Kriminologen wissen schon lange, dass es bei der Kriminalität in Deutschland ein Nord-Süd, ein Ost-West sowie ein Stadt-Land-Gefälle gibt. In Städten gibt es also mehr Straftaten als auf dem Land. Ebenso in Norddeutschland und in Ostdeutschland. Ein Wissenschaftler am Max-Planck-Institut in Freiburg hat nun untersucht, ob Deutschlands Richter ähnlich hart urteilen oder ob es ebenfalls ein solches Gefälle gibt. Er kommt zu einem überraschend deutlichen Ergebnis.
Volker Grundies ist Physiker und forscht im Bereich des ausländischen und internationalen Strafrechts. In einer aktuellen Studie hat er herausgefunden, dass es für die Härte des Urteils eine Rolle spielt, in welcher Region der Richter ansässig ist. Dazu analysierte er 1,5 Millionen Entscheidungen aller rund 800 deutschen Amts- und Landgerichte aus den Jahren 2004, 2007 und 2010.
Richter in Stuttgart oder Kiel?
Ob ein Räuber in den Knast muss, hängt nach seinen Erkenntnissen nicht nur von seiner Tat und deren Schwere ab, sondern auch davon, ob er in Stuttgart oder Kiel abgeurteilt wird. Wurde der Täter in Nürnberg erwischt, bekommt er in 60 Prozent der Fälle eine Haftstrafe ohne Bewährung. In Bremen hingegen nur in 40 Prozent der Fälle. Mit besonders hohen Strafen muss man – wer hätte es gedacht – in Oberbayern rechnen. Die strengsten Richter sitzen nach den Forschungsergebnissen im Landgerichtsbezirk München I, die mildesten in Baden und Schleswig-Holstein.
Dabei hat Volker Grundies selbstverständlich auch die anderen Faktoren berücksichtigt, welche für die Härte eines Urteils entscheidend sind. Gemäß § 46 StGB ist die Schuld des Täters die Grundlage für die Strafzumessung. Als strafschärfende bzw. strafmildernde Faktoren kommen dabei insbesondere folgende Faktoren in Betracht. Die Beweggründe und die Ziele des Täters, dessen Gesinnung, das Maß der Pflichtwidrigkeit, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Art der Ausführung und die Auswirkungen der Tat und auch das Bemühen, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen.
Und dennoch: Die Unterschiede bei der Strafzumessung zwischen den Regionen sind signifikant. In rund einem Fünftel der Gerichtsbezirke sprechen die Richter Strafen aus, die mindestens zehn Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen, in einem weiteren Fünftel liegen sie zehn Prozent unter dem Schnitt.
Strafzumessungskriterien auf dem Prüfstand
Wer einen einfachen Raub begeht muss gemäß § 249 StGB mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr rechnen. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Damit überhaupt die Möglichkeit einer Aussetzung zur Bewährung besteht, darf die Strafe nach § 56 StGB zwei Jahre nicht überschreiten. Raub etwa wird laut der Studie im Mittel mit einer Freiheitsstrafe von rund zwei Jahren und zwei Monaten bestraft. In Kiel bekommen die Täter im Schnitt ein Jahr und elf Monate, in Koblenz dagegen zwei Jahre und fünf Monate. Und das jeweils für Taten mit vergleichbaren äußeren Umständen.
Bereits auf dem Juristentag in Leipzig Ende September war das Thema Strafzumessung ein kontrover diskutierter Streitpunkt. Der Augsburger Professor Johannes Kaspar sprach sich dort für eine Strafzumessungskommission aus. Diese soll bundesweite Empfehlungen erarbeiten und aktualisieren. Eine solche Kommission sieht der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, kritisch. “Viele Fälle, die auf den ersten Blick vergleichbar erscheinen, sind es bei näherer Betrachtung der Tat und des Täters eben nicht”. Und trotzdem: Die Urteile der Gerichte im Münchner OLG-Bezirk sind im Mittel 16 Prozent härter als im Bundesdurchschnitt. Kann das fair sein?
Fundstelle: http://www.spiegel.de/