Mental Health im Jurastudium – der richtige Umgang mit Stresssituationen

„Wer will was von wem woraus?“, murmle ich vor mich hin, während ich auf meine Skizze schaue. Die Skizze ist unscharf und ich versuche meinen Blick darauf zu fokussieren, aber es will einfach nicht funktionieren. Ich schaue zur Seite und sehe auf die Uhr: 15:17 Uhr. „Wow“, denke ich mir, „der Tag ist noch so lang und ich könnte so viel schaffen, aber ich fühle es einfach nicht.“ Erst jetzt merke ich, wie erschöpft ich wirklich bin. Meine Augen sind irgendwie schwer, mein Rücken tut weh und Hunger habe ich auch schon wieder. Eigentlich wollte ich heute bis ca. 18 Uhr lernen, dann ein kleines Home-Workout hinterher schieben, damit ich mich wenigstens ein bisschen bewege. Danach nur noch duschen, essen und ins Bett fallen. Und dann fängt der Spaß auch schon von vorne an.

Tipps fürs Jurastudium

Druck, Stress und Angst

Kommt dir diese Situation auch so bekannt vor? Dann bist du wahrscheinlich auch in der Examensvorbereitung (gewesen). Zwar habe ich immer gehört, dass die Examensvorbereitung schlimm werden wird, aber dass sie solche Ausmaße annimmt, hätte ich nicht gedacht. Deshalb möchte ich nun von meinen Erfahrungen berichten.

  • Klima der Angst

Zu Beginn und auch während des Studiums fallen Sprüche wie: „Schauen Sie nach rechts, schauen Sie nach links: diese Personen werden nicht mit Ihnen Examen schreiben“. Ab der Ersti-Woche wird das Konkurrenzdenken geschärft und uns Angst gemacht. Das Jurastudium sei viel Arbeit und mit der Zeit wird Freizeit zum Fremdwort. Die Examensnote sei extrem wichtig, da man sonst auch “Taxifahrer werden könne”. Oder noch schlimmer: Lehrer… Wer nicht mindestens zehn Stunden am Tag in der Bib verbringt, der könne es auch gleich sein lassen.

Auf der Examensfeier wird man für eine durchschnittliche Note belächelt und dazu ermutigt nicht aufzugeben, man könne dennoch etwas erreichen. Das Paradoxe dabei ist doch aber, dass die meisten im Durchschnitt liegen und die meisten dann doch auch gute Jobs funden.

  • Zusatzbelastung: Nebenjob

Neben diesen schlimmen „Tipps“ kommen für viele Studierenden aber noch weitere Probleme hinzu, welche die mentale Gesundheit beeinträchtigen können. Viele haben kein finanzielles Polster und sind auf Nebenjobs und/oder BaföG angewiesen. Und die wenigsten haben einen Job, der einen inhaltlich auch für das Examen weiterbringt. Die Nebenbeschäftigung geht logischerweise auch von der Lernzeit ab.

  • Unangenehme Kommiliton:innen

Ein weiteres Problem sind die Studierenden selbst. Ich habe viele nette Leute kennen gelernt, aber genauso oft bin ich auch unangenehmen Persönlichkeiten begegnet. Arrogante Studierende, welche dir ein schlechtes Gefühl geben, wenn man nicht den ganzen Tag mit Lernen in der Bib verbringt. In anderen Studiengängen helfen sich die Kommiliton:innen gegenseitig und schicken beispielsweise Aufsätze und Lösungsskizzen in die Seminargruppe. Im Jurastudium begegnet man Menschen, welche die passenden Fälle aus jedem Exemplar aus der Bib reißen, schwärzen oder komplett verstecken. Wenn das keinen Druck aufbaut, dann weiß ich auch nicht.

  • Marathon Examensvorbereitung

Der Endgegner für die mentale Gesundheit ist dabei natürlich die Examensvorbereitung. Die Tage sind begrenzt und doch scheint die Zeit endlos zu sein. Irgendwann gleicht jeder Tag dem anderen und man weiß nicht mal mehr, welcher Wochentag gerade ist. Freund:innen sieht man alle Jubeljahre. Sport wird auch immer mehr vergessen und an schlechten Tagen musste ich zumindest sehr aufpassen, nicht in ein tiefes Loch zu fallen. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich in der Vorbereitung weinen musste – und leider war ich damit nicht allein.

All das klingt nicht besonders gesund und wenn das eigene Umfeld, das nicht zur Jura-Bubble gehört, das erfährt, schütteln sie meist ungläubig den Kopf. Zeit für private Probleme gibt es hier nicht. Denn wie soll man sonst ein Prädikatsexamen schaffen, oder überhaupt das erste Examen bestehen?

Mentale Gesundheit und Selbsthilfe

Um Jurastudierende steht es oft also eher schlecht als recht (auch wenn sie meinen, dass sie immer Recht hätten, haha) und ihre mentale Gesundheit gerät oft in den Hintergrund. Dabei ist sie essenziell für uns Menschen. Mentale Gesundheit meint das emotionale, körperliche und soziale Wohlbefinden, welche unsere Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und unser Wohlergehen beeinflusst. Im Jurastudium gibt es, wie soeben beschrieben, so viele Faktoren, die sich negativ auf unser Wohlbefinden auswirken, da weiß man oft gar nicht, wo man beginn soll.

Geholfen hat mir, dass ich trotz allem versucht habe, regelmäßig Sport zu machen. Da meine Examensvorbereitung pünktlich mit der Corona-Pandemie begonnen hat, habe ich immer Home-Workouts gemacht. Manchmal habe ich mich nur gedehnt, weil für mehr keine Motivation oder Kraft war. Außerdem habe ich mir sehr viel gutes Essen gegönnt. Da ich sehr gerne koche und backe, habe ich immer versucht, mir Zeit dafür zu nehmen, etwas Besonderes zu machen. Außerdem habe ich Zoom-Abende mit Freunden veranstaltet und habe versucht, dort abzuschalten und nicht über Jura zu sprechen. Gegen Ende der Examensvorbereitung habe ich es teils zur Bedingung gemacht, nicht über Jura zu sprechen.

