Interview: Frag den …. Professor an einer Hochschule

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Juristische Berufserfahrung aus erster Hand: Im Interview mit Dr. Sven Müller-Grune

Dr. Sven Müller-Grune studierte Rechtswissenschaften in Jena und Granada (Spanien) und legte sein zweites Staatsexamen in Bayern ab. Promoviert hat er in Bonn. Von 2001-2014 war er Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Verwaltungsrecht sowie Vertragsrecht. Seit 2011 hat er die Professur für Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Hochschule Schmalkalden (Thüringen) inne. Zu seinen Lehrgebieten zählen das öffentliche Wirtschaftsrecht sowie das Immobilienrecht. Er lehrt und forscht außerdem im Bereich des anwendungsbezogenen allgemeinen Verwaltungsrechts/ Verwaltungsprozessrechts und im Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht.

Berufsspecial

Sehr geehrte Herr Dr. Müller-Grune, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Wissenswertes über sich und Ihren Beruf als Hochschullehrer mit unseren JURios-Leser:innen zu teilen! Wollten Sie eigentlich schon immer Professor werden? Und – warum gerade an einer Hochschule und nicht an der Uni?

Müller-Grune: Nein, ich wollte immer Rechtsanwalt werden. Die Stationen im Referendariat und die Erfahrungen aus meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni haben mich darin sogar bestärkt. Tatsächlich hatte ich schon bald als Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit eigener Sozietät meine Berufung gefunden. Es tat gut, wenn Mandanten von anderen Kanzleien gezielt „überwiesen“ wurden oder wenn selbst Verwaltungsrichter unsere Kanzlei ausdrücklich empfahlen. Das alleine hat mich trotzdem nie zufrieden gestellt. Nebenamtlich habe ich Lehrveranstaltungen an Hochschulen oder Universitäten durchgeführt, war in der beruflichen Aus- und Weiterbildung einschließlich der Referendarausbildung tätig, habe berufsbegleitend promoviert und Fachbeiträge veröffentlicht. Der Gedanke an eine Professur kam mir dennoch zunächst gar nicht.

Ein alter Freund aus der Schulzeit zeigte sich bei einem Wiedersehen darüber sehr überrascht. Er sei sich mit seiner Familie schon immer darin einig gewesen, dass ich einmal Professor werden würde. Erst das gab ernsthaft Anlass, darüber nachzudenken. Konkret war es dann aber die mit einem signifikanten Ortswechsel verbundene berufliche Veränderung meiner Frau, die mich zur Bewerbung auf meine erste Professur an einer Hochschule in NRW veranlasste. Ich hatte das aber zunächst als vorübergehendes Abenteuer betrachtet und wusste auch gar nicht so recht, was auf mich zukommen würde. Bereut habe ich es nie. Die Arbeit mit den Studierenden ist derart erfüllend und bereitet so viel Freude, dass ich bisher nicht ernsthaft über eine Rückkehr in den Anwaltsberuf nachgedacht habe. Das mag auch daran liegen, dass die Tätigkeit an der Hochschule noch enorm viel Freiraum für praktische Tätigkeiten lässt, so dass ich meinem Bedürfnis nach der Bearbeitung „echter“ Fälle weiter nachgehen kann.

Die Tätigkeit an einer Universität kam dagegen gar nicht in Betracht. Ohne Habilitation fehlt es schon an der Qualifikation. Das ist auch absolut in Ordnung, ich sehe mich nicht im reinen Wissenschaftsbetrieb mit deutlich reduzierter Lehre.

Sie spielen eine Runde Tabu und müssen als Erklärer Ihren Mitspieler:innen den Begriff „Professor“ umschreiben. Welche fünf Tabu-Begriffe, die dabei nicht genannt werden dürfen, stehen auf Ihrer Karte, um Ihren Suchbegriff nicht direkt zu entlarven?

Müller-Grune: Lehrtätigkeit, Lehrfreiheit, Studierende, Selbstbestimmung, Zufriedenheit

Nehmen Sie uns an die Hand und führen Sie uns durch einen typischen Arbeitstag als Professor an der Hochschule Schmalkalden. Was unterscheidet Ihren Beruf von einem Prof. an einer Universität?

