eine derart realitätsnahe Betrachtung des persönlichen Weges zum Dr. iur. versuchen Daria Bayer und Jan-Robert Schmidt in ihrem Anfang des Jahres erschienenen Buch „Die juristische Dissertation“ zu beschreiben. Daria Bayer ist im Moment als Postdoktorandin an der Frankfurter Goethe Universität und ihr Mitautor Jan-Robert Schmidt arbeitet als Referatsleiter der Hamburger Finanzbehörde. Damit schließt ihr „erfahrungsorientierter Ratgeber“ bereits in persönlicher Hinsicht zwei Lücken: Einerseits ist Daria Bayer die erste weibliche Autorin eines solchen Werks. Andererseits handelt es sich nicht nur um bereits habilitierte Vertreter aus der Wissenschaft (wie sonst hier, hier und hier).

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Frischer Wind in veralteten Strukturen

„Die juristische Dissertation“ ist aber noch aus anderen Gründen ein besonders zeitgemäßer Ratgeber, der einige Premieren bietet, die sich von der übrigen Landschaft abheben. Dabei geht der Ratgeber chronologisch von der Frage des „Warum?“ vor Beginn der Dissertation zu dem „Wann?“ des Moments der – nachdrücklich betonten – legalen Titelführung nach der Veröffentlichung. Der Gedanke, demzufolge jene Fragen, welche sich die Autor:innen selbst während der Promotion gestellt haben, beantwortet werden sollen, dient gleichzeitig als Strukturprinzip des Buches. Zusätzlich wurden mehr als 300 Promovierende von mehr als 15 juristischen Fakultäten Deutschlands sowie 600 Promovierte aus Justiz, Privatwirtschaft und Wissenschaft befragt. Bereits die Herangehensweise der geteilten Erfahrungen soll unterstreichen: „[A]uch wenn Promovieren einsam ist, kann promovieren verbinden.“

In diesem Zusammenhang ist besonders die mutige Offenheit der Autorin anzusprechen. Diese kritisiert explizit in einem der Zitate, die sich am Ende gewisser Abschnitte als persönliche Wiedergabe der Schreibenden findet, die fehlende Diskriminierungssensibilität am Lehrstuhl ihres Doktorvaters. Es ist auch hervorzuheben, dass Personen eine Stimme geboten wurde, die im Bereich intersektionaler Diskriminierung fundierter aus der eigenen Betroffenheit sprechen können. Die Thematisierung des Genderns in der juristischen Promotion als eigenständischer Abschnitt ist damit nicht nur von symbolischer Relevanz.

Bedauerlicherweise ist der gedankliche Schritt von „Geschlecht und Promotion“ zu „Mental Health“ ein kurzer, weswegen beide wohl nicht grundlos hintereinander behandelt werden. Fast bestürzender ist jedoch, dass es das erste Mal ist, dass die mentale Gesundheit ausdrücklich in einem Promotionsratgeber thematisiert wird. Lediglich das Buch von Sebastian Martens bietet ein allgemeineres Kapitel zur Krisenbewältigung. Die bemühten Beispiele aus dem horizontalen Verhältnis der Unterstützung zwischen Promovierenden untereinander zeigen, dass die Störungen vorrangig im vertikalen Verhältnis liegen. Dem eigens erklärten „Prinzip der Kooperation“ wird das Buch als gelungener Ausdruck desselben gerecht.

Um Erfahrungen und Perspektiven reicher

„In den meisten Fällen will die Person, die eure Arbeit rezensiert, euch mit ihrer Rezension nicht (nur) einen Gefallen tun, sondern sich auch selbst als Wissenschaftler:in profilieren, und dafür muss sie etwas zu kritisieren finden.“ Die Autor:innen liefern hiermit einen für den deutschen Wissenschaftsbetrieb gültigen Befund, mit dem an dieser Stelle gebrochen werden soll. Es geht in dem Ratgeber darum, Fragen zu beantworten, die sich für beide promovierten Verfassenden selbst oder für die Interviewten stellten. Möglicherweise habe sich gewisse Fragen aber auch einfach nicht oder anders gestellt.

Die grundsätzliche Frage für jede Person, die mit dem Gedanken einer Promotion spielt, ist jedoch: nach dem ersten oder zweiten Staatsexamen? Sehr interessant ist, dass die Dissertation nach dem zweiten Examen für eine Laufbahn im öffentlichen Dienst von Bedeutung sein kann. In den meisten Bundesländern wird nämlich die Erfahrungszeit im öffentlichen Dienst erst nach Abschluss der Ausbildung, also nach dem Referendariat, angerechnet. Eine Lehrstuhlstelle bei einer internen Promotion kann sich so buchstäblichen auszahlen, wie der Autor aus eigener Erfahrung betont. Eine neue Perspektive dürfte demgegenüber der Konnex zu dem Wunsch nach einem LL.M. sein. Dieser ist für den „klassischen“ Gang der Promotion als Qualifikationsschrift für eine wissenschaftliche Karriere mittlerweile durchaus relevant. Ein LL.M. kostet aber vor allem in der begehrten Ivy League eines: viel Geld. Die renommierte Fulbright-Kommission fördert jedoch nur „direkt“, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) lediglich bis zu fünf Jahre nach dem ersten Staatsexamen. In beiden Fällen kommt ein neues Ingangsetzen der Frist ausdrücklich weder durch eine erfolgreiche Promotion noch das Bestehen des zweiten Staatsexamens in Frage.

