Jurastudium: Die kunterbunte Welt der Fachtextarten

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Jura ist eine Textwissenschaft. Juristische Arbeit erzeugt Texte. Bei der Entstehung fließen andere Texte ein. Das gilt ganz besonders für juristische Hausarbeiten, die man im Laufe des Studiums anfertigt. Eine wichtige juristische Arbeitstechnik für Studierende ist deshalb, Fachtexte zu recherchieren, auszuwerten und zu verarbeiten. Hat man so in die eigene Hausarbeit verschiedene Fachtexte eingebracht, müssen diese außerdem korrekt als Quellen zitiert werden. All diese Arbeitstechniken gehören zum wissenschaftlichen Arbeiten. Für all diese Teilschritte ist es unerlässlich, erst einmal festzustellen, in welcher Textsorte man sich gerade befindet. Und das erfordert zunächst einen Überblick darüber, welche verschiedenen Arten von Fachtexten es gibt und wie sie sich unterscheiden.

Rechtsvorschriften

Rechtsvorschriften sind die zentrale Textart für die juristische Arbeit. Man kennt „Gesetze“, was aber nur eine Art von Rechtsvorschriften darstellt. Auch Verordnungen und Satzungen gehören dazu.
Bei der Anwendung von Rechtsvorschriften geht es nicht allein um die einzelnen Detailinhalte, sondern um Struktur, Systematik, das Verhältnis zueinander und die methodische Auslegung des Inhalts.

Monographie

Monographie bezeichnet eine ganze Kategorie, zu der verschiedene Unterkategorien gehören. Der Begriff meint „Einzelschrift“, also eine in sich abgeschlossene Themenbearbeitung. Dazu zählen vor allem Lehrbücher (z.B. zu „BGB – Allgemeiner Teil“), Arbeitsbücher und auch Dissertationen (Doktorarbeiten. Für den Studienanfang sind die wichtigsten Monographien vor allem Lehrbücher.

Kommentar

Der Kommentar ist beim Studienanfang die wohl neueste Form der Fachliteratur. Kommentiert wird in aller Regel ein Gesetz. Dabei geht es nicht um eine Beurteilung als gut oder schlecht, sondern um vertiefende Erläuterungen zum reinen Gesetzestext: im Gesetz verwendete Begriffe, ihr Inhalt und ihre Bedeutung, Voraussetzungen einer Norm, systematische Zusammenhänge und die Wechselbeziehungen mit anderen Vorschriften (Gesetzessystematik) usw.
Außerdem liefern Kommentare auch Übersichten einschlägiger Rechtsprechung zum Thema.
Zu Gesetzen gibt es meist mehrere Kommentare, die sich nicht nur inhaltlich in ihren Interpretationen unterscheiden können, sondern auch sehr unterschiedlich ausführlich ausfallen können (z. T. mehrbändig). Das ist für Rechercheaufgaben (z.B. bei Hausarbeiten) besonders relevant: Ist die eigene Fragestellung noch relativ offen, hilft eher ein kompakter, einbändiger Kommentar einen Überblick der Thematik zu gewinnen. Diesen könnte man dann im nächsten Schritt mit einem mehrbändigen Kommentar gezielter vertiefen.
Ist die eigene Frage schon sehr konkret oder schon sehr zugespitzt, kann der Einstieg mit dem ausführlicheren Kommentar zielführender sein. Dieser hat eine größere Detailtiefe und die konkrete Frage lässt sich so ausführlicher beantworten.

Loseblattsammlung

Die Loseblattsammlung ist keine eigene Textart in inhaltlicher Sicht, aber eine wichtige Gestaltungsvariante. Sie besteht aus einem Ordner, Ringbuch o. ä. mit austauschbaren Loseblattseiten. Diese Form kommt vor allem bei zwei der zuvor beschriebenen inhaltlichen Textarten vor, Gesetzestexte und Kommentare.
Zweck der Ausgestaltung als Loseblattsammlung ist eine fortlaufende Aktualisierung durch Austausch von Seiten. Für die juristische Arbeitstechnik hat das vor allem Auswirkungen auf die Form der korrekten Zitierung, aber eher weniger auf die inhaltliche Arbeitsweise.

