ARD-Serie “Testo” – Ein Banger für die Yolo-Kids?

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Die ARD konnte es mal wieder nicht lassen. Nachdem sie bereits 2023 mit der aktuell bei Netflix sehr beliebten Gefängnis-Serie „Asbest“ im LTO-Faktencheck weitgehend durchgefallen war, präsentiert die ARD Anfang Februar in ihrer neuen Gangster-Serie „Testo“ erneut eine unglaubwürdige Story.

In sieben Folgen inszeniert der vor allem für seine Darstellung des arabischen „Clan“-Chefs Ali „Toni“ Hamady in der Serie „4 Blocks“ bekannte Schauspieler Kida Khodr Ramadan als Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Co-Regisseur in Personalunion einen bewaffneten Banküberfall mit Geiselnahme.

„Wir ficken jetzt die Bank“

Die „knallharte Bankräuberstory“ ist simpel und schnell erzählt: Fünf verurteilte Straftäter, alle seit Kindheitstagen miteinander befreundet, befinden sich zufällig alle gleichzeitig im offenen Vollzug einer Berliner JVA. Sie heißen Keko, Stulle, Pepsi, Barro und Kongo und wollen vor allem eins: Nie wieder ins Gefängnis. Also überfallen sie gemeinsam eine Bank. Ihre Philosophie ist ebenso einfach wie vulgär: „Entweder wir ficken oder lassen uns ficken. Wir ficken jetzt die Bank“.

Doch die Sache läuft aus dem Ruder, als der vorgebliche Alpha-Gangster Pepsi angesichts der vielen, unerwartet frei zugänglichen, Bankschließfächer die Nerven verliert. Vor lauter Aufregung erschießt er einen Sicherheitsmann. Es entspinnt sich ein bewaffnetes Geiseldrama. Die Verhandlungen zwischen Polizei und Bankräubern beginnen. Eine sichtlich überforderte Streifenpolizistin übernimmt die Einsatzleitung: “Waffe runter, wir finden sicher eine Lösung”.

Ein Banger für die Tik-Tok-Jugend?

Die Episoden des von der ARD selbst als „experimentel“ gelabelten Formats sind nur 15 Minuten lang. Sie tragen Namen wie „Habibi“, „Chaos“ und „Eskalation“. Die Genese der Serie ist eigenwillig: Nach nur 14 Tagen war „Testo“ im Kasten. Die ARD spricht von einem „kreativen und innovativen Regiekonzept“. Die meiste Zeit wurde improvisiert – besonders spürbar bei den Dialogen: Die Protagonisten verwenden mit derart inflationärer Häufigkeit kraftvoll-obszönes Vokabular, dass auch fortgeschrittenen Bildungsbiografien ein niedrigschwelliger Einstieg in den Soziolekt der Straße möglich ist. Veredelt wird das Spektakel durch melodischen Deutschrap und tiefschürfende Lines wie: „Wir fahren paar Kilos über die Schweiz. Ware aus Rio, mach guten Preis. Jaja, Habibo, Knast oder reich“ (Veysel, Habibo).

Welche Mission die ARD dazu antrieb, ist schnell durchschaut: „Testo“ soll bei den vom TikTok-Algorithmus kannibalisierten Yolo-Kids viral gehen. Die öffentlich-rechtlichen Medien wollen mit diesem fetzigen Banger endlich knorke werden. Und dabei natürlich authentisch bleiben. Daher wird „Testo“ in der ARD-Mediathek auch als „furioser Trip“ beworben, „als wäre [man] selbst live in der Bank dabei“. Kida Khodr Ramadan macht zudem gleich zu Beginn des Making-Ofs deutlich: „Die Serie ist absolut kein Fake und darauf bin ich stolz“.

„Testo“ ist ein skurriler Trip

„Testo“ ist zwar in der Tat ein „Trip“, allerdings eher einer von der skurrilen als der furiosen Sorte. Die Serie ist, um im Zielgruppen-Jargon zu bleiben, einfach anders cringe. Sie fährt bei den Zuschauer:innen-Bewertungen in der ARD-Mediathek 2,5, bei Google solide 2,1 von 5 Sternen ein.

Eine Ursache für die schlechten Bewertungen wird sicher die gnadenlos übertriebene und realitätsferne Darstellung des Banküberfalls sein. So sind die Verhandlungen zwischen der Polizei und den Räubern schlicht grotesk: Die Täter lassen sich von der Polizei nicht nur Döner und Ayran, sondern auch Kokain, Tilidin und Lachgas liefern. Plötzlich taucht zudem eine von ihnen bestellte Prostituierte am Tatort auf. „Wir besorgen denen da drinnen jetzt alles, was sie brauchen. Die müssen jetzt runterkommen“, lautet die polizeiliche Devise. Die Glaubwürdigkeit erhöht sich auch nicht gerade dadurch, dass Keko vor der Bank und den Augen des SEKs mit seinem Sohn Fußball spielt und Barro über das rote Flatterband hinweg von seiner Mutter eine Respektschelle nach der anderen kassiert.

Polizei und SEK als unorganisierte Gurkentruppe inszeniert

„Testo“ könnte kaum weiter von der Realität entfernt sein. Gleichwohl bleibt diese überzogene Darstellung all ihrer Unglaubwürdigkeit zum Trotz den Serienmachern als Ausdruck ihrer künstlerischen Freiheit unbenommen. Schließlich ist die Geschichte fiktiv.