Finanzierung ist aber auch ohne potentiellen LL.M. ein nicht nur essenzieller, sondern besonders sensibler Punkt. Daher lohnt es sich, nochmals einen genaueren Blick auf die Förderungsmöglichkeit durch die Begabtenförderungswerke zu werfen. Diese fördern Promovierende aktuell mit einem Grundbetrag in Höhe von 1350 Euro, der sich um eine Forschungskostenpauschale von 100 Euro mehrt. Ab dem Wintersemester 2023/2024 wird nun stufenweise der Grundbetrag um weitere 100 Euro pro Jahr bis 2025 angehoben. Ein finaler Betrag von 1750 Euro ist daher im Vergleich zu einer schlechter bezahlten halben Stelle an der Universität deutlich attraktiver. Dabei sind in dieser Gleichung die im Buch kritisch erwähnten Überstunden einer solchen Stelle noch gar nicht miteinbezogen. Es sollten sich insbesondere jene ermutigt fühlen, sich um ein Stipendium zu bewerben, die besondere biographische Hürden zu nehmen hatten oder deren Eltern keine Akademiker:innen sind. Das sind die eigentlichen Zielgruppen von Begabtenförderungswerken. Hier wird eine andere Dimension der „Entscheidungsmöglichkeit“ zur Promotion gewahr. Diese Möglichkeit liegt, wie das mit der Promovendin Dilken Çelebi geführte Interview hervorhebt, bei intersektional benachteiligten Personen anders.

Jeder Strukturierungsversuch eines so individuellen Weges wie der Promotion muss folglich an seine Grenzen kommen. So wird die Klärung der Finanzierung von Bayer/Schmidt im Kapitel „Vor Beginn der Dissertation“ behandelt. Im darauffolgenden Kapitel „Die Arbeit an der Dissertation“ wird dann erst auf das Exposé eingegangen. Für eine Bewerbung um ein Stipendium der großen Begabtenförderungswerke ist dann aber kein Kurzexposé, sondern das Langexposé der Regelfall. Man muss also bereits wissen, wohin die Reise gehen soll. Die Finanzierung sollte, wie der Aufbau des Ratgebers richtig suggeriert, zwar bereits vor der Arbeit an der Promotion stehen. Der Prozess einer Stiftungsbewerbung kann sich hingegen bloß ab Einreichen der Unterlagen schon auf neun Monate belaufen. Ein Stipendium ist daher in den seltensten Fällen vor der Arbeit an der Promotion geklärt. Damit steht ein Stipendium als Finanzierungsmöglichkeit nicht gleichberechtigt für sich neben den anderen Alternativen. Denn über mehrere Monate hinweg ohne Einkommen zu sein, muss man sich leisten können. Ein Promotionsstipendium wird somit meistens erst während einer Stelle in einer Kanzlei oder am Lehrstuhl als denkbare Finanzierungsoption realistisch.

Diese Stellen haben wiederum Vor- und Nachteile, die es abzuwägen gilt. Diese Abwägung leistet „Die juristische Dissertation“ überzeugend. Dabei wird auf die Schattenseiten des Wissenschaftsbetriebes mit Blick auf „metooscience“, also die sexuelle Gewalt im wissenschaftlichen Kontext, Aufmerksam gemacht. Demgegenüber lässt der Abschnitt zur „Promotion als Grundstein für eine wissenschaftliche Karriere“ die Debatte um #IchBinHannah vermissen. Das WissZeitVG bildet den grundlegenden rechtlichen Rahmen für die prekären Umstände des akademischen Mittelbaus. Es handelt sich also um einen Belang, der für die Erwägung einer wissenschaftlichen Karriere eine bedeutende Rolle spielt.

In Anlehnung an Christoph Menkes „Recht auf Enthaltung“ wird im zweiten Drittel des Textes die notwendige „Kunst, nein zu sagen“ thematisiert. Die Idee der Grenzziehung aus dem beruflichen Feld ist auch auf den Bereich der Promotion zu übertragen. Man muss nicht in einem Verlag veröffentlichen, dessen Werte nicht zu den eigenen passen. Man muss aber genauso wenig jeder Kritik folgen.

Promovieren als Realität

„Die juristische Dissertation“ soll Lust auf eine eben solche machen. Dass die Promotionszeit eine bereichernde Zeit war, betonen daher sowohl Daria Bayer als auch Jan-Robert Schmidt kontinuierlich. Man hält irgendwann das eigene Buch in den Händen. Man hat die Möglichkeit, einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren, Tagungen und Konferenzen zu besuchen. Doch das Beste daran ist, dass man dabei wunderbare Menschen kennenlernen kann.

Auf den ersten Blick wirken die Einsamkeit des Schreibprozesses, Finanzierungshürden oder psychologische Gesundheitsrisiken zugegebenermaßen wenig lustvoll. Insoweit ist schließlich klar zu differenzieren. Dem ersten Ratgeber, der versucht, reale Missstände zu benennen, die traditionsreich verschwiegen wurden, können diese in ihrer Tatsächlichkeit nicht zum Vorwurf gemacht werden. Denn als längst überfällige Schrift schafft „Die juristische Dissertation“ vor allem Eines: nahbar zu zeigen, dass Promovieren mehr ist als nur Arbeit. Sie verortet die Promotion in der Wirklichkeit der Menschen, die sie schreiben, bereits geschrieben haben und hoffentlich noch schreiben werden.


Aus dem Klappentext:

“Dieses Buch soll Lust auf eine juristische Dissertation machen. Es bietet in chronologischer Abfolge des Promotionsverfahrens die gesammelten Erfahrungen aus einer Vielzahl von Gesprächen und Diskussionen mit über 300 Doktorandinnen und Doktoranden sowie 600 Alumni und Alumnae.
Es gibt dadurch

  • Antworten auf die wichtigsten Fragen des Promotionsprozesses
  • Anregungen zur erfolgreichen Planung der Promotion sowie
  • Tipps zur Durchführung und Strukturierung der Promotion.”
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