Fachaufsatz

Fachaufsätze sind als Textart in Umfang und Gestaltung sehr vielfältig. Sie können thematisch stark zugespitzt ein Spezialthema behandeln, oder als Überblicksaufsatz einen breiten Themenaufschlag liefern.
Für den thematischen Schwerpunkt einer Hausarbeit z. B. kann ein passender vertiefender Fachaufsatz sehr hilfreich sein. Verschafft man sich hingegen zunächst einen ersten systematischen Überblick über ein Thema, wäre der gleiche Aufsatz weniger geeignet, da helfen mehr Überblicksaufsätze.

Sammelwerk

Sammelwerke sind auch eine besondere Gestaltungsform, vergleichbar mit dem o.g. Loseblattwerk. Anders als die Loseblattsammlung sind Sammelwerke aber auch inhaltlich eine eigenständige Textart. Gesammelt werden hier Einzelbeiträge meist in Form von Aufsätzen, die unter einem gemeinsamen Oberthema in Buchform zusammengefasst werden. Eine häufige und wichtige Unterart des Sammelwerks ist die sog. „Festschrift“, ein Sammelband, der häufig zu Ehren eines Jubilars zu einem für diesen bedeutsamen Thema herausgegeben wird.

Gerichtsentscheidungen

Gerichtsentscheidungen sind eine weitere wichtige Quelle für die juristische Arbeit insgesamt. Um mit ihnen erfolgreich arbeiten zu können, sollte man zunächst die verschiedenen Entscheidungsarten kennen. Dann sollte noch die Veröffentlichungsart unterschieden werden und zuletzt spielt auch der Veröffentlichungsumfang eine wichtige Rolle für den effizienten Umgang.

Entscheidungsart

Das Urteil ist (nur) eine Unterart der Gerichtsentscheidung, man unterscheidet Urteile, Beschlüsse und Verfügungen.

  • Das Urteil ist die bekannteste Entscheidungsform. Es schließt ein gerichtliches Verfahren bzw. eine Instanz ab. Mit dem Urteil wird ganz und umfassend über einen Klageantrag entschieden.
  • Ein Beschluss ist eine gerichtliche Entscheidung, die über einzelne Verfahrensfragen oder -abschnitte entscheidet. Er hat wie das Urteil eine gewisse Außenwirkung, aber noch keine instanzabschließende Wirkung.
  • Verfügungen als Gerichtsentscheidungen sind für das Studium eine weniger relevante Kategorie. Sie haben nicht die Außenwirkung wie Beschlüsse und Urteile, sondern dienen dem internen Verfahrensablauf.

Veröffentlichungsart

  • Entscheidungen der Gerichte findet man zum einen in sog. amtlichen Entscheidungssammlungen, vor allem des Bundesgerichtshofs (BGH), Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie weiterer oberster Bundesgerichte.
    In Quellenangaben erkennt man die abgekürzte amtliche Entscheidungssammlung z. B. durch ein „E“, also „BVerfGE“, „BVerwGE“. Beim Bundesgerichtshof wird kein „E“ angehängt, weil noch die Unterscheidung in Zivilsachen und Strafsachen zu berücksichtigen ist. Diese werden abgekürzt mit „BGHZ“ bzw. „BGHSt“. Amtliche Entscheidungsbände haben fortlaufende Nummern und innerhalb des Bandes Seitenzahlen. Eine typische Quellenangabe eines Urteils lautet daher z. B. „BVerfGE 123, 267“. Das ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Band 123 der amtlichen Entscheidungssammlung, das auf Seite 267 beginnt.
  • Gerichtsentscheidungen findet man außerdem in juristischen Fachzeitschriften abgedruckt. Entscheidungen können in mehreren Quellen parallel abgedruckt sein. Man findet daher häufig die gleiche Entscheidung in einer amtlichen Sammlung wie auch mehreren Fachzeitschriften parallel. Um arbeitstechnisch den Überblick zu behalten und unnötige Doppelrecherchen zu vermeiden, sollte daher immer das Aktenzeichen als eindeutiges Identifizierungsmerkmal für Gerichtsentscheidungen verwendet werden, d. h. mitrecherchiert und mitnotiert.
  • Gerichtsentscheidungen finden sich auch digital in Fachdatenbanken. Das erleichtert die Recherche erheblich. Oft finden sich dort nicht nur Angaben, wo eine Entscheidung abgedruckt ist, sondern häufig das (vollständige oder teilweise) Urteil selbst.