Müller-Grune: Der besondere Reiz meiner Tätigkeit besteht darin, dass es diesen „typischen Arbeitstag“ nicht gibt. Wir Professoren an der Hochschule haben ein Lehrdeputat von 18 Stunden pro Woche und damit das Doppelte der Lehrverpflichtung eines Universitätsprofessors zu erfüllen. Dieser Umfang ist aber relativ zu sehen, da manche Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Hochschule zu einer Reduzierung führt. Darüber hinaus sprechen wir bei zwei Semestern von zweimal 15 Wochen Lehre im Jahr. Diese Lehrtätigkeit wird in der Woche meist auf zwei bis drei Tage verteilt, so dass mindestens zwei Tage für organisatorische Zwecke, Beratung und Betreuung von Studierenden, Selbstverwaltungstätigkeiten und für Nebentätigkeiten verbleiben. Die verbleibenden 22 Wochen des Jahres sind vorlesungsfrei. Es verbleibt aus meiner Sicht sehr viel Zeit, um sich anderen interessanten Dingen zuzuwenden. Was das sein kann, bestimme ich selbst. Darin liegt ein großer Vorteil meiner Tätigkeit.

Während in der Kanzlei Akten und Fristen drückten, kann ich mich jetzt manchen spannenden Fragestellungen mit mehr Ruhe und Tiefgang widmen. Forschung und Praxis gehen da bei mir Hand in Hand. Mir ist es wichtig, nichts rein Akademisches zu produzieren. Daher begleite ich auch weiterhin Verfahren vor Gericht oder bin in gestaltende Tätigkeiten eingebunden. Darin sehe ich auch einen der wichtigsten Unterschiede zur Universitätsprofessur, obwohl auch dort inzwischen immer mehr Kolleginnen und Kollegen verstärkt praktisch tätig werden. Dennoch ist die Lehre meine Hauptbeschäftigung. Ich liebe es, vor dem Auditorium zu stehen und die sich mir aufdrängende Logik des Verwaltungsrechts hoffentlich erfolgreich zu vermitteln. Die lange vorlesungsfreie Zeit ist daher eigentlich gar nichts so richtig für mich. Ich fühle mich dann wie ein Bühnenkünstler ohne Engagement, also schon etwas frustriert. Vielleicht habe ich deshalb noch nie ein Freisemester für Forschungstätigkeiten beantragt, worauf alle paar Jahre ein Anspruch bestünde.

Apropos „typischer Tag“: Was sind typische juristische Probleme, die Ihnen tagtäglich in Ihrer Arbeit begegnen – was war im Gegenteil dazu das Kurioseste, was Ihnen im Berufsleben widerfahren ist?

Müller-Grune: Da ich an meiner Fakultät das öffentliche Recht alleine vertrete, ist das Spektrum zunächst recht breit. Grundlagen lehre ich im Verfassungs-, Europa-, Verwaltungs- und Sozialrecht; seit kurzem ergänzt um Grundlagen der Digitalisierung des Rechts in diesen Bereichen. Das ist Pflichtprogramm für alle Studierenden unseres Studienganges „Wirtschaftsrecht“. Wahlweise kann dann bei mir der Schwerpunkt im öffentlichen Wirtschaftsrecht belegt werden, wo ich mich verstärkt der Zulässigkeit und den Grenzen der wirtschaftlichen Tätigkeit im kommunalen Bereich widme. Auf besonderes Interesse stößt auch das öffentliche Baurecht, damit kann jeder etwas anfangen. In diesen Bereichen fließt auch ein Fundus aus früherer und aktueller Praxis in die Lehre ein, was hoffentlich nicht nur ich bereichernd empfinde.

Foto: Ina Horn

Die Frage nach dem kuriosesten Erlebnis zu beantworten, fällt mir etwas schwerer. Es gab einmal eine Bewegung von „Nacktwanderern“, mit der ich gelegentlich zu tun hatte. Diese ließen sich nur schwer davon überzeugen, dass die Wanderung in unmittelbarer Nähe von Diakonissenheimen nicht unbedingt die beste Idee ist. So kam es immer wieder zu Konflikten mit Ordnungshütern, die ich dann dienst- und vor allem presserechtlich zu vertreten hatte. Die plastischen Schilderungen und Beschreibungen in den Beschwerden über exponierte Körperteile haben mich da einige Male zum Lachen gebracht.

Was reizt Sie daran, mit jungen Menschen zu arbeiten? Wie gehen Sie damit um, wenn Reformen im Bereich der Juristenausbildung immer wieder aufgeschoben werden? Betrifft das auch den Hochschulbereich?

Müller-Grune: Die Zusammenarbeit mit jungen Menschen ist sehr erfüllend. Sie in der Ausbildung zu begleiten, zu ihrem Abschluss beizutragen, zwischendurch auch mit Rat und Tat unterstützend zur Verfügung zu stehen und sogar beim Start in den Beruf mitzuhelfen – das alles macht stolz und ist Ertrag eigenen Engagements. Zu vielen Absolventinnen und Absolventen besteht auch heute noch Kontakt, ich verfolge gerne die Karriere. Viele sind heute in leitenden Positionen tätig und halten gerne weiter Kontakt zu „ihrem Professor“. Im Moment stehe ich auch unserem von mir mitbegründeten Alumniverein vor, was eine noch größere Nähe schafft.

