Im Juraexamen stillen oder Milch abpumpen – geht das?

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Auf einer der größten Jurawebsite der USA erschien vor kurzen ein Artikel, der fordert, dass es endlich verbindliche Regelungen für Jurastudentinnen gibt, die während der Examensklausuren stillen oder Milch abpumpen müssen. Doch die Regelungen sind sowohl in den USA als auch in Deutschland verworren – wenn sie denn überhaupt existieren. Was gilt für Mütter mit Kleinkindern, die ihr Juraexamen ablegen wollen diesbezüglich?

Im Mai 2021 führte die Vereinigung „MothersEsquire“ im Rahmen ihres PumpUpTheBar-Projekts eine Umfrage bzgl. der „Stillpolitik“ bei den „Bar Exams“ in den einzelne US-Bundesstaaten durch. Diese kam zu folgendem Ergebnis:

Stillpolitik beim Bar Exam in den USA

  • In 19 Staaten gibt es lediglich ein Entgegenkommen für Prüflinge, die eine Behinderungen nach dem Americans with Disabilities Act haben. Das Stillen zählt jedoch nicht dazu. Hierzu wurden überhaupt keine Informationen der zuständigen Prüfungsämter veröffentlicht.
  • Sechs Staaten bieten zwar bestimmte Maßnahmen für stillende Mütter an. Es gibt jedoch keine ausreichenden Angaben darüber, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen oder wie man diese beantragen könne.
  • 16 Staaten haben eine Verwaltungsrichtlinie oder eine Gefälligkeitsregelung veröffentlicht, die jedoch keine zusätzlichen Pausenzeiten zum Stillen oder Abpumpen vorsehen.
  • Nur neun Staaten haben umfassende Richtlinien für das Stillen veröffentlicht, die zusätzliche Pausenzeiten zum Abpumpen oder Stillen vorsehen.
  • Von den Staaten, die Stillunterstützungen anbieten, werden diese meist von Fall zu Fall gewährt. Das bedeutet, dass einigen Betroffenen die Maßnahmen willkürlich verweigert werden könnten.

Gegenüber einer Vorgänger-Umfrage aus dem Jahr 2015 hatten sich einige Verbesserungen eingestellt. Trotzdem ist es in den meisten Staaten für stillende Kandidatinnen immer noch schwierig, das Juraexamen abzulegen.

Stillende Prüflinge in Deutschland

Und wie sieht es in Deutschland aus? Zunächst gibt es keine Statistik, die zeigt, wie viele Prüflinge während des Staatsexamen ein Kleinkind haben oder deswegen eventuell ihr Staatsexamen verschieben (müssen). Auch eine Umfrage wie sie „MothersEsquire“ in den USA durchgeführt hat, gibt es in Deutschland nicht. Dementsprechend ist völlig unbekannt, wie die Prüfungsämter hierzulande mit stillenden Kandidatinnen umgehen oder welche Regelungen es gibt, um das Stillen und Milchabpumpen mit dem Staatsexamen zu vereinbaren. JURios hat deswegen bei den Landesjustizprüfungsämtern direkt nachgefragt und in neun (von 15 bzw. 16…) Fällen Auskunft erhalten.

Auch bei den einzelnen Landesjustizprüfungsämtern wird keine Statistik geführt. Trotzdem sind einige Zahlen bekannt:

  • So nahmen in Berlin/Brandenburg in den letzten drei Jahren etwa zehn stillende Personen am Staatsexamen teil. Zuletzt haben in der staatlichen Pflichtfachprüfung (erstes Examen) im April 2023 zwei Kandidatinnen teilgenommen, die ihre Kinder gestillt haben.
  • In Niedersachsen hat eine Auswertung der letzten zehn Jahre ergeben, dass in diesem Zeitraum in der Pflichtfachprüfung zwei und in der zweiten Staatsprüfung drei stillende Kandidatinnen zu den Klausuren angetreten sind.
  • Das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen teilte bezüglich des zweiten Staatsexamens mit, dass „regelmäßig“ Anfragen zur Möglichkeit des Stillens bzw. Milchabpumpens während der Anfertigung der Aufsichtsarbeiten bzw. der mündlichen Prüfung gestellt würden.
  • In Sachsen-Anhalt wurden diesbezüglich „vereinzelt Fälle“ registriert.

