Bis der Tod uns scheidet?

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Fast 50 Jahre Reform des deutschen Scheidungsrechts und nun zurück zur Hausfrauenehe? So möchte es die AfD!

Es ist das Jahr 1970. Frau W sitzt angespannt im Gerichtssaal des Freiburger Amtsgerichts. Sie möchte sich von ihrem Ehemann scheiden lassen, eine unglückliche Ehe für sich selbst und ihre zwei Söhne verlassen. Sie erwartet Fragen von Seiten des Anwalts ihres Mannes. Fragen über den Zustand der Ehe, den Ablauf der Trennung, vielleicht auch über die Aufteilung der Erziehung. „Befriedigen Sie die sexuellen Bedürfnisse Ihres Ehemannes ausreichend?“, fragt der Anwalt.

Für viele junge Menschen in Deutschland ist das Thema Ehe kein großes Thema mehr, wenn überhaupt. Beziehungsformen distanzieren sich vom heteronormativen Familienbild der vergangenen Zeit und Paare gehen auch ganz ohne Ringe, Kirche, und Standesamt ein lebenslanges Bündnis mit ihrem:r Partner:in ein. Dennoch fanden in Deutschland im Jahr 2022 390.700 Eheschließungen statt [1]. Wer verheiratet ist, bleibt es jedoch nicht immer: die Scheidungsrate beträgt für das gleiche Jahr 35,15 Prozent. Dass Menschen heiraten und sich auch wieder scheiden lassen, hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert. Allerdings hat sich das Recht um das Scheidungsverfahren und die Scheidungsfolgen zu Gunsten der deutschen Frauen gewandelt. Die Frage ist, wie lange noch?


Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 5. juriosen Essay-Wettbewerbs “Frau im Recht” zum Internationalen Frauentag 2024. Es handelt sich um den vierten Platz in der Kategorie “Freitexte”. Weitere Informationen zum Essay-Wettbewerb und alle anderen Gewinner-Texte finden Sie hier: https://jurios.de/essay-wettbewerb/


Die “Hausfrauenehe” und das Schuldprinzip

Bis zur Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahr 1977 herrschte im (west-)deutschen Eherecht für die Frau das Prinzip der sogenannten „Hausfrauenehe“[2]. Der Gesetzgeber regelte bei der Entstehung des BGB im Jahr 1900 beispielsweise, dass deutsche Frauen erwerbstätig sein durften, allerdings nur wenn ihre Tätigkeit den Interessen des Ehegatten und der Familie entsprachen[3]. Frauen hatten also Rechte, jedoch nur unter Zustimmung ihres Ehegatten und je nach Vereinbarkeit mit ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau. Für viele Frauen bedeutete diese erhebliche Einschränkung eine lebenslange finanzielle Abhängigkeit von ihrem Ehegatten, die ein eigenes Leben nach einer Scheidung unmöglich machte. Lieber blieben sie unglücklich verheiratet als wirtschaftlich ruiniert.

Zudem galt im Scheidungsprozessverfahren vor 1977 bei der Ermittlung des Scheidungsgrundes das Schuldprinzip[4]. Es wurde nach dem oder der Ehepartner:in gesucht, der oder die die Scheidung zu verschulden hatte[5]. Die „schuldige“ Partei musste dann dem oder der Ehepartner:in und etwaigen gemeinsamen Kindern Unterhalt leisten[6]. Dementsprechend entstanden Scheidungsverfahren, die eher einer Schlammschlacht als einem gerichtlichen Verfahren ähnelten. Es wurden die intimsten und unangenehmsten Details des Ehelebens enthüllten, vor allem auf Seiten der Frau, um festzustellen, wer nun die Schuld am Scheitern der Ehe trug. Selbst Fragen bezüglich der sexuellen „Befriedigung“ des Ehemannes waren erlaubt. Da das Sorgerecht in Deutschland im Falle eines Sorgerechtsstreits überwiegend der Mutter zugesprochen wird[7], konnte nach diesem demütigenden und traumatisierenden Verfahren eine als schuldig beurteilte Ehefrau ohne eigenes Vermögen mit den Kindern und ohne Unterhalt verbeiben. Der fehlende Unterhalt führte nicht selten zu einem erhöhten Risiko für psychische Belastungen und Stress, dem alleinerziehende Mütter im Vergleich zu Müttern in Paarfamilien ausgesetzt waren. Die führte zu einer finanziell sowie emotional geschwächte Situation für die Frauen[8].

