Jurastudium: Wer hat Angst vorm Verwaltungspraktikum?

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Sechs Wochen Verwaltungspraktikum liegen jetzt hinter mir. Zugegeben: meine Vorfreude hielt sich in überschaubaren Grenzen. Seit Mitte des ersten Semesters hatte ich mich um ein Praktikum in der JVA beworben, jedoch machte mir erst Corona einen Strich durch die Rechnung, dann der Ansturm auf die wenigen Plätze. Meine Bewerbung bei der Region Hannover erfolgte also eher halbherzig und zudem mit der Bitte, irgendwo im Bereich Jugend untergebracht zu werden.

Als ich die Nachricht erhielt, man könne mir nichts Konkretes zusagen und würde mir erst wenige Wochen vor Beginn mitteilen können, wo man mich unterbringt, war ich einigermaßen frustriert. Als dann die E-Mail kam, ich solle in die Personalabteilung war ich vollends bedient und sehnte bereits vor Beginn des Praktikums das Ende herbei. Das Ende des Praktikums, meines, ganz egal. Ich sah mich im Geiste sechs Wochen Altakten schreddern und schaltete innerlich auf Überlebensmodus. Das meine Lieblingskommilitonin, selbst Beamtin im Jobcenter, seufzte: „Personalabteilung? Da würde ich um keinen Preis sitzen wollen“, hat es ehrlicherweise nicht besser gemacht.

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Der erste Tag – einfach mal reinschnuppern

Dann kam der erste Praktikumstag – und bestätigte erstmal jedes Vorurteil und Klischee von Verwaltung. Die Abteilung war vor kurzem umbesetzt worden, einige Mitarbeiter an andere Dienststellen versetzt. Unter anderem der freundliche Volljurist, der sich bis dahin verantwortlich gezeigt hatte für die Betreuung von Praktikanten. Im Haus hatte man mich gar nicht mehr wirklich auf dem Plan. Die erste halbe Stunde wurde also hektisch telefoniert. Es war gar nicht klar, ob ich nach Hause fahren und erst am nächsten Tag würde wiederkommen müssen, oder ob man mich nun doch in eine andere Abteilung setzen würde. Das Schöne an dieser herrlich absurden Episode war, dass sich meine Aufregung und Angst sofort lösten. Hier arbeiteten Menschen, die überdies noch äußerst freundlich wirkten, und denen der Fauxpas zudem unangenehm war. Schnell war klar, dass der Volljurist mit 25 Jahren Erfahrung als Anwalt mit eigener Kanzlei und später Verwaltungskarriere mich in der neuen Abteilung (Brand- und Katastrophenschutz) zumindest am ersten Tag unter seine Fittiche nehmen würde.

Dieser sorgte dann auch dafür, dass ich die nächsten sechs Wochen ein äußerst feines Praktikum erleben sollte, das wohl am ehesten mit „Schnupperpraktikum“ zu beschreiben wäre. Ich war jeden Tag ein paar Stunden vor Ort und hörte zu und lernte. Und von wegen Personalabteilung gleich reine Langeweile. Tatsächlich stellte ich schnell fest, dass die Abteilung „Personal“ als Knotenpunkt der Verwaltung fungiert. Ich durfte jetzt überall einmal reinschauen: Soziales, wirtschaftliche Jugendhilfe (Zuständigkeiten und Kostenausgleichsregelungen als Schwerpunkte der Verwaltungsarbeit), Finanzen (inklusive aller Probleme, die die Reform des Umsatzsteuerrechts für den öffentlichen Sektor mit sich bringt) und Personal mit Schwerpunkt Beamtenrecht (viel spannender als es klingt, wenn man dann, wie ich, auch Aktenstudium betreiben darf). Welche gesundheitlichen Kriterien muss ein Beamter auf Probe eigentlich erfüllen? Wer Richter werden will, der interessiert sich für diese Frage. Das Thema „Wahlen“ und die notwendigerweise existierende Doppelfunktion und Doppelverpflichtung des hauptverantwortlichen Mitarbeiters, der auf der einen Seite bei einigen Verpflichtungen Neutralität walten lassen muss, den auf der anderen Seite hingegen weisungsgebundene Verwaltungspflichten treffen, stellte sich als äußerst spannend heraus. 

Den interessantesten Part des Praktikums boten aber wohl die Ausschüsse und die Regionsversammlung. Politische Arbeit meets Verwaltung. Dazu kam ein Treffen mit dem Inklusionsbeauftragten. Diese Termine genoss ich, durfte ich doch Mäuschen spielen, wo die Öffentlichkeit regelmäßig ausgeschlossen ist.