Problematisch wird diese kreative Wirklichkeitsinterpretation allerdings dort, wo unkritisch gesellschaftliche Vorurteile bedient werden. Hierzu gehört etwa das die Serie maßgeblich tragende Narrativ von einer durch und durch korrupten, überforderten und unprofessionellen Polizei. „Testo“ inszeniert die deutschen Ordnungshüter einschließlich ihrer Spezialeinheit SEK als unorganisierte Gurkentruppe, die mit müheloser Leichtigkeit von fünf ebenso schlecht organisierten Straftätern ausgedribbelt wird. Sie steht damit der ebenso zweifelhaften ARD-Serie „Asbest“ in nichts nach. Auch dort diente das „Vorurteil, Staatsdiener seien in aller Regel manipulativ und korrupt“ der dramaturgischen Zuspitzung.

Ein suspendierter Polizist als Einsatzleiter?

Vergleichsweise leicht als künstlerische Fiktion zu erkennen sind die an Arbeitsverweigerung grenzende Lethargie des SEK und die wundersame „Personalplanung“ der Polizeipräsidentin. Diese befördert erst spontan die offensichtlich unerfahrene Streifenpolizistin Fischer zur Einsatzleiterin einer bewaffneten Geiselnahme und tauscht diese später durch einen suspendierten, bei den Gangstern unter dem Codenamen „Schweinebacke“ bekannten und von ihnen sehr geschätzten, Beamten aus.

Im echten Leben dürfte ein suspendierter Polizeibeamter aus gutem Grund gar nicht erst zum Dienst erscheinen. Eine Suspendierung erfolgt nämlich nur, wenn ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird und der Verdacht eines sehr schweren Dienstvergehens besteht. Dieses muss voraussichtlich zu schwerwiegenden Konsequenzen wie zum Beispiel einer Beendigung des Beamtenverhältnisses führen können (§ 38 Abs. 1 BDG bzw. für den Berliner Polizisten „Schweinebacke“ s. § 38 Abs. 1 Berliner DiszG). Was dem Serienpolizisten „Schweinebacke“ vorgeworfen wird, bleibt unklar. Ebenso, ob seine Suspendierung kurzfristig aufgehoben und das Disziplinarverfahren eingestellt wurde. Klar ist aber: In der Realität hätte er sicher nicht einfach zum Tatort vorfahren, „‘ne Dienstwaffe, ‘ne Weste und die Einsatzleitung“ verlangen können. Sehr wahrscheinlich wäre er auch nicht von der Polizeipräsidentin persönlich dafür gelobt worden, wie er da „Verantwortung übernimmt“.

Fördert Testosteron Gewaltdelikte?

Nicht ganz so leicht zu entlarven ist aber das Vorurteil, das im Serientitel „Testo“ angelegt ist: Dieser spielt auf die populäre Erklärung aggressiven Verhaltens durch das männliche Sexualhormon Testosteron an. Sind die in der Serie gezeigten Gewalttaten wie Prügeleien und das anlasslose Erschießen von Geiseln tatsächlich auf dieses Hormon zurückführbar? Auf den ersten Blick scheint diese These plausibel. Dass Männer grundsätzlich gewaltbereiter sind als Frauen, zeigen schließlich die Hellfelddaten der Polizeilichen Kriminalstatistik. Im Jahr 2022 waren dort 83,6 % der für „Gewaltkriminalität“ erfassten erwachsenen Tatverdächtigen männlich.

Doch wie stets in der Kriminologie, scheitert eine solche monokausale Betrachtung an der komplexen Wirklichkeit. Es ist nach dem aktuellen Stand der kriminalbiologischen Forschung nicht belegt, dass Testosteron eine Ursache von Gewaltkriminalität ist. Die Studienlage uneindeutig (vgl. dazu etwa die Metaanalyse v. Archer/Graham-Kevan/Davies 2005). Zwar lassen sich durchaus Zusammenhänge beobachten; ungeklärt ist aber die Kausalrichtung, also die Frage von Ursache und Wirkung. Man weiß also nicht, ob eine erhöhte Ausschüttung von Testosteron Aggressionen verursacht oder ob umgekehrt Aggressionen eine erhöhte Ausschüttung des Hormons hervorrufen.

In der kriminologischen Literatur werden diverse andere Erklärungen für die männliche Dominanz im Phänomenbereich Gewaltkriminalität diskutiert. Ein aktuell viel beachteter, wenngleich nicht unumstrittener, Ansatz ist das der psychologischen Geschlechterforschung entstammende Konzept der „fragilen Männlichkeit“. Seine Kernannahme ist, dass Männer mit Aggression reagieren, wenn sie sich in ihrem Status als Mann bedroht fühlen und diese Bedrohung kompensieren wollen (grundlegend Kaufmann 1987).

Es bleibt ein großes Fragezeichen

Nach sieben Folgen „Testo“ bleibt nicht viel, wohl aber ein großes Fragezeichen: Braucht es dieses realitätsferne Narrativ vom planlosen Rechtsstaat ausgerechnet in Zeiten, in denen populistische Rufe nach einem autoritären Staat ohnehin immer lauter werden?

Eines braucht es jedenfalls ganz sicher nicht: Eine Fortsetzung. Ob die ARD eine 2. Staffel plant, ist zwar noch nicht bekannt. Zeitnah umzusetzen wäre diese aber sowieso nicht, da zunächst ein 10-monatiger Gefängnisaufenthalt des Hauptdarstellers Kida Khodr Ramadan abzuwarten wäre.

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Katharina Reisch
Katharina Reisch
Dipl. Jur. Katharina Reisch promoviert am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler und ist zugleich wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Prof. Dr. Uwe Murmann an der Georg-August-Universität Göttingen.

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