Rechtsreferendariat: Mein erstes Zivilurteil

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Zu Beginn des Referendariats in Bayern absolvieren Referendar:innen einen ersten Einführungslehrgang. In diesem und in den AG-Einheiten haben wir noch einmal die Basics des Zivilprozesses besprochen und u.a. gelernt wie man Zivilurteile verfasst, Anwaltsschriftsätze aufsetzt und wie man eine Notarklausur mit rechtsgestaltenden Elementen schreibt.

Meine Station absolvierte ich parallel am Amtsgericht. Dort wurde ich einer Richterin zugeteilt und gleich beim ersten Treffen gab sie mir eine Akte mit. Meine Aufgabe: ein Urteil entwerfen.

Referendariat

Aller Anfang ist schwer

Ich war trotz Einführungslehrgang erst einmal überfordert. Schließlich handelte sich hierbei um eine mir bisher fremde Aufgabe. Also nahm ich die Akte zu Hand und studierte diese. In meinem Fall ging es um einen möglichen AGG-Verstoß in Verbindung mit Maskentragen im Einzelhandel. Um den Fall zu lösen, habe ich verschiedene Gliederungen und Notizen gemacht: eine zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klage, eine zum Sachverhalt und eine Notiz zum prozessualen Teil.

Zunächst wollte ich mit der Zulässigkeit und Begründetheit der Klage starten, immerhin handelt es sich da um materielles Recht und das kann ich ja. Dachte ich zumindest. Zusätzlich zum neuen Klausurtyp kommt noch eine weitere neue Aufgabe auf einen zu: den Sachverhalt festlegen. Im Gegensatz zum ersten Staatsexamen muss man im zweiten Staatsexamen den Sachverhalt selbst feststellen, also gegebenenfalls eine Beweiswürdigung vornehmen. Eine wesentliche Aufgabe beim Urteil schreiben stellt deswegen die Sachverhaltsfeststellung dar. Diese findet ihren Platz im Tatbestand des Urteils.

Ich musste also meinen Plan verwerfen und begann ganz von vorne. Ich zeichnete einen Zeitstrahl mit allen relevanten Daten und verlieh den Parteien verschiedene Farben. Auch das Gericht erhielt eine eigene Farbe – so konnte ich am besten nachvollziehen wer was wann geschrieben oder eingereicht hat. Dann nahm ich den Kroiß/Neurauter (Formularsammlung) zur Hand und habe mir die Vorlage (Nr. 12, Auflage 28) für ein Zivilurteil der 1. Instanz angeschaut.

Aufbau eines Zivilurteils

Das Zivilurteil besteht aus verschiedenen Elementen. Zunächst gibt es das Rubrum, dann folgen die Urteilsformel und der Tenor. Anschließend findet man Tatbestand und Entscheidungsgründe. Zuletzt darf die Rechtsbehelfsbelehrung mit den notwendigen Unterschriften nicht fehlen. Das sieht dann so aus:

Rubrum
Tenor
Tatbestand
Entscheidungsgründe
Rechtsmittelbelehrung (soweit erforderlich)
Unterschrift(en) Richter:in

Im Tatbestand wird der Sachverhalt nach einer ganz bestimmten Systematik geschildert. Begonnen wird mit einem Obersatz, der klarstellt, weswegen sich die Parteien streiten. Dann folgt der Sachverhalt, über den sich die Parteien einig sind. Anschließend folgt der strittige Klägervortrag mit seinen etwaigen Rechtsansichten. Sodann wird die kleine Prozessgeschichte geschildert, sofern sie auf Anträge der Parteien von Einfluss gewesen ist. Dann werden hervorgehoben die zuletzt gestellten Anträge der Parteien dargestellt. Das Verteidigungsvorbringen des Beklagten bestehend aus Sach- und Rechtsvortrag und die große Prozessgeschichte bilden den Abschluss. Das sieht dann so aus:

Einleitungssatz
Unstreitiges
Streitiges Klägervorbringen
Antrag des Klägers
Klageabweisungsantrag des Beklagten
Streitiger Beklagtenvortrag
Relevante Prozessgeschichte
Bezugnahme auf Schriftsätze

Die Entscheidungsgründe sind sowohl in der Klausur als auch in der Praxis der immens wichtig. Hier werden nämlich die rechtlichen Bewertungen des Falls geschildert. In der Klausur werden hier Zulässigkeit und Begründetheit der Klage geprüft, wobei auch hier mit einem Obersatz begonnen wird. Wichtig ist zuletzt auch die Unterschrift, denn ohne gilt das Ganze als Entwurf! In der Klausur muss insbesondere darauf geachtet werden, dass man nicht mit seinem eigenen Namen unterschreibt.

Vorgehen in der Praxis und Klausur

Für den Tatbestand habe ich dann den klassischen Tipp der Dozent:innen ausprobiert: die T-Tabelle. Die T-Tabelle ist eine Art den Sachverhalt zu gliedern, damit man so besser weiß, was in den Tatbestand gehört. Auf der einen Seite wird alles aus der Akte/dem Sachverhalt notiert, was der Kläger vorbringt, auf der anderen Seite gleicht man ab, ob und was der:die Beklagte vorbringt. Stimmen sie überein, kann man einen Haken dransetzen. Wird es bestritten, ist auch klar, wo der Sachverhalt seinen Platz findet. Wird etwas nicht aufgegriffen oder bestritten, so gilt es als nichtbestritten i.S.d. § 138 III ZPO! So habe ich das auch für meine Akte gemacht.

Mit meiner Tabelle und dem Zeitstrahl war es mir dann endlich möglich die Zulässigkeit und Begründetheit zu prüfen. Diese Gliederung nutze ich dann für die Entscheidungsgründe. Neu dazu kamen die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit. Mit ein wenig Recherche im Kommentar findet man auch dazu die passende Lösung und vor allem die richtigen Formulierungen.

In einer Klausur kommt dann in der Regel noch ein Hilfsgutachten hinzu. Dort werden dann solche Probleme angesprochen, die im Urteil keinen Platz gefunden haben. Je nachdem wie die Klausur gestellt wurde, darf man das Hilfsgutachten nicht unterschätzen.

Die „richtige“ Gliederung

Das Zivilurteil hat also – wie soeben gelernt – eine eigene Struktur. Wenn der Aufbau ohnehin vorgegeben ist, muss man eigentlich nur noch alles an der richtigen Stelle verorten. Im Grunde genommen geht es also darum die „richtige“ Gliederung für sich selbst zu finden. Ich persönlich nutze einen Zeitstrahl, die T-Tabelle für den Tatbestand, viele Farben, um Parteien auseinander zu halten, oder um prozessuale Probleme zu kennzeichnen und die Formularsammlung. Mit diesem Vorgehen schaffe ich es, meine Gliederungen und Notizen in der Urteilsstruktur unterzubringen.

Alles in allem war das erste Urteil für mich echt in Ordnung. Nach der anfänglichen Überforderung musste ich feststellen, dass es mit einer Gliederung und einem groben Plan, auf jeden Fall machbar ist. Zu guter Letzt gibt es noch einen Tipp: schreibt im Urteilsstil! Offensichtlich, oder? Aber um ehrlich zu sein, ist das gar nicht mal so leicht, wenn man jahrelang den Gutachtenstil perfektioniert hat. Und falls es nicht beim ersten Mal direkt klappt, ist das auch ok – hier wird (noch) niemand verurteilt! 😉


Ein (kostenloses) Kurz-Skript zum Aufbau des Zivilurteils findet Ihr hier: https://www.repetitorium-hofmann.de/
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