Grundwissen Polizeirecht für Jurastudierende

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Das Polizeirecht gehört neben dem Kommunalrecht und dem Baurecht zu den Themen des besonderen Verwaltungsrechts, die in Juraklausuren am häufigsten abgefragt werden und auch examensrelevant sind. Hier deswegen ein Überblick über das Grundwissen im Polizeirecht für das Jurastudium.

Beim Polizeirecht handelt es sich um Landesrecht. Beim Lernen musst Du deswegen immer Deine landesrechtlichen Besonderheiten berücksichtigen. Das Gute: Die rechtlichen Problematiken sind in allen Bundesländern die Gleichen. Lediglich die Normen im Gesetz stehen an einer anderen Stelle. In Baden-Württemberg ist das Polizeirecht z.B. im Polizeigesetz BW geregelt.

Das Polizeirecht ist Eingriffsrecht. In Deiner Juraklausur wirst Du in der Begründetheit Deiner Prüfung deswegen am wahrscheinlichsten die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme überprüfen müssen. Bei der Frage der Verhältnismäßigkeit spielen dabei oft auch die Grundrechte eine Rolle. In der Zulässigkeit ist meistens eine Anfechtungsklage (gegen einen belastenden Verwaltungsakt) oder eine Fortsetzungsfeststellungsklage (falls sich die Maßnahme bereits erledigt hat) einschlägig.

Tipps fürs Jurastudium

Grundwissen Polizeirecht


I. Zulässigkeit der Klage

Insbesondere: Der Verwaltungsrechtsweg ist nach der modifizierten Subjektstheorie eröffnet, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts im Sinne der Sonderrechtstheorie sind, also ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigten und verpflichten. Das ist bei den Normen des PolG BW der Fall.

Und weiter: Es könnte eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 Abs. 1 EGGVG gegeben sein, weil polizeiliches Handeln präventiv oder repressiv ausgestaltet sein kann. Maßgeblich ist bei doppelfunktionalen Maßnahmen der Schwerpunkt der Maßnahme. Handelt die Polizei repressiv im Rahmen eines Justizverwaltungsaktes ist nach §§ 23 Abs. 1, 25 EGGVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Handelt die Polizei präventiv, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Begründetheit der Klage

1. Ermächtigungsgrundlage
2. Formelle Rechtmäßigkeit
3. Materielle Rechtmäßigkeit

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Ermächtigungsgrundlage

Polizeiliche Maßnahmen (z.B. ein Platzverweis) greifen belastend in die Freiheiten der Bürger:innen ein. Deswegen ist für polizeiliches Handeln immer eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Diese gilt es als ersten Schritt in der Klausur zu identifizieren. Dabei gehen spezielle Ermächtigungsgrundlagen (EGL) der allgemeinen Generalklausel (in Baden-Württemberg §§ 3,1 PolG BW) immer vor. Sie sind also als erstes zu prüfen. Dazu gehören insbesondere die Standardmaßnahmen in § 27 ff. PolG BW bzw. in den entsprechenden Normen Deines Landes.

Polizeiliche Generalklausel

Nach der Generalklausel ist ein Einschreiten der Polizei immer dann zulässig, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung vorliegt. Diese Begriffe musst Du auswendig können.

Unter dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit versteht man den Schutz des Staates und seiner Einrichtungen, den Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen („Individualrechtsgüter des Bürgers“) und den Schutz der gesamten geschriebenen Rechtsordnung.

Beispiel: Begeht eine Person also einen Diebstahl (§ 242 StGB) liegt ein Verstoß gegen die geschriebene Rechtsordnung vor.

Unter der öffentlichen Ordnung versteht man all diejenigen Verhaltensweisen, die nicht durch Rechtsnormen erfasst, aber trotzdem für ein gedeihliches menschliches Zusammenleben unerlässlich sind. Dabei ist vor allem die (sich stetig wandelnde) Moralvorstellungen der Allgemeinheit entscheidend. Der Begriff ist weit und muss verfassungskonform ausgelegt werden.

Beispiele: Veranstaltung eines „Zwergenweitwurfs“, Bordell neben einer Grundschule

Gefahrenbegriff

Ein polizeilicher Eingriff ist im Rahmen der Generalklausel nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr zulässig, vgl. §§ 3, 1 PolG BW.

Gefahr ist eine Sachlage, die bei ungehinderter Fortentwicklung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu einer Beeinträchtigung der polizeilichen Schutzgüter führt.