Obwohl es dementsprechend zwar nicht oft, aber dennoch immer wieder vorkommt, dass stillende Personen an den Klausuren teilnehmen, gibt es in keinem der 16 Bundesländer eine gesetzliche Regelung oder Verwaltungsvorschrift, welche die Möglichkeit des Stillens und Milchabpumpens in den Staatsexamina regelt. Auch lassen sich auf den Websites der Landesjustizprüfungsämter hierzu in keinem Bundesland auch nur Informationen (beispielsweise ein Ansprechpartner oder eine Kontaktadresse) finden. Lediglich zum Krankheitsfall und zum Nachteilsausgleich bspw. wegen einer Behinderung finden sich vereinzelt Informationen. Darunter fallen stillende Kandidatinnen jedoch nicht.

Wie wird in der Praxis damit umgegangen?

Da keine Regelungen existieren, die Fälle aber dennoch vorkommen, stellt sich natürlich die Folgefrage, wie die Landesjustizprüfungsämter mit dieser Situation umgehen.

  • Berlin/Brandenburg zieht diesbezüglich § 7 Abs. 2 MuSchG heran, der regelt, dass stillenden Personen in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde zum Stillen zu gewähren ist. Dementsprechend können stillende Kandidatinnen in Berlin/Brandenburg die Prüfung unterbrechen und erhalten hierfür eine Schreibzeitverlängerung. In der Antwort an JURios heißt es zum praktischen Vorgehen:

„In der schriftlichen Prüfung können stillende Personen die Bearbeitung unterbrechen, um das Kind zu stillen oder Milch abzupumpen. Die Zeit, die sie dafür benötigen, wird dann zu der Bearbeitungszeit als Schreibzeitverlängerung hinzugefügt. Für das Stillen bzw. Abpumpen der Milch wird ein separater Raum zur Verfügung gestellt. Die Kinder werden für das Stillen von einer Begleitperson gebracht.“

  • Das Landesjustizprüfungsamt Bayern zieht § 13 JAPO analog heran. Dementsprechend wird stillenden Frauen auf Antrag gestattet, während der Prüfung Pausen zum Stillen und/oder Milchabpumpen außerhalb des Prüfungsraums einzulegen. Diese Pausen werden nicht auf die Arbeitszeit angerechnet, die Arbeitszeit verlängert sich um die in Anspruch genommenen Pausen.
  • In Niedersachsen reagiert man hingegen mit einem „auf den Einzelfall zugeschnittenen Nachteilsausgleich“ auf diese Fälle. Auf die Anfrage von JURios heißt es hierzu:

„In jedem Fall wird das Stillen während der Examensklausuren möglich gemacht, wenn ein entsprechender Antrag vorliegt. Hierfür wird durch organisatorische Maßnahmen auch gewährleistet, dass ein Rückzugsort außerhalb des Klausurensaals zur Verfügung steht. Für die Stillzeiten wird eine Verlängerungs-Ausgleichszeit gewährt. In der Regel werden die Stillzeiten nicht auf die Bearbeitungszeit angerechnet (Ruhepausen).“

  • Auch in Nordrhein-Westfalen arbeitet man mit einem Nachteilsausgleich. Zum Stillen bzw. Milchabpumpen können Pausen genommen werden, die auf die Bearbeitungszeit nicht angerechnet werden. Zum Stillen/Abpumpen steht ein separater Raum zur Verfügung.
  • In Rheinland-Pfalz wendet das Landesjustizprüfungsamt § 6 Abs. 4 JAPO analog an. Dieser sieht die Möglichkeit einer Arbeitszeitverlängerung oder eines sonstigen angemessenen Ausgleichs vor, wenn besondere Gründe vorliegen. Eine ausdrückliche Regelung für Stillende ist darin zwar nicht enthalten, eine sinngemäße Anwendung sei jedoch möglich. Für die mündliche Prüfung hat sich dabei folgender Ablauf bewährt:

