Ein Praktikum in der Berliner Justiz: Durch Vielfalt zur Klarheit und zum Erfolg

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Wie wäre es, für einen Monat aus der Kleinstadt in eine Millionenmetropole zu ziehen? Über diese Frage kann man sich die verschiedensten Gedanken machen, man wird sie aus Überzeugung jedoch erst dann beantworten können, nachdem man selbst die Erfahrung gemacht hat. So lautet jedenfalls meine Antwort, nachdem ich im September 2023 ein Praktikum in Berlin absolviert habe. Doch wie kam es dazu? Fangen wir doch von vorne an!

Laut der meisten Prüfungsordnungen muss man im Jurastudium in der vorlesungsfreien Zeit mindestens drei Praktika von jeweils vier Wochen absolvieren. Diese können an jeder Institution im In-und Ausland absolviert werden, solange man dort Einblicke in einen juristischen Bereich von einer in diesem Bereich tätigen Person bekommt. Ich ziehe seit der Oberstufe einen Beruf als Richterin oder Staatsanwältin in Betracht, daher habe ich mir ein Praktikum in der Justiz ausgesucht. Dabei bot die Berliner Justiz das umfangreichste und vielfältigste Praktikumsprogramm.

Das sogenannte Basispraktikum dauert vier Wochen, von denen man je eine Woche bei der Staatsanwaltschaft, eine Woche beim Strafgericht, eine beim Zivilgericht und eine bei einem Fachgericht verbringt. Bei der Letzteren wird man dem Arbeitsgericht, Sozialgericht oder Verwaltungsgericht zugeteilt. Es handelt sich dabei um ein Gruppenpraktikum mit Rahmenprogramm. Das heißt, es finden auch gemeinsame Veranstaltungen mit den anderen etwa 25 Praktikantinnen und Praktikanten statt.

Tipps fürs Jurastudium

Wie funktioniert die Bewerbung?

Das Praktikum wird in der vorlesungsfreien Zeit nach dem Sommersemester im September und nach dem Wintersemester im März/April angeboten. Die Bewerbung erfolgt mit Lebenslauf, Motivationsschreiben und aktueller Studienbescheinigung über ein Online-Portal auf der Website der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz etwa sechs Monate vor Beginn des Praktikums. Man kann auch angeben, ob man ein Fachgericht bevorzugt, die Zuteilung zum Fachgericht kann aber aufgrund begrenzter Kapazität nicht immer erfolgen. Zu- und Absagen erfolgen normalerweise zwei Monate nach Bewerbungsende. Aufgrund der  hohen Nachfrage werden die Praktikantinnen und Praktikanten ausgelost. Zunächst werden aber diejenigen angenommen, die ihre Motivation am besten darlegen, wer sich also besonders viel um die Darstellung und Begründung der eigenen Motivation bemüht, hat bessere Chancen.   

Woche 1: Das Verwaltungsgericht

Die erste Woche habe ich beim Verwaltungsgericht verbracht. Bereits am ersten Tag war ich positiv überrascht. Alle Gerichte und die Amtsanwaltschaft, wo ich hospitiert habe, befanden sich entweder im selben Gebäude oder in einem Gebäude ca 15 Minuten Fußweg entfernt. Die beiden Gebäude sind Teil des Campus Moabit, eines der größten Gerichts-und Strafverfolgungskomplexe in Berlin. Zuerst wurde ich gemeinsam mit drei Praktikantinnen von dem Leiter der Geschäftsstelle empfangen. Nachdem er uns ein paar organisatorische Hinweise zum Ablauf des Praktikums sowie einige besonders einprägsame Tipps für unser Studium und unser Berufsleben gegeben hatte, wurden wir unseren betreuenden Richtern und Richterinnen zugeteilt.

Am ersten Tag haben wir eine theoretische Einführung in den Alltag der Verwaltungsrichterin, also ihre Aufgaben und Entscheidungssachen, bekommen. Danach haben wir in der Bibliothek des Verwaltungsgerichts Gerichtsakten gelesen, um uns auf die anstehenden Verhandlungen vorzubereiten. Anschließend habe ich zusammen mit den anderen Praktikanten beim Verwaltungsgericht an dem Vortrag eines Richters teilgenommen. Dieser erläuterte uns anschaulich den ganzen Weg, den die Akten von dem Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Geschäftsstelle des Gerichts bis zum Zeitpunkt des endgültigen Endes des Verfahrens durchmachen. Dadurch habe ich gelernt, dass Richterinnen und Richter wesentlich mehr administrative Aufgaben haben, als ich dachte.