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Viele meiner Kommilitonen haben sich ähnlich gefühlt wie ich, und nach vielen Gesprächen habe ich rausgefunden, dass wir uns fast alle ähnlich selbst geholfen haben. Dazu haben wir uns noch gegenseitig Memes zu unserer beschissenen Situation geschickt. Aber all das war und ist meiner Meinung nach nicht genug.

Aber trotz aller Selbsthilfe-Methoden kam es oft genug vor, dass man sich extrem einsam gefühlt hat, dass man schlechte Laune hatte und total pampig zu seinen Liebsten war, obwohl die nun wirklich nichts dafür konnten. Da stellt sich doch die Frage: Wie kann es sein, dass es vielen von uns so schlecht geht und wir gefühlt keine Hilfe von außen bekommen?

Hilfe zur Selbsthilfe

Wie anfangs schon beschrieben wird ein großer Teil von unserem Mindset herrühren. Ein anderer Teil wird der Aufbau des Studiums sein und noch ein weiterer wird in einem kleinen Irrtum liegen.

Der Irrtum liegt vor allem darin, dass viele Studierenden glauben, dass eine vorangegangene Psychotherapie im späteren Job Probleme bereiten kann. Vor allem, wenn man eine Stelle im Beamtentum oder eine beamtenähnliche Stelle ausüben möchte. Doch dies ist so nicht richtig. Hinzukommt auch eine gewisse Stigmatisierung, die Leute erfahren, die eine Psychotherapie wahrnehmen. Dass das – entschuldigt den Ausdruck – dumm ist, ist hoffentlich allen klar. Denn wenn man sich den Arm bricht, geht man auch zum Arzt und wird nicht dumm angemacht. Wieso sollte man also kritisiert werden, wenn man sich mithilfe einer Therapie um die eigene mentale Gesundheit kümmert?

Und so kommen wir auch schon zum Mindset Problem. Die Jura-Bubble ist leider durchsetzt von Menschen, die das Konkurrenzdenken verinnerlicht haben. Diese Jurastudierenden findet man überall und so muss man sich eben auch ab dem ersten Semester diverse „Tipps“ anhören. Versteht mich nicht falsch, nicht alle Jurist:innen sind so drauf, aber es sind genug, damit die ganze Atmosphäre unangenehm wird. Diese Art Menschen, die so ganz kalt und fast unmenschlich wirken, finden sich in der Lehre wie in der Praxis. In der Praxis kann man dieser Atmosphäre entfliehen, in der Lehre besteht die Möglichkeit meist nicht. Und so wird man von den Lehrenden in Vorlesungen, Seminaren und Übungen unter Druck gesetzt. Man wird immer und immer wieder darauf hingewiesen, dass man nicht gut genug ist, dass man nicht genug macht und irgendwann redet man sich das selbst auch ein. Und nach dem Examen redet man sich die Zeit schön oder verdrängt die schlimmen Erfahrungen, da man es ja (dadurch) doch irgendwie geschafft hat?

Dabei könnte es so einfach sein, aus diesem Konstrukt auszubrechen. Anstatt den Studierenden Angst und Druck zu machen, könnte man sie motivieren. Zunächst sollte man davon absehen, diese Art von völlig unnötigen „Tipps“ zu geben. Dann sollte man vor allem in der Lehre auf solche Jurist:innen setzen, die es sowohl fachlich als auch pädagogisch draufhaben. Dozent:innen und Professor:innen, die wissen, wie man Studierenden in aussichtslos erscheinenden Lagen helfen kann. Eben solche, die einem auch menschlich zur Seite stehen können und es verstehen, dass man eben nicht alles auf Anhieb versteht oder die Zeit dafür hat, alles sofort perfekt zu erlernen.

Weiter sollte direkt zu Studienbeginn auf psychologische Hilfe verwiesen werden, da diese oft nötig sein könnte. Es sollte erklärt werden, dass es gut ist, sich Hilfe von außerhalb zu suchen und dass man seine Probleme keinesfalls in sich reinfressen sollte.

Integrierter Bachelor würde helfen

All diese Maßnahmen wären aber nicht nötig, wenn das Studium anders aufgebaut wäre. Die Angst vor dem Durchfallen ist immens und auch gar nicht so unberechtigt. Das Examen bringt einen existenziellen Druck mit, der auf Dauer nicht gesund ist und uns mental fertig macht. Wer endgültig durchfällt, steht am Ende mit nichts da, dabei sind fünf bis sieben Jahre ins Land gegangen und vor allem ist auch Wissen entstanden, das jetzt nur noch begrenzt genutzt werden kann. Ein integrierter Bachelor würde vielen helfen und den Druck minimieren. Die Initiative “iur.reform” fordert deswegen eine grundlegende Reform des Jurastudiums.

Zuletzt möchte ich euch noch einen echten Tipp geben: Holt euch Hilfe, wenn ihr sie braucht! Redet mit euren Freund:innen, Kommiliton:innen, Lehrenden und Familienmitgliedern. Und wenn all das nicht hilft, geht zur Psychotherapie! Denn Therapeut:innen sind genau dazu da, uns bei unserer Stressbewältigung und sonstigen mentalen Problemen zu helfen. Habt keine Angst davor und lasst euch helfen, denn am Ende des Tages, kann man ein noch so tolles Examen haben, aber wenn die Gesundheit (dauerhaft) darunter leidet, ist es das einfach nicht wert.


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