    “Die stillende Person wird in der Reihenfolge der Aktenvorträge nach vorne gezogen, sodass diese als Erste den Aktenvortrag halten kann. Nach der Vorbereitungszeit und dem Halten des eigenen Aktenvortrages hat die Mutter dann in der Zeit, in der die anderen Kandidatinnen und Kandidaten ihren Aktenvortrag vorbereiten und halten, die Möglichkeit, zu stillen bzw. Milch abzupumpen. Wie im schriftlichen Examen wird dafür ein separater Raum zur Verfügung gestellt, in dem sich auch die Begleitperson und das Kind (oder die Kinder) während der Prüfung aufhalten können.”
  • Im Saarland wird die allgemeine Vorschrift des § 6 Abs. 1 JAO herangezogen. Der Umfang zu gewährender Nachteilsausgleiche könne dabei nicht allgemeingültig bestimmt werden, sondern werde in Absprache mit den Kandidatinnen und Kandidaten im Einzelfall festgelegt, um die Chancengleichheit aller Prüflinge zu gewährleisten.
  • Auf welche Rechtsgrundlage sich das Landesjustizprüfungsamt Sachsen-Anhalt stützt, ist nicht bekannt. Auf Anfrage von JURios heißt es nur:

„In den bislang wenigen Fällen wurden mündliche Prüfungen für die Zeiten des Stillens unterbrochen; in schriftlichen Prüfungen (Klausuren) wurde den betroffenen Kandidatinnen die Möglichkeit gegeben, eine Pausenzeit zu nehmen, die nicht auf die Bearbeitungszeit angerechnet wurde.“

  • Das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz Schleswig Holstein lässt mitteilen: Wenn sich eine stillende Person an das LJPA wendet, wird in Anlehnung an die rechtlichen Regelungen zur Gewährung eines Nachteilsausgleichs ein geeigneter Ausgleich für die konkrete Situation der betroffenen Person gefunden (z.B. Stillpausen außerhalb des Prüfungsraumes, die nicht auf die Schreibzeit angerechnet werden).
  • Thüringen zieht „allgemeine prüfungsrechtliche sowie verfassungsrechtliche Grundsätze“ heran und gewährleistet dementsprechend im Staatsexamen Pausenzeiten (außerhalb des Prüfungsraumes) für stillende Personen.

„Die Chancengleichheit aller Prüfungsteilnehmenden wird in solchen Fällen dadurch sichergestellt, dass die jeweilige konkret in Anspruch genommene Pausenzeit nicht auf die Bearbeitungszeit angerechnet wird, d.h. derjenigen Person, die die Stillpausen in Anspruch nimmt, steht insgesamt die gleiche Bearbeitungszeit zu wie den anderen Prüfungsteilnehmenden, lediglich unterbrochen durch die Pausen (das Ende der Bearbeitungszeit verschiebt sich bei der betroffenen Person somit um die konkrete Pausenzeit nach hinten).“

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels lag von den anderen Landesjustizprüfungsämtern jeweils keine Rückmeldung zu unseren Fragen vor.

Was tun?

Betroffene Frauen sollten sich also frühzeitig an ihr Landesjustizprüfungsamt wenden und dort gezielt nach Stillpausen während des Staatsexamens und der zur Verfügungstellung entsprechender Räumlichkeiten fragen. Dabei sollte man sich weder abwimmeln, noch auf möglichst “kurze” Pausenzeiten herunterhandeln lassen. Dass es für die genommene Pause einen Nachteilsausgleich bzw. eine Schreibzeitverlängerung gibt, ist zwar nirgends explizit geregelt, ergibt sich aber aus der Chancengleichheit.

Um Ungleichbehandlungen zwischen den einzelnen Bundesländern und zwischen den betroffenen Kandidatinnen zu verhindern, wäre es angemessen, eine feste Regelung – beispielsweise im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift – zu schaffen. Das Thema könnte auf der nächsten Justizministerkonferenz besprochen werden.


Fundstelle: https://abovethelaw.com/

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