Eine konkrete Gefahr meint eine nach Ort und Zeit bestimmbare oder bestimmte Sachlage, die Anlass zum Einschreiten gibt.

Dabei bemisst sich das Vorliegen einer Gefahr nach der korrekten polizeilichen Lagenbeurteilung zum Entscheidungszeitpunkt (sog. Ex-ante-Sicht). Ob tatsächlich ein Schaden droht, ist nicht maßgeblich. Auch bei einer Anscheinsgefahr ist ein Einschreiten der Polizei erlaubt.

Von einer Anscheinsgefahr wird gesprochen, wenn nach objektiven Gesichtspunkten, also z.B. einer gründlichen Erkundung, von einer Gefahr auszugehen ist, aber sich im Nachhinein herausstellt, dass keine Gefahr bestand. Das Handeln bei einer Anscheinsgefahr ist dann rechtmäßig.

Beispiel: Drohung mit einer Kofferbombe (die Polizei darf und muss diese Drohung ernst nehmen, auch wenn später herauskommt, dass es nur eine Bomben-Attrappe war)

Liegt lediglich eine Putativ- bzw. Scheingefahr vor, ist ein Einschreiten der Polizei nicht rechtmäßig. Eine Scheingefahr (oder “Putativgefahr”) ist gegeben, wenn eine Behörde eine Gefahr aufgrund einer falschen Beurteilung der Sachlage annimmt. Also dann, wenn ein Beamter subjektiv von einer Gefahr ausgeht, wo jeder andere objektiv denkende Beamte keine Gefahr sehen würde.

Beispiel: Die Polizei verhaftet eine Person mit Migrationshintergrund in Grenznähe, obwohl es sich nur um einen harmlosen Urlauber handelt.

Bei einem bloßen Gefahrverdacht muss die Polizei zunächst ermitteln, ob überhaupt eine Gefahr vorliegt (Verhältnismäßigkeitsprinzip).


Verhältnismäßigkeitsprüfung

a) legitimes Ziel
= wenn er auf das Wohl der Allgemeinheit gerichtet ist oder wenn für den Zweck ein staatlicher Schutzauftrag besteht.
b) geeignet
= ist das Mittel, wenn es den angestrebten Zweck zumindest fördert.
c) erforderlich
= ist das Mittel, wenn kein milderes, jedoch gleichsam effektives Mittel zur Verfügung steht.
d) angemessen
= ist das Mittel, wenn die Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Allgemeinwohls ausfällt.


Störereigenschaft

Die Polizei wird gegen den (richtigen) Störer tätig (§ 6 ff. PolG BW). Das nennt man „Polizeipflichtigkeit“.

Als Handlungsstörer i.S.v. § 6 PolG (auch „Verhaltensstörer genannt) wird in Anspruch genommen, wer eine Gefahr selbst verursacht hat. Auf ein Verschulden kommt es nicht an.

Beispiel: Ein Fußballfan randaliert im Stadion und zerstört die Sitzbänke.

Wie beim Gefahrenbegriff ist auch der Anscheinsstörer grundsätzlich Störer. Er ist auf der Primärebene – d.h. bei der Entscheidung, ob die Polizei gegen in handelt – stets als Störer einzustufen. Erst auf der Sekundärebene, also bei der Frage der Kostentragung, ist zu differenzieren, ob er in zurechenbarer Weise den Anschein des Vorliegens einer Gefahr gesetzt hat.

Beispiel: Eine Person mit täuschend echt aussehender Waffe rennt durch einen Flughafen. Später stellt sich heraus, dass es ein verkleideter Karnevalist war.

Der Scheinstörer (wie die Scheingefahr) ist Nichtstörer. Maßnahmen gegenüber ihm darf die Polizei nur unter den Voraussetzungen des § 9 PolG BW treffen, also bei einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr und wenn Maßnahmen gegen den Störer unangebracht sind.

Der Verdachtsstörer (wie die Verdachtsgefahr) muss Gefahrerforschungsmaßnahmen gegen sich dulden. Daneben muss noch die Figur des Zweckveranlassers gekannt werden.

Zweckveranlasser ist, wer andere entweder gezielt zu polizeiwidrigem Verhalten veranlasst, oder dies zumindest in Kauf nimmt.

Beispiel: Eine Kaufhauskette wirbt in ihrem Schaufenster mit nackten Männern, was dazu führt, dass es vor dem Geschäft zu mehreren Auffahrunfällen kommt.

