Der Reader “Unrecht mit Recht?” fordert die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht im Jurastudium

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Am 15. April erschien „Unrecht mit Recht?“ – Der Reader zu Nationalsozialismus und juristischer Ausbildung. Wir durften reinlesen und haben mit den Initiator:innen über die Hintergründe des Projekts gesprochen.

Seit 1. Januar 2022 schreibt § 5a Abs. 2 S. 3 Hs. 2 Deutsches Richtergesetz vor, dass die Vermittlung der Pflichtfächer auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur erfolgen soll. Doch hat sich in der Lehre als Reaktion auf das Gesetz tatsächlich etwas geändert?

Davon konnten Nora Auerbach, Christoph Schuch und Jonathan Schramm nicht viel bemerken. Sie organisierten deswegen eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Konsens der Teilnehmer:innen: Die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht muss gegenwartsbezogen in den Pflichtvorlesungen selbst stattfinden. Man beschloss, eine Handreichung zu schaffen, welche an konkreten Normen des Grundstudiums anknüpfend das Historische mit dem Heutigen verknüpft. Den Reader „Unrecht mit Recht?“.

An dem Projekt beteiligt sind unter anderem JuristInnen des Podcasts „Mal nach den Rechten schauen“, der erfolgreichen Initiative „Palandt umbenannt“ und das Forum Justizgeschichte e.V. Die Beiträge im Reader stammen von Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Professor:innen aus ganz Deutschland.

Beleuchtung der NS-Zeit in Einzelbeiträgen

Dabei blickt die Initiative auch auf den „gesamtgesellschaftlichen Hintergrund“. Denn Rechtsradikale und demokratiegefährdende Einstellungen in der Bevölkerung, lassen noch heute durchaus Zweifel an der Demokratiefestigkeit in Deutschland aufkommen. „Auch Rechtswissenschaft und -praxis – aber auch das juristische Ausbildungssystem – stehen diesbezüglich aktuell vor neuen Herausforderungen“, so Jonathan Schramm. Beispielsweise müssten sich auch Polizei, Gericht und Staatsanwaltschaft fragen, wie Demokratiefeind:innen in den eigenen Reihen erkannt werden können und wie mit ihnen umzugehen ist.

„Alle, die Recht studieren und die juristische Ausbildung durchlaufen, sollten deshalb nicht nur die Methodik der Anwendung von Gesetzen erlernen, sondern sich auch mit der Geschichte ihrer Nutzbarmachung für politische Ideologien beschäftigen und wissen, wie durch Recht Unrecht manifestiert wurde und immer wieder werden könnte“, betont die Initiative.

Der rund 90 Seiten starke Reader enthält 18 Beiträge zu verschiedenen rechtshistorischen Themen aus der NS-Zeit. Doris Liebscher erläutert beispielsweise, wie der Begriff „Rasse“ ins Grundgesetz kam. Hermann Pünder erörtert die problematische Auslegung der polizeirechtlichen Generalklauseln im Sinne des NS-Unrechtsstaats. Dirk Hartung untersucht in seinem Beitrag das anwaltliche Berufsrecht und Jörg Kinzig die Sicherungsverwahrung als Relikt der nationalsozialistischen Zeit.

„Der Reader gibt wertvolles Material zum Selbststudium an die Hand und lädt zugleich zu Diskussionen in den Hörsälen, in der Mensa und in Arbeitsgruppen ein“, schreibt Lena Foljanty im Nachwort des Reader. Dem können wir als Leser:innen nur zustimmen.

Jurist:innen tragen besondere Verantwortung

Die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht spielt an den Universitäten heute noch eine viel zu kleine Rolle. Stützten doch gerade Jurist:innen die Schreckensherrschaft Hitlers und machten den Völkermord an rund sechs Millionen Jüd:innen möglich. Wusstest Du z.B., dass neun der 15 Personen, die 1942 an der Wannseekonferenz teilnahmen und die „Endlösung“ planten, Juristen waren?

„Aufgrund der Autorität, die das Recht und damit auch alle, die es anzuwenden wissen, hat aber jede angehende Jurist:in für sich genommen eine besondere Verantwortung, sich mit der Missbrauchsanfälligkeit dieses Machtmittels – auch historisch – zu beschäftigen“, so Jonathan Schramm.

Dazu wird „Unrecht mit Recht“ gerade an fast allen juristischen Fakultäten in Deutschland verteilt. Ab Ende April folgt eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema. Zur offiziellen Veröffentlichungsveranstaltung am 22. April 2024 in Berlin (Programm hier) sind alle Interessierten herzlich eingeladen.


Der Reader ist dank der großzügigen Unterstützung der Alfred Landecker Foundation sowohl gedruckt als auch digital gratis erhältlich. Die digitale Version des Readers steht auf der Webseite der Initiative unter http://www.readerunrechtmitrecht.de zur Verfügung. Gedruckte Exemplare können unter http://bestellung.readerunrechtmitrecht.de bestellt werden. Zu den Mitgliedern des Arbeitskreises gehören: Nora Auerbach, Viktoria Moissiadis, Jonathan Schramm, Christoph Schuch, John Philipp Thurn und Cora Wegemund.

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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