An den darauffolgenden Tagen haben wir an Gerichtsverhandlungen teilgenommen. Dort entschieden die Richter in verschiedenen Angelegenheiten, von Klagen von Eltern für die Aufnahme ihres Kindes in eine bestimmte Schulklasse, Parlamentsrechtssachen bis zu ausländer-und asylrechtlichen Sachen, wie zum Beispiel Visums-und Asylverfahren sowie der Konvertierung zum Christentum. Insbesondere die Abschiebungsfälle in Kriegsgebiete werden mir aufgrund ihrer Schwierigkeit und der im Vergleich zu anderen Entscheidungssachen besonders hohen Spannung in den Verhandlungen noch lange in Erinnerung bleiben.  

Woche 2 und 3: Das Straf-und Zivilgericht

In der zweiten Woche war ich mit einer weiteren Praktikantin beim Strafgericht. Bereits die Tatsache, dass wir uns meistens am Amtsgericht Tiergarten (AG) im großen Gebäude, dem größten europäischen Strafgericht, aufgehalten haben, hat meine Begeisterung erhöht. Wir wurden von einem Jugendrichter betreut, was mich sehr gefreut hat, weil ich bereits seit der zwölften Klasse großes Interesse am Jugendstrafrecht habe. Da unser Betreuer diese Woche seltener Sitzungen hatte, besuchten wir die ersten Tage mit anderen Praktikantinnen und Praktikanten Vorträge über die Tätigkeit als Staatsanwalt in Staatsschutzverfahren und Hasskriminalität, den Alltag als Jugendrichter und als Staatsanwalt in Jugendsachen, Gerichtsorganisation und Schwurgerichtsverfahren sowie das Unterbringungsverfahren.                                   

Später haben wir an Sitzungen des Jugendgerichts und des Erwachsenenstrafrechts teilgenommen. Anders als beim Erwachsenenstrafrecht werden vor dem Jugendgericht Kinder und Heranwachsende vor dem 21. Lebensjahr angeklagt. Die Verhandlungen bezogen sich bei beiden Gerichten auf Delikte wie: Erschleichen von Leistungen, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Beleidigung, Nötigung, Drohung, Diebstahl, schwerer Diebstahl, Raub, schwerer Raub. Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung sowie fahrlässige Körperverletzung. Es gab auch Verhandlungen mit Dolmetschern, Jugendgerichtshilfe und psychologischen Gutachtern im Falle von psychisch kranken, alkohol-und drogensüchtigen Angeklagten. Dies machte die Sitzungen umso spannender für mich. Interessant fand ich, wie lange und intensiv die Richter, Strafverteidigerinnen und Staatsanwälte vor den Sitzungen über strafrechtliche Probleme diskutierten, mit denen wir uns im Studium auseinandersetzen, wie zum Beispiel ob und wann ein Rücktritt vom Versuch vorliegt, oder wann der Gewahrsam beim Diebstahl gebrochen wird.

In der dritten Woche war ich mit derselben Praktikantin beim Zivilgericht. Während manche Praktikanten an Sitzungen zu Mietsachen teilnahmen, wurden andere wie meine Kollegin und ich zum Familiengericht zugeteilt. Dort haben wir an Verhandlungen zu verschiedenen Angelegenheiten wie: Scheidung, Vaterschaftsanerkennung, Kindeswohlgefährdung, Umgangs-und Sorgerecht sowie Aufhebung von Grenzsperren bei Kindern, teilgenommen. Besonders schön fand ich die Kinderanhörungen, an denen wir als Auszubildende teilnehmen durften. Angehört wurden Kinder von etwa vier und zehn Jahren.

