Juristische Berufserfahrung aus erster Hand: Im Interview mit RAin und Notarin Annika Seebach
Annika Seebach studierte Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen. Ihr Rechtsreferendariat führte sie nach Kassel, Hamburg und New York City. 2019 gründete sie die Kanzlei SEEBACH FREY & PARTNER. Heute ist sie Fachanwältin für Erbrecht und Notarin. Um mehr Frauen für den Beruf der Rechtsanwältin begeistern zu können, finden in den Kanzleiräumlichkeiten einmal jährlich das Event „give a girl a robe and she can conquer the world“ statt, das sich an junge Frauen richtet. Im November 2023 wurde Annika Seebach von der Wirtschaftswoche der BEST OF LEGAL Award in der Kategorie ‘Leader des Jahres’ verliehen.
Sehr geehrte Frau RAin Seebach, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, Wissenswertes über sich und Ihren Beruf als Rechtsanwältin und Notarin mit unseren JURios-Leser:innen zu teilen! Wollten Sie eigentlich schon immer in die Anwaltschaft? Und wie kam es zur Bestellung als Notarin?
Seebach: Sehr geehrtes JURios-Team, auch Ihnen zunächst herzlichen Dank für den interessanten Austausch. Im Rahmen der juristischen Ausbildung durchläuft man einzelne Stationen. Dazu zählen mitunter Gerichts- und Verwaltungspraktika (Letzteres habe ich bei der Polizei absolviert), aber auch das Praktikum bei einem Rechtsanwalt/ einer Rechtsanwältin. Um ehrlich zu sein, war ich jedes Mal von den neuen praktischen Erfahrungen in der juristischen Berufswelt fasziniert. Dies hat sich in den einzelnen Stationen des juristischen Vorbereitungsdienstes fortgesetzt. Doch die Anwaltschaft hat mich stets in besonderer Art und Weise gefesselt. Einen Fall zu bearbeiten, indem man sich voll und ganz einer Seite widmet und erst zufrieden ist, wenn man in den juristischen Datenbanken ein Argument findet, welches für den zu vertretenen Standpunkt günstig ist- das hat in mir stets unglaublich viel Enthusiasmus geweckt. Hinzu kommt, dass ich seit meinem Anwaltspraktikum im Studium in eben jener Rechtsanwaltskanzlei nebenbei tätig war, um mir das Studium zu finanzieren. Das hat geprägt und somit war eigentlich früh klar, dass ich Rechtsanwältin werden möchte.
Im Referendariat habe ich sodann die Anwaltsstation genutzt, um weiter tief in den Beruf einzutauchen. Ich war vier Tage die Woche Vollzeit in einer erbrechtlich ausgerichteten Kanzlei tätig. Dies hat meine Liebe zu diesem Rechtsgebiet geweckt und im Rahmen der Tätigkeit als Rechtsanwältin und später Fachanwältin für Erbrecht kam ich immer wieder an diesen einen Punkt: die notarielle Urkunde- sei es als Testament, als Erbvertrag, Erbausschlagung oder -auseinandersetzung. Erbrecht und Notariat stehen in enger Verbindung. Eben diese notarielle Tätigkeit fand ich unglaublich spannend und wollte sie erlernen. Von der einseitigen Interessenwahrnehmung zur objektiven Stellung und dem stetigen Ziel, eine rechtssichere Urkunde zu schaffen- das war eine neue Seite der Juristerei und für mich erstrebenswert. Die Praxis bestätigt es. Jeder Tag, jede Beurkundung ist anders und als Anwaltsnotarin darf ich auch weiter vor Gericht einseitige Interessen vertreten. Für mich ist dies die perfekte Kombination.
Sie spielen eine Runde Tabu und müssen als Erklärerin Ihren Mitspieler:innen den Begriff „Notarin“ umschreiben. Welche fünf Tabu-Begriffe, die dabei nicht genannt werden dürfen, stehen auf Ihrer Karte, um Ihren Suchbegriff nicht direkt zu entlarven?
Seebach: Schnelllesen, Jurist, Urkunde, Hauskauf, Unterschrift
Nehmen Sie uns an die Hand und führen Sie uns durch einen typischen Arbeitstag als Kanzleigründerin und Notarin. Was unterscheidet Ihren Beruf von dem einer angestellten Anwältin?
