Skript Jugendstrafrecht – alles, was Du für den Schwerpunkt wissen musst

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Zu den möglichen Schwerpunktbereichen innerhalb des Jurastudiums gehört an vielen Universitäten der Schwerpunktbereich „Kriminologie“. Teil dieses Schwerpunktbereichs ist häufig die Vorlesung „Jugendstrafrecht“. Wir haben Dir in einem Artikel alles zusammengefasst, was Du über das Jugendstrafrecht wissen musst.

Tipps fürs Jurastudium

Geschichte und Erziehungsgedanke

Früher ging man davon aus, dass Kinder (und Jugendliche) lediglich „kleine Erwachsene“ seien. Sie genossen auch im Strafrecht deswegen keine Sonderstellung. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts unterschied man zwischen „Kindern“ (=Infantes), Jugendlichen (=Impuberes) und Minderjährigen (=Minores). Doch es dauerte noch bis zur Zeit der Aufklärung, um eine allgemeine Humanisierung des Strafrechts anzugehen. In diesem Rahmen kam auch die Idee auf, Kinder und Jugendliche im Strafrecht getrennt von Erwachsenen zu behandeln.

  • Deutsches Reichsstrafgesetzbuch (1871): In § 55 RStGB wurde die Strafmündigkeit auf 12 Jahre festgelegt. Eine “relative Strafmündigkeit” galt für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren. Nach § 57 RStGB galt für “Halberwachsene” die sogenannte “Halbstrafenregelung”.
  • Jugendgerichtsgesetz 1923: Auf Grundlage des Marburger Programms (1882) von Franz v. Liszt und der 1909 gegründete “Jugendgerichtsbewegung” wurde erstmals ein eigenes Jugendgerichtsgesetz mit Sonderregelungen für Jugendliche geschaffen, in dem u.a. die Strafmündigkeit auf 14 Jahre angehoben wurde.
  • Nationalsozialismus 1933/1943: Die Nationalsozialisten machten die Reformbestrebungen zu Nichte. Zwar führten sie die heute noch bekannte Dreigliederung der jugendstrafrechtlichen Reaktionsmittel (Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Jugendstrafe) ein, gleichzeitig verschärften sie die Bestrafung von Kindern und Jugendlichen aber auch. So wurde die Strafmündigkeit auf 12 Jahre herabgestuft und die Todesstrafe auch gegen Jugendliche zugelassen.
  • Nachkriegszeit 1953: Aufhebung der nationalsozialistischen Elemente des Jugendstrafrechts und Einbeziehung der Heranwachsenden (18-22 Jahre) in das Jugendstrafrecht (JGG).

Heute begegnet der Staat Jugendlichen (und Heranwachsenden) mit größerer Nachsicht. Mit Rücksicht auf ihr Entwicklungsstadium gelten die speziellen Regelungen des Jugendstrafrechts. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht wird dieses insbesondere geprägt vom Erziehungsgedanken (§ 2 I JGG). Dieser geht davon aus, dass der Jugendliche in erster Linie nicht bestraft, sondern erzogen werden soll.

Erscheinungsformen

Kriminolog:innen haben einige Wesensmerkmale von Jugendkriminalität feststellen können. Diese sind:

  • Normalität: Es ist “normal”, dass Jugendliche im Verlaufe ihrer Entwicklung eine oder mehrere Straftaten im Bagatellbereich begehen, um „sich auszuprobieren“.
  • Episodenhaftigkeit: Zwar begehen Jugendliche Straftaten, dabei handelt es sich jedoch in den meisten Fällen nur um eine „Episode“, die im Erwachsenenalter wieder nachlässt. Jugendkriminalität ist also eine normale und vorübergehende Erscheinung, die im Normalfall nicht zu einer „kriminellen Karriere“ führt.
  • Ubiquität: Jugendkriminalität durchzieht in weit höherem Maße als Erwachsenenkriminalität sämtliche soziale Schichten und Nationalitäten.
  • Geschlecht: Es gibt genauso wie im Erwachsenenstrafrecht wesentlich mehr männliche Tatverdächtige.
  • Gruppenzwang: Jugendliche begehen häufig Straftaten „aus der Gruppe heraus“.
  • Spezifität: Jugendpezifische Delikte sind insbesondere Diebstahl, Sachbeschädigungen und Leistungserschleichung (Schwarzfahren).

Verantwortlichkeit Jugendlicher

Das Jugendstrafrecht unterscheidet zwischen zwei Altersstufen. Abgestellt wird dabei jeweils auf den Zeitpunkt der Tat. Es kann also theoretisch sein, dass sich ein 45-Jähriger wegen eines Mordes, den er als 15-Jähriger begangen hat, vor dem Jugendgericht verantworten muss. Diese Altersstufen sind:

  • Kinder unter 14 Jahren sind strafrechtlich nicht verantwortlich (§ 19 StGB),
  • Als Jugendliche bezeichnet man Personen zwischen 14 und 17 Jahren. Für sie gilt neben dem StGB das JGG (§ 1 II JGG),
  • Heranwachsende (18-21 Jahre) können ebenfalls noch unter das JGG fallen. Für sie gelten gegenüber Jugendlichen jedoch strengere Regelungen (§ 105 JGG).

Jugendliche sind „bedingt strafmündig“. Das bedeutet, dass ihre Strafmündigkeit gesondert festgestellt werden muss. Ein Jugendlicher ist strafrechtlich (nur) verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 3 JGG).