Woche 4: Die Amtsanwaltschaft

Die letzte Woche verbrachte ich mit einem Praktikanten bei der Amtsanwaltschaft. Diese übernimmt im Wesentlichen dieselben Aufgaben und Funktionen wie die Staatsanwaltschaft. Anders als die Staatsanwaltschaft ist sie aber nur für kleine Alltagsdelikte zuständig. Am ersten Tag gab uns die Betreuerin, eine Oberamtsanwältin, eine theoretische Einführung in ihren Arbeitsalltag. Danach führte sie uns durch die Räume der Staats- sowie Amtsanwaltschaft. Anschließend assistierten wir bei dem Vorgang, den unsere Betreuerin von dem Zeitpunkt durchmacht, wenn neue Akten über Taten von der Polizei bei der Amtsanwaltschaft eingehen, bis zum Zeitpunkt, wenn die Amtsanwältin die Anklage fertigt. Sie zeigte uns, wie schnell sie die Anklage digital mit einer dafür vorgesehenen Vorlage und einem Computerprogramm erstellt. Anschließend haben wir die Akten für die bevorstehenden Verhandlungen durchgelesen, um uns darauf vorzubereiten. Es hat mir auch Spaß gemacht, danach die Sachen mit meinem Kollegen zu recherchieren, die wir als kleine Hausaufgabe bekommen hatten. Die Tage danach nahmen wir an Sitzungen teil. Dass wir an einem Tag sogar am Tisch neben unserer Betreuerin sitzen durften, hat mich umso mehr gefreut. Die Verhandlungen bezogen sich auf dieselben Delikte wie beim Strafgericht. Besonders spannend fand ich eine Verhandlung mit einem berühmten Künstler.        

Das Basispraktikum bietet auch ein Rahmenprogramm. Dieses beinhaltet Vorträge und Führungen an je ein oder zwei Tagen pro Woche. An diesen Veranstaltungen nehmen alle Basispraktikantinnen und -praktikanten teil. So hatten wir Vorträge über Mediation im Güterichterverfahren, den Berufsalltag einer Staatsanwältin in der Kapitalabteilung, den Weg und den Ablauf der Bewerbung zum Richterberuf, Vor-und Nachteile des Richters und der Justiz allgemein gegenüber einer Kanzlei, den Alltag als Sozialrichterin sowie des Verwaltungsrichters und kreative Freiheit im Urteil. Aus allen Vorträgen habe ich viele neue Sachen und Tipps zum Studium, zum Staatsexamen und zur Berufswahl bekommen, von denen ich davor nie geahnt habe. Außerdem hatten wir Führungen durch das Kammergericht, das Oberverwaltungsgericht sowie eine Justizvollzugsanstalt. Letztere fand ich besonders spannend, vor allem weil ich nie gedacht hätte, dass ich das Leben eines Häftlingen so hautnah erleben würde.

Viel über die Berufe in der Justiz gelernt

Abschließend möchte ich festhalten, dass ich das Basispraktikum in der Berliner Justiz jedem ans Herz lege. Es gibt auch das sogenannte Vertiefungspraktikum, im Rahmen dessen man vier Wochen bei einem Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft absolviert. Dieses eignet sich vor allem für diejenigen, die bereits ein bestimmtes Gericht oder die Staatsanwaltschaft als zukünftigen Arbeitsort bevorzugen. Die Bewerbung dafür erfolgt direkt bei dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft. Ich habe durch das Basispraktikum so viel über sämtliche Berufe in der Justiz gelernt, dass ich jetzt ganz genau weiß, welche Berufe in der Justiz für mich in Betracht kommen und welche nicht. Diese Klarheit habe ich nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Nachbesprechungen, die ich mit meinen Betreuerinnen und Betreuern nach den Verhandlungen hatte, erlangt. Dort besprachen wir die Fälle, indem wir sie kommentierten und Fragen stellten. Somit kann ich meine Tätigkeiten während des Studiums auch besser an meine beruflichen Vorstellungen anpassen.                                                                                                

To make a long story short: ein Basis-oder auch Vertiefungspraktikum in der Berliner Justiz kann ich nur wärmstens empfehlen. Es zeichnet sich durch Vielfalt aus-und Vielfalt schafft Klarheit und diese führt – gerade auf Dauer – zum beruflichen Erfolg.

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Andra Cristea
Andra Cristea
Andra Cristea ist Jurastudentin im 5. Semester an der Uni Heidelberg. Seit dem 3. Semester ist sie als Redakteurin bei der Studentischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft (StudZR) tätig.

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