Seebach: Ca. gegen 9 Uhr komme ich ins Büro. In der Regel folgen zunächst einige Gespräche mit den Mitarbeitenden, damit wir uns in laufenden Sachen austauschen und auf den aktuellen Stand bringen. Sodann sind Beurkundungen terminiert, es erfolgen Mandantengespräche oder es finden Gerichtstermine statt. Mein Arbeitsalltag unterscheidet sich sicherlich am meisten zu dem einer angestellten Anwältin durch meine freie Zeiteinteilung. Mir persönlich ist eben diese Freiheit unglaublich wichtig. Als Selbstständige muss ich nicht arbeiten, wenn andere es mir vorschreiben. Gerade in den ersten drei Jahren der Selbstständigkeit habe ich sehr viel auch nachts gearbeitet.
Darüber hinaus ist sicherlich die zeitliche Komponente, welche allgemeine unternehmerische Tätigkeiten einnimmt, nicht zu unterschätzen. Es müssen Mitarbeitergespräche geführt werden und man versucht stets das Büroklima im Ausgleich zu halten. Insbesondere als Gründerin nimmt das Teambuilding sehr viel Zeit in Anspruch. Die Bedeutung des Teamspirits und wie die Mitarbeitenden für das Unternehmen „brennen“ darf nicht unterschätzt werden.
Darüber hinaus muss man die Zahlen kennen, sich mit dem Steuerberater austauschen, Marketing planen und umsetzen. Sicherlich nehmen diese Aufgaben mind. 1/3 der Arbeitszeit ein. Doch ich persönlich genieße sehr, dass ich auf diese Art und Weise gestalterisch tätig werden und ein Unternehmen aufbauen kann. Ideen umzusetzen und etwas Neues auszuprobieren hat mir als angestellte Rechtsanwältin sehr gefehlt.
Apropos „typischer Tag“: Was sind typische juristische Probleme, die Ihnen tagtäglich in Ihrer Arbeit begegnen – was war im Gegenteil dazu der kurioseste Fall, der Ihnen im Berufsleben widerfahren ist?
Seebach: Typische alltägliche juristische Probleme sind sicherlich die Käufer, die früher ins Haus möchten, obwohl der Kaufpreis noch nicht fällig ist. Als Notarin muss ich jedoch darauf achten, dass beide Parteien hinreichend abgesichert sind und auf mögliche Risiken hinweisen. In der erbrechtlichen Anwaltspraxis ist für mich das ungeliebte und enterbte Kind, welches nun nach dem Tode eines Elternteils den Pflichtteil einfordert, ein Klassiker. Der kurioseste Fall ist nicht ganz jugendfrei :D. Doch erstaunt war ich zum Beispiel im Rahmen einer erbrechtlichen Auseinandersetzung. Vor Auflösung des Haushalts der angeblich verarmten Großmutter haben wir alle noch einmal gemeinsam den Hausrat gesichtet. Dieser wirkte, als habe die Erblasserin recht bodenständig gelebt. Natürlich haben sich die Enkelinnen die einzelnen Handtaschen der Großmutter angeschaut. In einer hiervon haben sich so viele Goldbarren nebst Bargeld befunden, dass der Esstisch nicht ausreichte, um alles auszubreiten und zu zählen.
Als Kanzleigründerin sind Sie auch für die Personalgewinnung zuständig. Auch die Anwaltschaft bekommt so langsam den Fachkräftemangel zu spüren? Wie gehen Sie damit um und kann Frauenförderung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hier helfen?
Seebach: Frauenförderung und ein wacher Blick für die Bedürfnisse der potentiellen Mitarbeitenden helfen definitiv. M.E. haben aber auch die Büroausstattung und das Miteinander eine unglaublich große Wirkung darauf, ob sich weitere Fachkräfte bewerben. Das Gehalt ist hier gewiss nicht alles. Wir verbringen so viel Zeit im Büro. Da muss man sich mit dem Unternehmen identifizieren können, gerne auch mal mehr leisten, damit das Ergebnis stimmt und vor allem mit Freude zur Arbeit fahren. Wir haben zum Beispiel ein festes Kanzlei-Frühstück in der Woche und verbringen darüber hinaus nahezu jedes Mittagessen gemeinsam (was kein Muss ist). Wir tauschen uns gerne aus und ich empfinde eben dieses Miteinander als sehr wichtig. Ich habe Kanzleien erlebt, in welchen stark zwischen der Mittagspause der Rechtsanwälte und der der Rechtsanwaltsfachangestellten unterschieden wurde. Auch war es z.B. ein absolutes No-Go, wenn sich Rechtsanwalt und Fachangestellter geduzt haben. Diese starren Hierarchien gibt es bei uns nicht. Wir sind alle per Du und gehen alle gleich miteinander um.
Jetzt haben Sie uns schon sehr von Ihrem Beruf überzeugen können. Was muss man tun, um Notarin zu werden und welche Voraussetzungen sollte man dabei mitbringen? Unter welchen Umständen würden Sie davon abraten sich als Rechtsanwältin (oder Notarin) selbstständig zu machen?