Und Jura?

Um Recht ging es immer. Manchmal am Rande, gelegentlich wurde mir auch ein Gesetz in die Hand gedrückt. Welches Jugendamt ist zuständig, wenn Mutter und Vater sich während einer Jugendhilfemaßnahme trennen und beide in unterschiedliche Städte ziehen? Ist die Feuerwehr weisungsgebunden und wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage? Wie ist der Personalrat zu beteiligen, wenn eine Dienstanweisung für den Katastrophenfall erstellt wird? Was ist datenschutzrechtlich zu bedenken, wenn händische Personalakten digitalisiert werden sollen? Oder wenn der Inklusion dienende Software auf einen PC der Verwaltung gespielt werden soll? Müssen Übernahmepflichten auch dann eingehalten werden, wenn der zukünftige Mitarbeiter mehr Fehlzeiten als Arbeitstage aufweist?

Die wichtigsten Einblicke waren aber jedes Mal die, die die jeweiligen Schwächen in der Zusammenarbeit zwischen Legislative und Exekutive offenbarten. „Wir wollen das Deutschlandticket. Am besten vorgestern – Setzen Sie mal um!“. Das klappt wohl dank intensiven Austauschs zwischen Kollegen oft, aber nicht immer und bedeutet einen Haufen Mehrarbeit, der gelegentlich nur schwer kompensiert werden kann. Denn wenn sich etwas durch das gesamte Praktikum zog, dann die Tatsache, dass es der Verwaltung derzeit an Personal fehlt. Es fiel der Satz „arbeitnehmergesteuerter Arbeitsmarkt“. Was von außen oft behäbig und dysfunktional wirkt, offenbarte sich von innen als Ort, an dem eine Menge Menschen engagierte Arbeit leisten.

Aber ja: wo so viele Menschen tätig sind, sind Tempo und Flexibilität nur bedingt zu erreichen. Und die Verwaltung ist eigen und ein wenig Paralleluniversum, dreht sich in Teilen um sich selbst. Allerdings ein weit charmanteres Paralleluniversum, als ich zu Beginn befürchtet hatte. Ganz im Gegenteil zeigten sich viele Mitarbeiter dort offen, juristisch in ihrem Teilbereich kundiger, als es dem (angehenden) Juristen die sehr allgemeine Ausbildung erlaubt. Wer hat im Studium mehr als nur am Rande das SGB zur Hand nehmen müssen? Zumindest an unserer Universität ist das ein stiefmütterlich behandelter Rechtszweig, der einem kurz im Arbeitsrecht und dann nochmal im Familienrecht begegnet, ganz vorsichtig, am Rande. Gleiches dürfte wohl für Beamtenrecht gelten. Und erst die DSGVO!

Verwaltung als Berufsperspektive

Wohl auch zwecks Personalgewinnung wird es zukünftig möglich sein, bereits mit dem ersten Staatsexamen in den höheren Dienst der Verwaltung zu gehen. Tarifgruppe E 9a. Ich muss zugeben, dass ich (nicht zuletzt angesichts meines fortgeschrittenen Alters) für einen kurzen Moment mit dem Gedanken gespielt habe. Ein großer Schritt für jemanden, der zu Praktikumsbeginn noch die Hände über dem Kopf zusammenschlug und „um Gottes willen, bloß nicht Verwaltung“ von sich gab. Für mich soll es jetzt erstmal Jura sein, aber vielleicht ist diese Info ja für den einen oder anderen interessant.

Die Region Hannover jedenfalls hat sich während meines Praktikums als Arbeitgeber empfohlen. Ich hoffe nun darauf, während meines Referendariats noch einmal dort eingeteilt zu werden. Die Zeit war angenehm und kurzweilig und auch wenn Hörensagen vermuten lässt, dass Verwaltungspraktika alle sehr unterschiedlich verlaufen, gerade im Bezug auf die geleistete Arbeitszeit, so konnte ich mit dem Bericht doch hoffentlich dem einen oder anderen die Sorge nehmen, dass das Praktikum möglicherweise ausschließlich aus dem Schreddern von Altakten bestehen könnte.

Ich jedenfalls habe das Praktikum als Bereicherung empfunden und tauche nun ab in ein anderes Paralleluniversum: die Examensvorbereitung.

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Susannah Winter
Susannah Winter
Jurastudentin an der FernUniversität in Hagen, Autorin, Sängerin

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