Der veranlassende Hintermann (also der Zweckveranlasser) muss sich das störende oder gefährdende Verhalten Dritter nach h.M. zurechnen lassen, wenn das Überschreiten der Gefahrenschwelle für ihn vorhersehbar war. Die Mindermeinung fragt, ob er die Gefahr auch gewollt hat.


Zustandsstörer ist, wer die tatsächliche oder rechtliche Sachherrschaft über eine Sache innehat, von der eine Gefahr ausgeht.

Sowohl der Eigentümer als auch der Inhaber der tatsächlichen Gewalt sind als Zustandsstörer, unabhängig von einer persönlichen Verursachung (vgl. § 7 PolG BW).

Beispiel: X hat eine Ölheizung. Diese hat ein Leck, sodass Öl in den Boden und das Grundwasser unter seinem Haus austritt.

Übt allerdings der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne bzw. gegen den Willen des Eigentümers aus, so trifft ihn die alleinige Verantwortlichkeit.

Beispiel: Dieb D beschädigt den Öltank im Haus des X.

Die Zustandshaftung endet grundsätzlich mit dem Verlust des Eigentums. Umstritten ist der Fall, in dem eine Person eine ihm bisher gehörige Sache wegwirft, um sich der Haftung zu entziehen (z.B. unsachgemäße Entsorgung von Müll).

Nach einer Ansicht ist eine Dereliktion, die das Ziel hat, sich der polizeilichen Haftung zu entziehen, nach § 134 BGB nichtig. Nach anderer Auffassung ist die Dereliktion wirksam, der Handelnde wird dadurch aber zum Verhaltensstörer.

Einschreiten der Behörde

Die Polizei trifft ihre Maßnahmen grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 3 PolG BW). Dabei wird zwischen dem Erschließungsermessen (ob gehandelt wird) und dem Auswahlermessen (wie gehandelt wird) unterschieden.

Auf Primärebene geht es dabei um eine schnelle und effektive Gefahrbeseitigung. Auf Sekundärebene um eine faire Kostenverteilung.

Der Bürger hat einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten, wenn das Ermessen der Polizei auf Null reduziert ist.

Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt vor, soweit in einer konkreten Situation nur eine einzelne Maßnahme rechtmäßig erscheint. Voraussetzung ist somit, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre.

Man unterscheidet zwischen den allgemeinen Polizeibehörden und dem Polizeivollzugsdienst. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind nach § 105 I PolG BW die allgemeinen Polizeibehörden zuständig. Der Polizeivollzugsdienst ist zuständig, wenn ein sofortiges Tätigwerden erforderlich erscheint („Gefahr im Verzug“).

Gefahr im Verzug ist eine Gefahrenart, bei der ohne ein unverzügliches Handeln der angestrebte Erfolg vereitelt würde.

Handlungsmöglichkeiten der Polizei

Die Polizei kann auf unterschiedliche Art und Weise tätig werden. Man unterscheidet zwischen Polizeiverfügung, Polizeiverordnung und Zwangsmitteln.

Die Polizeiverfügung ist ein belastender Verwaltungsakt der Polizei (Beispiel: individueller Platzverweis).

Im Gegensatz dazu ist die Polizeiverordnung eine abstrakt-generelle Regelung zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Beispiel: Badeverbot).


1. Ermächtigungsgrundlage (§§ 17, 1, 3 PolG BW)

2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit (vgl. § 21 PolG BW)
b) Verfahren und Form (vgl. §§ 20, 23 PolG BW)

3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Vorliegen einer abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
b) Verhältnismäßigkeit der Polizeiverordnung


Zwangsmittel sind das Zwangsgeld (§ 63 I PolG i.V.m. § 23 LVwVG) bzw. Zwangshaft, die Ersatzvornahme (§ 63 I PolG i.V.m. § 25 LVwVG) und der unmittelbarer Zwang (§ 63 II PolG i.V.m. §§ 64 ff. PolG.

Im Unterschied zur Ersatzvornahme fehlt es bei der unmittelbaren Ausführung an einer vorausgegangenen Grundverfügung. Denn die unmittelbare Ausführung der Störungsbeseitigung kommt nach § 8 PolGBW zum tragen, wenn der Störer nicht erreichbar ist. Die Ersatzvornahme wird hingegen zwangsweise gegen den Willen des Pflichtigen ausgeführt, nachdem dieser der Grundverfügung keine Folge geleistet hat. Die Rechtsnatur der unmittelbaren Ausführung ist umstritten.

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