Interview: Frag die …. Wirtschaftsjuristin / Junior Legal Counsel

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Juristische Berufserfahrung aus erster Hand: Im Interview mit Junior Legal Counsel Martha Routen

Martha Routen studierte Rechtswissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und schloss ihr Studium mit dem ersten Staatsexamen und mit einem Bachelor of Laws „International Legal Studies“ ab. Während des Studiums arbeitete sie mehrere Jahre am Lehrstuhl für Internationales Recht und engagierte sich nebenher beim Weißen Ring e.V.. Nach dem ersten Staatsexamen begann sie in Freiburg das Referendariat, das sie aber nach einer gescheiterten mündlichen Prüfung abbrach und startete anschließend ins Berufsleben. Mittlerweile arbeitet sie in der Rechtsberatung/EU-Beratung bei der Handwerkskammer Freiburg.

Wir haben sie aber zu ihrer vorherigen Anstellung als Junior Legal Counsel bei einem international tätigen, mittelständigen Maschinenbauunternehmen interviewt sowie allgemein zu Berufsperspektiven für Jurist:innen mit “nur” dem erstem Staatsexamen.

Liebe Martha, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, Wissenswertes über Dich und Deinen Beruf als Junior Legal Counsel mit unseren JURios-Leser:innen zu teilen! Wieso hast Du Dich dazu entschieden, keinen Wiederholungsversuch für das zweite Examen zu unternehmen? Hast Du diese Entscheidung jemals bereut?

Martha Routen: Bereut bisher noch nicht und ich rechne auch nicht damit, dass das noch kommt. Die mündliche Prüfung hing mir auf jeden Fall noch recht lange nach und ich habe mich manchmal geärgert, dass ich das Referendariat durchgezogen habe und am Ende ohne zweites Examen dastand – die schriftlichen Prüfungen hatte ich mit 4 Punkten noch bestanden, in der mündlichen Prüfung hatte ich aber einen Blackout und bin dann noch runtergestuft worden – wann passiert das schon?! Damit rechnet man ja nicht. Aber wenn mir der Abschluss so wichtig gewesen wäre, hätte ich mich auch deutlich besser auf die schriftlichen Prüfungen vorbereitet, oder hätte einen intrinsischen Drang gespürt, einen Wiederholungsversuch zu machen, aber das kam für mich einfach nicht in Frage. Im Referendariat habe ich aber trotzdem sehr viel erlebt und viele Erfahrungen gemacht – wann sonst kann man so viel Zeit vor Gericht verbringen, ohne Verantwortung für Mandant:innen zu tragen und ohne angeklagt zu sein? Außerdem habe ich Freundinnen fürs Leben gefunden!

Du spielst eine Runde Tabu und musst Deinen Mitspieler:innen den Begriff „Junior Legal Counsel“ umschreiben. Welche fünf Tabu-Begriffe, die dabei nicht genannt werden dürfen, stehen auf Deiner Karte, um Deinen Suchbegriff nicht direkt zu entlarven?

Martha Routen: Contracts, liquidated damages, limit of liability, implied warranties und wahrscheinlich, wie soll es denn anders sein, Teams Meeting.

Nimm uns mit durch einen typischen Arbeitstag als Junior Legal Counsel. Woran hast Du in dem Job jeden Tag gearbeitet? Wie sah Dein Workflow aus?

Martha Routen: Ich war im operativen Bereich des Unternehmens tätig, d.h. ich war dafür zuständig internationale Werklieferverträge zu prüfen, mit Kunden auszuhandeln sowie Tochterunternehmen bei rechtlichen Angelegenheiten zu unterstützen. Es gab viele NDAs zu prüfen und meistens war ich damit beschäftigt, Verträge zu lesen und zu kommentieren. Nach etwa fünf Monaten habe ich meinen ersten „großen“ Vertrag ausgehandelt, was tatsächlich sehr viel Spaß gemacht hat. Ansonsten musste ich zum Beispiel eine Vertragsänderung formulieren, oder mit Kolleg:innen aus anderen Abteilungen Projekte besprechen – was halt gerade anstand. Eigentlich war es recht abwechslungsreich, wenn auch nicht ständig so schnelllebig wie man es sich vielleicht vorstellen würde.

Apropos „typischer Tag“: Was sind typische juristische Probleme, die einem Junior Legal Counsel tagtäglich begegnen – was war im Gegenteil dazu der kurioseste Vorfall, der Dir im Berufsleben widerfahren ist?

Martha Routen: Mein Eindruck war, dass unternehmensintern viel ausgehandelt oder geklärt werden musste, was strenggenommen keine rein juristische Arbeit war. Bei so einem alteingesessenen Familienunternehmen kann es schon mal an festen Prozessabläufen oder an klaren Strukturen und Zuständigkeiten fehlen. Ansonsten hatten z.B. Kunden natürlich ein großes Interesse an hohen Verzugszinsen und das Unternehmen große Angst vor weitreichenden Garantien.

Kurios war, als es mal kurz vor Feierabend hieß, dass wir am nächsten Tag (!) in die Türkei fliegen müssten und ich eineinhalb Tage später in Ankara in einem Zimmer voller rauchender Männer saß und mit zwei Kollegen aus anderen Abteilungen einen Millionenvertrag verhandelte. Das war ein Highlight, das das gelegentlich dann doch etwas eintönige Verträgelesen wieder gutmachte.