Veröffentlichungsumfang

Gerichtsentscheidungen enthalten Leitsätze, zentrale Kernaussagen der Entscheidung. Dies kann je nach Entscheidung ein einzelner Leitsatz sein oder mehrere Leitsätze umfassen, die dann nummeriert sind. Gerade bei mehreren Parallelfundstellen lohnt ein Blick auf die Klammerzusätze der einzelnen Veröffentlichungsangabe. Ist hier nur „Leitsatz“ oder „Ls.“ angegeben, sind auch nur diese abgedruckt. Bei der Recherche z. B. für eine Hausarbeit wird aber in aller Regel eine Veröffentlichung im sog. Volltext benötigt. Denn selten genügen hier nur die Leitsätze, man benötigt die Urteilsbegründung im Einzelnen. Diese findet man in Fundstellen, die mit „Volltext“ oder mit „Leitsatz und Gründe“ gekennzeichnet sind.

Entscheidungsanmerkung

Entscheidungsanmerkungen (oder auch Urteilsanmerkung, Entscheidungsbesprechung) setzen sich mit einer Gerichtsentscheidung inhaltlich auseinander. Sie erläutern, nehmen Stellung, kritisieren, argumentieren mit dem oder gegen das Gerichts. Sie können direkt an die veröffentlichte Entscheidung angehängt veröffentlicht werden oder erscheinen selbstständig in Form eines Fachaufsatzes.

Internetquellen

Bei der Verwendung von Internetquellen kommt es zunächst auf Seriosität und Qualität an. Es sollte sich um fachlich geeignete Quellen handeln. Besonders hilfreich können digitale Fachdatenbanken sein. Ihre effiziente Nutzung erfordert aber Zeit in das Erlernen des Umgangs zu investieren. Das zahlt sich über das Studium hinweg aus. Erkundigen Sie sich nach den Zugriffsmöglichkeiten an Ihrem Studienstandort und nutzen Sie unbedingt verfügbare Informationsangebote und Schulungen.

Materialien

Materialien beschreiben Entstehungsgeschichte und Beweggründe des Gesetzgebers Diese gibt es einerseits in den Archiven der Gesetzgebungsorgane, also als amtliche Dokumente (z.B. Drucksachen des Bundestages, in denen die Protokolle der Gesetzesberatungen veröffentlicht sind). Sie sollten nicht als „bloße historische Dokumente“ missverstanden werden. Sie enthalten die Entstehungsgeschichte und die Beweggründe des Gesetzgebers und liefern so wichtige Anhaltspunkte für die Auslegung von Gesetzen.

Nichtjuristische Werke

Auch nichtjuristische Werke kommen in der juristischen Bearbeitung zum Einsatz. Das sollte aber sehr bewusst und richtig dosiert eingesetzt werden. Fachinformationen benötigen auch eine Fachquelle als Beleg. Geht es um allgemeinpolitische Zusammenhänge, kann dafür auch ein Artikel aus einer Tageszeitung geeignet sein. Denn für die Auswahl passender Quellen gilt grundsätzlich: Je fachlicher und fachbezogener die Information, die belegt wird, desto fachlicher und fachbezogener sollte auch die Quelle dazu sein.


Weitere Vertiefungen, Tipps und Anleitungen zu diesen Themen finden sich in:
Lars Gußen,
Wissenschaftliches Arbeiten im Jurastudium –
Eine Einführung in die juristische Arbeitstechnik

Das Buch erläutert zugeschnitten auf Studienanfänger, was man im Jurastudium können und wissen muss, wie die Grundlagen des juristischen Gutachtenstils, Informationsbeschaffung, den Umgang mit juristischen Texten sowie die richtige Technik und Taktik beim Schreiben juristischer Hausarbeiten und Klausuren.

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Lars Gußen
Lars Gußen
Lars Gußen ist Rechtsanwalt in Berlin und durch ein Zusatzstudium außerdem Personal- und Organisationsentwickler sowie Hochschuldidaktiker. Er ist Lehrbeauftragter der Frankfurt University of Applied Sciences und freiberuflicher Dozent in der Weiterbildung (u.a. für das Justizministerium Rheinland-Pfalz).

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