Die Reformen im Bereich der Juristenausbildung beobachte ich eher interessiert von der Seitenlinie. Da wir im Hochschulbereich keine Staatsexamina anbieten, sind wir in der inhaltlichen Gestaltung der Studiengänge wesentlich flexibler und können so eigenverantwortlich und schneller auf sich ändernde Anforderungen reagieren. Der Studiengang „Wirtschaftsrecht“ entstand Mitte der 90iger Jahre als Diplom-Studiengang in Reaktion auf konkrete Bedürfnisse der Praxis. Vieles in der Ausbildung der Volljuristen wurde und wird in der Wirtschaft als überflüssig angesehen. Muss jeder Jurist denn wirklich die Streitigkeiten zum Prüfungsrecht des Bundespräsidenten oder den Anspruch einer Partei auf Zugang zur Stadthalle kennen? Schaut man regelmäßig die Ausbildungszeitschriften an, scheinen diese Themen ja entscheidend für den Zugang zum juristischen Beruf zu sein.

In Wirklichkeit täten auch da Kreativität und Mut zum „Ausmisten“ sehr gut. Zumal die mit der Digitalisierung einhergehenden Problemstellungen keinen rechtlichen Bereich ersetzen, sondern zusätzliche Lehr- und Lernkapazitäten in Anspruch nehmen. Da muss irgendwo etwas gekürzt werden. Fragen Sie mich daher als Volljuristen, dann unterstütze ich Bestrebungen nach einer zügigen Reform, die vor allem inhaltlich radikal einiges ändert. Auch die Einführung eines integrierten LL.B. halte ich für richtig. Dieser qualifizierte Abschluss vor dem Staatsexamen bringt ausschließlich Vorteile mit sich. Als Professor an einer Hochschule erfüllt mich dieses Konzept allerdings mit Sorge – der Konkurrenzdruck um die Gewinnung von Studierenden wird dadurch stärker. Dabei wird sich der von uns als Fachhochschule angebotene LL.B. wegen seiner Ausrichtung an den Bedürfnissen der Praxis weiterhin grundlegend von den universitären Abschlüssen unterscheiden, aber das müssen wir dann eben noch deutlicher kommunizieren.

Jetzt haben Sie uns schon sehr von Ihrem Beruf überzeugen können. Was muss man tun, um eine Karriere als Professor:in zu ergreifen und welche Voraussetzungen sollte man dabei mitbringen? Unter welchem Umständen würden Sie dazu raten, von dieser Berufswahl abzusehen?

Müller-Grune: Die Voraussetzungen für die Karriere als Professor:in an einer Fachhochschule sind in allen Hochschulgesetzen sehr ähnlich formuliert. Es wird eine Berufserfahrung von mindestens fünf Jahren gefordert, von denen drei Jahre außerhalb einer Hochschule oder Universität erbracht sein müssen. So soll der besondere Praxisbezug an einer Hochschule sichergestellt werden. Auch muss die Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten nachgewiesen werden, was in der Regel durch eine qualifizierte Promotion sowie durch Veröffentlichungen nachzuweisen ist. Und es muss natürlich Lehrerfahrung bestehen. Wer also die Professur zum Ziel hat, sollte sich frühzeitig nebenberuflich in der Lehre engagieren. Lehrbeauftragte werden oft gesucht.

Wem die Lehrtätigkeit gleich aus welchem Grund nicht liegt, sollte sich nicht auf eine Professur bewerben. Die Lehre ist das „Kerngeschäft“ und die jungen Leute haben es verdient, dass wir uns mit Engagement und auch Freude dieser Tätigkeit widmen.

Zu guter Letzt: Versetzen Sie sich in Ihr Erstsemester-Ich zurück. Was würde es heute von Ihrem Werdegang halten und umgekehrt: was würden Sie Ihren Erstsemester-Ich raten?

Müller-Grune: Mein Erstsemester-Ich würde sich verwundert die Augen über den Werdegang reiben. Ich hatte überhaupt keine Ahnung davon, wohin die Reise gehen könnte. Heute würde ich ihm raten, sich frühzeitig intensiver mit den Grundlagen zu befassen und das Recht als darauf beruhendes Regel-Ausnahme-System zu verstehen. Diese frühe Erkenntnis hätte mir viel Frust während des Studiums erspart – ich stand mehrmals kurz vor dem Abbruch. Es war dann aber goldrichtig, sich ohne Repetitorium auf das erste Staatsexamen vorzubereiten und dabei die ganze Konzentration auf das systematische Verständnis zu legen. Da dachte ich tatsächlich: Hätte Dir das mal jemand früher erklärt!  

Sehr geehrter Herr Prof. Müller-Grune, vielen Dank für Ihre spannenden Einblicke!

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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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