Waren bei Deinem Arbeitgeber auch Volljurist:innen angestellt? Was unterscheidet die Arbeitsaufgaben von den Aufgaben von Angestellten mit zweitem Staatsexamen?

Martha Routen: Tatsächlich war es für diese Stelle völlig unerheblich, ob man ein oder zwei Examen hatte. In der Abteilung haben außer mir drei weitere Juristen gearbeitet, nur einer von ihnen war Volljurist. Der Abteilungsleiter war selbst Wirtschaftsjurist und hielt recht wenig von der klassischen juristischen Ausbildung.

Jetzt hast Du schon sehr viel von Deinem ehemaligen Beruf berichtet. Was muss man tun, um direkt nach dem ersten Staatsexamen als Wirtschaftsjurist:in in einem Unternehmen anzufangen? Gibt es einen Schwerpunktbereich oder Soft Skills, die einem bei dieser Berufswahl helfen können?

Martha Routen: Mein Eindruck ist, dass Stellenausschreibungen für solche Jobs häufig nach Eigenschaften fragen, die männlich gelesenen Menschen zugeschrieben werden, wie z.B. „Durchsetzungs- und Überzeugungskraft“ oder „sicheres Auftreten“. Und tatsächlich würde ich mich auf Selbstvertrauen und auf Sprachkompetenzen fokussieren. Ich fände es aber schade, wenn sich jemand von solchen Stellenbeschreibungen abschrecken lassen würde. Ich fand das Verhandeln zum Beispiel deutlich weniger schlimm als die mündliche Prüfung. Aber ein gutes Maß an Selbstvertrauen ist auf jeden Fall ganz gut.

Du hast ja neben dem Staatsexamen ein Bachelor of Laws (LL.B.) gemacht. Wäre das eine gute Alternative zum ersten Staatsexamen? Wo liegt der Unterschied?

Martha Routen: Ich denke, die LL.B. Studiengänge werden immer relevanter. Sie sind teilweise viel spezieller und/oder bereiten gezielter auf die (internationale) Wirtschaftswelt vor. Bei einem LL.B. hat man natürlich den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man nicht fünf Jahre lang andauernd von Versagensängsten und völlig übertriebenem Leistungsdruck geplagt ist. In meinem Studiengang hatten wir kleine Kurse, das heißt man konnte tatsächlich mal über juristische Themen diskutieren, statt nur stumm im Vorlesungssaal zu hocken. Man muss auch ein Thema für die Bachelorarbeit finden. Das muss man im klassischen Staatsexamenssystem ja nie. Es kann aber gerade für eine Promotion später von Vorteil sein, wenn man sich wenigstens einmal mit Themenfindung auseinandersetzen musste. Es gibt auf jeden Fall noch andere Vorteile, aber das würde hier zu weit führen.

Hast Du das Gefühl, dass Dir ohne zweites Staatsexamen „etwas fehlt“? Welche Gründe gibt es, auf den Abschluss als Volljurist:in zu verzichten?

Martha Routen: Aktuell habe ich nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Für mich persönlich denke ich sogar, es ist ganz gut, wie alles gelaufen ist. Natürlich war es nicht schön durchzufallen, aber es hat mich gezwungen mir darüber klar zu werden, ob und inwieweit ich mit dem zweiten Examen mir oder jemand anderem etwas beweisen wollte. Außerdem hatte ich danach auch in gewisser Weise ein Freiheitsgefühl. Mein innerer Punk hat sich irgendwie über den Plot Twist gefreut – es war wieder alles offen und unklar, wie es weitergeht. Hätte ich bestanden, hätte ich eine Woche später als Anwältin in einer mittelständischen Kanzlei angefangen. Auch ok, aber auch vorhersehbar.  

Mittlerweile arbeite ich in einem Job, in dem ich mich im Moment sehr wohlfühle und bei dem ich viel Spaß habe. Ich verdiene auch nicht weniger als mit zweitem Examen. Ich denke das zweite Examen wird teilweise überhyped. Der Markt ist für Jurist:innen im Moment echt gut, auch mit „nur“ einem Examen, was ja immerhin auch vergleichbar ist mit einem Masterabschluss.

Ich hatte mich zwar damals für das Referendariat entschieden (was will man aber auch sonst während Corona machen), würde es aber mittlerweile nicht unbedingt jedem empfehlen. Wenn man in der Berufswahl etwas flexibel ist und/oder sich international ausrichten möchte, würde ich nach dem ersten Examen eher erstmal Arbeitserfahrung sammeln – man kann immer noch später ins Referendariat! Es sind aber zwei wirklich sehr stressige Jahre in einem sehr verschulten System. Sollte man sich gut überlegen, ob sich das lohnt.

Zu guter Letzt: Versetze Dich in Dein Erstsemester-Ich zurück. Was würde es heute von Deinem Werdegang halten und umgekehrt: Was würdest Du Deinem Erstsemester-Ich raten?

Martha Routen: Mein Erstsemester-Ich wäre super stolz und ich würde meinem Erstsemester-Ich raten alle Fehler nochmal genauso zu begehen. Die Examensvorbereitungen waren schon teilweise unangenehm, aber ich habe immer mehr auf mein Wohlbefinden geachtet und mich auf Selbstwert und Selbstbewusstsein konzentriert, statt auf Leistung und das würde ich 100% nochmal genauso machen. Hm, nur eine Sache würde ich anders machen: auch beim ersten Job das Gehalt verhandeln!

Liebe Martha, vielen Dank für die spannenden Einblicke!

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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