Surprise! Stereotypen und diskriminierende Sachverhalte waren im Jurastudium schon 1977 ein Thema!

-Werbung-spot_imgspot_img

In den letzten Jahren häufen sich die Meldungen zu Stereotypen und diskriminierenden Fallbeispielen in den Rechtswissenschaften. Böse Zungen mögen behaupten, das läge an unseren „woken“ Zeiten. Die Studierenden der Generation Z seien einfach zu sensibel. Einige nennen sie deswegen abwertend „Generation Snowflake“. Doch das dem nicht so ist, zeigt ein Aufsatz aus dem Jahr 1977, in dem genau dieses Thema bereits beklagt wurde.

Im letzten Jahr erschien ein SPIEGEL-Artikel mit der Überschrift „Die Lehrbücher der alten, weißen Männer“. Darin werden die Juristinnen Susanna Roßbach, Dana-Sophia Valentiner und Lilian Langer vorgestellt, die sich gegen Klischees und Stereotypen in juristischen Sachverhalten einsetzen. Schon 2017 erschien der LTO-Beitrag „Rechts­an­walt R, Ehe­frau E und die Geliebte G“, der sich mit ebenjenem Problem beschäftigt. Anknüpfungspunkt war jeweils der tumblr-Blog bzw. der Instagram-Account “Üble Nachlese” des Deutschen Juristinnenbundes, in dem Negativbeispiele für geschlechterdiskriminierende Fallbeispiele gesammelt werden. So soll Diskriminierung in der juristischen Ausbildung sichtbar gemacht werden und Studierende sowie Lehrpersonal für das Problem sensibilisiert werden.

Studie untersucht schon 1977 insgesamt 898 Übungsfälle

In den letzten 10 Jahren lassen sich viele solcher Artikel finden. Doch man kann noch viel weiter zurückblicken – selbst in den 70ern war das Problem bereits bekannt. Und wurde sogar diskutiert. Im Aufsatz „Das Frauenbild im zivilrechtlichen Schulfall“ von Franziska Pabst und Vera Slupik.

Die beiden Autorinnen untersuchten 898 zivilrechtliche Fallbeispiele aus Lehrbüchern, Vorlesungsmaterialien und Repetitorien im Hinblick auf das darin vermittelte Frauenbild. In lediglich 20 Prozent der Fälle kamen überhaupt Frauen vor. Weniger als 30 Prozent der auftretenden Frauen waren berufstätig (und dann vor allem als Sekretärinnen, Verkäuferinnen und Haushälterinnen). Rund ein Drittel der Frauen wurde sexuell assoziativ (Frau als Sexualobjekt) dargestellt. 66 Prozent aller Frauen wurden über eine Beziehung zu Männern definiert. In rund 30 Prozent der Fälle trafen die Frauen keine eigenständigen Entscheidungen.

Die Autorinnen kamen deswegen schon 1977 zum Ergebnis: „Die Art und Weise, in der Frauen von der Schulfallrealität in einem rechtserheblichen Kontext gestellt werden, entspricht damit im wesentlichen den traditionellen Vorurteilen über die Frauen angemessene soziale Position.“

Stereotypen im Jurastudium

Und wie sieht es heute aus? 2016 wurde eine ganz ähnliche Studie unter dem Titel „(Geschlechter)rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen“ von Dana Valentiner durchgeführt. Das Projekt wurde in Kooperation der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg und der Bucerius Law School veranstaltet. Darin wurden 87 juristische Fallbeispiele aus dem Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 31. August 2015 untersucht, die aus dem Hamburger Examenskurs (HEX) und dem Examensübungsklausurenkurs (ExÜ) der Bucerius Law School Hamburg stammen. Das Ergebnis ist erschreckend:

80 Prozent der in den Fällen auftretenden Personen waren männlich. Fast die Hälfte der auftretenden Frauen wurden lediglich über eine Beziehung zu Männern definiert (Beispiel: Ehefrau, Geliebte, Tochter usw.). Nur knapp 40 Prozent dieser Frauen übten einen Beruf aus, während über 60 Prozent der Männer als berufstätig beschrieben werden. Die Männer arbeiteten dabei oft in angesehenen, hochqualifizierten Berufen (z.B. Anwalt, Arzt, Filialleiter), während Frauen beruflich schlechter qualifiziert beschrieben werden (Erzieherin, Verkäuferin, Sekretärin usw.). Bei den Namen der Personen war besonders auffällig, dass nur 14 Prozent der Männernamen mit einem Beziehungsattribut versehen waren, aber 36 Prozent der Frauennamen (Beispiel: „Ehefrau Elvira“).

Von allen Übungsklausuren weisen lediglich 4 Sachverhalte (5 Prozent) eine geschlechtergerechte Sprache, unter Gebrauch der Neutralisierung (Beispiel: „Studierende“) auf.

Eine weit überwiegende Anzahl von Fallbeispielen bedient damit sowohl früher als auch heute Stereotypen und Diskriminierungen im Hinblick auf das Geschlecht. Es liegt also nicht an uns „woken Schneeflocken“, sondern noch immer an der diskriminierenden Realität der juristischen Ausbildung.


Das könnte dich auch interessieren:

-Werbung-

Ähnliche Artikel

Social Media

6,795FollowerFolgen
2,166FollowerFolgen
Download on the App Store
Jetzt bei Google Play
-Werbung-spot_img
-Werbung-

Letzte Artikel