  • Sittliche Reife hat er, wenn er Wertvorstellungen darüber entwickelt hat, wie man sich verhalten soll. Geistige Reife, wenn er fähig ist, etwas gedanklich zu verarbeiten und zu verstehen.
  • Der Beschuldigte muss in der Lage sein, die rechtliche Bewertung nachzuvollziehen, wobei es nach h.M. nicht auf die strafrechtliche Bewertung ankommt. Es genügt, dass er die Rechtswidrigkeit – das Verbotensein – der Tat einsehen kann.

Anwendung auf Heranwachsende

Für Heranwachsende gelten die genannten Vorschriften des JGG, wenn sie gem. § 105 JGG „wie Jugendliche“ zu behandeln sind. Das ist der Fall, wenn

  • die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder

Eine Reifeverzögerung liegt vor, wenn der Heranwachsende einem Jugendlichen gleichzustellen ist, der noch ungefestigte, in der Entwicklung steht oder bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind.

  • es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

Eine jugendtypische Verfehlung ist in Taten zu sehen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrem Anlass oder ihrem Motiv Merkmale jugendlicher Unreife aufweisen.

Wird ein Heranwachsender nach Jugendstrafrecht beurteilt ist das Höchstmaß der Jugendstrafe: 10 Jahre (§ 105 III JGG). Wird er nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, gibt es eine fakultative Strafmilderung bei lebenslanger Freiheitsstrafe (§ 106 I JGG).

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Jugendspezifische Rechtsfolgen

Für Jugendliche und Heranwachsende sind die gleichen Handlungen strafbar wie für Erwachsene. Die Tatbestände ergeben sich aus dem StGB. Unterschiede zum Erwachsenenstrafrecht ergeben sich aber insbesondere hinsichtlich der Rechtsfolgen. Hier sieht das JGG ein dreigliedriges System aus Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe vor (§ 5 JGG).

Erziehungsmaßregeln sind nach § 9 JGG:

  • Weisungen (§ 10): Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen (z.B. die Weisung, eine Ausbildungsstelle anzunehmen oder an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen).
  • Erziehungsbeistandschaft (§ 12 Nr. 1): Erziehungsbeistände unterstützen Jugendliche dabei, Alltags- sowie Konfliktsituationen zu bewältigen und aufzuarbeiten.
  • Heimerziehung (§ 12 Nr. 2): stationäre Maßnahme, die den Täter verpflichtet, in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform zu wohnen.

Zuchtmittel sind nach § 13 JGG:

  • Verwarnung (§ 14): Hierdurch soll dem Täter das Unrecht der Tat eindringlich vorgehalten werden.
  • Auflagen (§ 15): Hierdurch soll dem Täter eindringlich ins Bewusstsein gesetzt werden, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat (z.B. Entschuldigung, Arbeitsleistung, Geldzahlung).
  • Jugendarrest (§ 16): Dieser ist in drei Formen möglich:
    • Freizeitarrest: wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt.Kurzarrest: wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden.Dauerarrest: mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen.

Aus § 5 I, II JGG ergibt sich die Rangfolge: Erziehungsmaßnahmen, wenn diese nicht ausreichen: Zuchtmittel, wenn diese wegen schädlicher Neigungen (Mehrfachtäter) oder der Schwere der Schuld (schweres Delikt) nicht ausreichen. Nach § 8 JGG können bestimmte Erziehungsmaßnahmen und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet werden.

Die Jugendstrafe

Die Verhängung der Jugendstrafe (§ 17 JGG) ist das ultima ratio, d.h., selbst bei der Aburteilung sehr schwerer Taten kommt eine zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe nur in Betracht, wenn andere jugendrichterliche Sanktionen nicht mehr ausreichen. Dabei ist die Jugendstrafe eine echte Kriminalstrafe (im Gegensatz zu den Erziehungsmaßregeln und den Zuchtmitteln).

Jugendstrafe kann nur verhängt werden wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen oder, wenn sie wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

  • Unter schädlichen Neigungen versteht man erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die die Gefahr begründen, dass der Jugendliche ohne längere Gesamterziehung (§§ 91, 92) durch weitere Straftaten die Gemeinschaftsordnung stören wird. Dabei müssen die Anlage- und Erziehungsmängel „in der Tat hervorgetreten sein“, d.h. die Straftat muss im Hinblick auf die Neigung von symptomatischer Bedeutung sein. Ein „Verschulden“ des Jugendlichen für seine Neigung ist nicht erforderlich (str.).
  • Eine besondere Schwere der Schuld liegt dann vor, wenn die Schuld des Täters bezüglich des erheblichen mit der Tat verwirklichten Unrechts so schwer wiegt, dass ein Absehen von der Strafe zugunsten einer Erziehungsmaßregel oder eines Zuchtmittels in einem unerträglichen Widerspruch zum allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl stehen würde. Dies ist regelmäßig bei vorsätzlichen Tötungsdelikten oder Delikten mit Todesfolge zu prüfen.

Verfahren und Beteiligte

Eine gesetzliche Regelung über die Jugendgerichte findet sich in §§ 33-42 JGG. Diese gelten nach §§ 107, 108 JGG weitgehend auch für Heranwachsende. Für das Jugendstrafverfahren sind besondere Gerichte eingeführt worden, deren sachliche und örtliche Zuständigkeit in §§ 33 ff. JGG geregelt ist.

Das Jugendstrafverfahren richtet sich im Wesentlichen nach den Vorschriften der StPO. Das JGG enthält darüber hinaus Sonderregelungen:

Weiterführende Literatur

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