Seebach: In der Bundesrepublik Deutschland haben wir zwei Notariatsformen. In vielen Bundesländern übt man das Notaramt hauptberuflich und ausschließlich aus. Zuvor durchläuft man einen Anwärterdienst. U.a. in Hessen ist man nicht nur Notar/ Notarin, sondern auch Rechtsanwalt/ Rechtsanwältin. Um zum Notar/ zur Notarin bestellt zu werden, muss man mindestens fünf Jahre als Rechtsanwalt/ Rechtsanwältin tätig sein und dies auch nachweisen. Zudem muss man die notarielle Fachprüfung ablegen, praktische Zeiten nachweisen und je nach Bedarf mind. zwei bis drei Jahre in dem Gebiet, in welchem man bestellt werden möchte, anwaltlich tätig sein. Auch wird geprüft, ob man als Person des Amtes würdig ist.
Neben den vorgegebenen Voraussetzungen muss man die der anwaltlichen Tätigkeit fremde objektive Position den Beteiligten gegenüber mögen und in den Beurkundungsverfahren stets darauf hinwirken, dass sämtliche Interessen berücksichtigt werden. Genauigkeit ist daher jeden Tag aufs Neue gefragt. Man ist Träger eines öffentlichen Amtes und hat sich auch so zu verhalten. Die jeweilige Urkunde muss rechtssicher gestaltet werden und soll so einen möglichen Rechtsstreit verhindern. Infolge dessen kann auch die Abwicklung des Urkundsgeschäfts mitunter „nervenaufreibend“ sein. Es kann vorkommen, dass die einzelnen Behörden im Nachgang zu der Beurkundung sogenannte Verfügungen erlassen und das rechtliche Begehren nicht eintragen. Ich kenne viele Juristen, für welche dies nichts ist.
Auch die Bindung an den Dienstsitz hält einige Juristen von der Entscheidung Notar oder Notarin zu werden ab. Notare sind immer selbstständig tätig. Ein Angestelltenverhältnis ist mit dem Amt nicht vereinbar. Personen, welche ihren „9 to 5 job“ schätzen und sich nach der Arbeit ungern Gedanken über die juristische Tätigkeit machen möchten, rate ich von der Selbstständigkeit ab. Das Notariat lebt oft auch von der Schnelligkeit. Nicht selten setzen wir uns abends, nachts oder am Wochenende an den PC und entwerfen Urkunden oder beurkunden sogar. Wenn Gefahr in Verzug ist und jemand im Sterben liegt, müssen wir in kürzester Zeit ein rechtssicheres Testament entwerfen, welches den Wünschen des Beteiligten entspricht. Sodann fahren wir u.a. ins Krankenhaus oder Hospiz und beurkunden das Testament. Man ist als Notar/ Notarin generell sehr nah am Menschen und dessen Bedürfnissen, Ängsten und Wünschen. Ich persönlich habe schon immer den Umgang mit Menschen sehr gemocht. Empathie kann in diesem Amt gewiss nicht schaden.
Zu guter Letzt: Versetzen Sie sich in Ihr Erstsemester-Ich zurück. Was würde es heute von Ihrem Werdegang halten und umgekehrt: was würden Sie Ihren Erstsemester-Ich raten?
Seebach: Mein Erstsemester-Ich würde aus Ehrfurcht nie im Leben damit rechnen, dass es einmal diesen Weg einschlagen wird. Ich habe mir sehr lange sehr wenig in der Juristerei zugetraut. Da waren stets die Kommilitonen, deren Familien bereits seit Generationen Juristen hervorgebracht haben, welche bereits im ersten Semester den Namen der einzelnen Kommentare kannten und ganz klar war, dass sie einmal in Daddy’s Kanzlei einsteigen. Ich hingegen habe ehrlicherweise jedes Semester mit mir gehadert. Der wichtigste Ratschlag den ich damals erhalten habe war, dass ich nicht das Studium, sondern den späteren Beruf lieben muss. Somit hatte ich stets, auch im Rahmen meiner Nebentätigkeit, vor Augen, was mich fesselt und interessiert. Dies war ganz klar die praktische Tätigkeit als Juristin.
Ich würde daher meinem Erstsemester-Ich raten, dass es nie das Ziel außer Augen verlieren darf und Noten nicht alles sind. Ob man ein guter Jurist ist, hängt für mich nicht nur mit den Noten im Zusammenhang, sondern auch viel mit Wortgewandtheit, Schlagfertigkeit, Empathie, Erfahrung und Mut.
Sehr geehrter Frau RAin Seebach, vielen Dank für Ihre spannenden Einblicke!