Neuregelung 1976

Als im April 1976 nach acht Jahren Diskussion der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts verabschiedete[9], änderte ich für die deutsche Frau einiges. Zum einen distanzierte sich das deutsche Recht vom Leitmodell der Hausfrauenehe und ersetzte dies fortan mit dem partnerschaftlichen Prinzip als Neuregelung[10]. Dadurch wurden Haushalt und Erwerbstätigkeit beiden Eheleuten gleichermaßen zugewiesen und Frauen konnten sich endlich eine eigene Lebensgrundlage erwirtschaften, die ihnen ein Leben ohne Ehemann im Fall einer Scheidung ermöglichen würde.

Die Neuregelung der staatlichen Ordnung sollte laut Bundesminister der Justiz Gerhard Jahn (SPD) dem in Art. 3 II GG verankerte Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau dienen, in dem der in ihr vorhandene Zwang zur Aufrechterhaltung einer Ehe mit der Einführung eines Scheidungsverfahrens, „das eine Auflösung der Ehe unter glaubwürdigen und den Bürgern zumutbaren Bedingungen erlaubt”[11], eliminiert wurde. Um das Scheidungsverfahren entsprechend zu objektivieren, wurde das Zerrüttungsprinzip anstelle des Schuldprinzips eingesetzt und es wurde nun gefragt, ob die Ehe verschuldensunabhängig endgültig zerrüttet sei. Dieses Verfahren konnte jetzt auch ohne Zustimmung des oder der Ehepartner:in eingeleitet werden. Dank der Einführung des Zerrüttungsprinzips war das Verschulden einer Partei nicht mehr für den Unterhaltsanspruch maßgeblich, denn es wurde nun der:die wirtschaftlich stärkere Ehepartner:in zum Unterhalt des wirtschaftlich Schwächeren verpflichtet. So wurden Frauen, die überwiegend aufgrund ihrer ehebedingten Abhängigkeit vom Ehemann über eine deutlich schwächere wirtschaftliche Grundlage verfügten, vom neuen Eherecht geschützt. Frauen konnten es sich nun im wahrsten Sinne des Wortes leisten, sich zu scheiden.

Antifeministische Thesen der AfD

Seit nahezu 50 Jahren stehen Frauen unter dem Schutz des neuen Ehe- und Familienrechts von 1977. Seit 10 Jahren möchte die Partei Alternative für Deutschland (AfD) das rückgängig machen. Ein halbes Jahrzehnt lang konnte diese Gefahr für die gleichberechtigte Ehe- und Familiengemeinschaft ignoriert werden, doch in der letzten Bundestagswahl erzielte sie 10,3 Prozent und in der Umfrage zum „Sonntagstrend“ im Dezember 2023 schon 22 prozent[12]. In den Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen wurde in den Landtagswahlen des vergangenen Jahres selbst dieser Wert übertroffen[13].

Es wird folglich zunehmend ein Wahlprogramm befürwortet, das in Sachen Familien- und Geschlechterpolitik konservative und antifeministische Positionen, die der Gleichstellung der Geschlechter im Familienleben entgegenstehen, enthält. Unter dem Stichpunkt „Mehr Gerechtigkeit bei Scheidungen“ fordert die AfD in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017, dass „schwerwiegendes Fehlverhalten gegen die eheliche Solidarität [] bei den Scheidungsfolgen wieder berücksichtigt“ wird[14]. Es soll also eine Berücksichtigung des Verschuldens eines Ehepartners bei der Berechnung des Unterhalts geben. Wer zwischen den Zeilen liest erkennt schnell, dass in dieser Forderung eine Wiedereinführung des Schuldprinzips, welches vor allem Frauen benachteiligte, impliziert wird. Zudem werden die Auswirkungen von Straftaten und „schwerwiegendes Fehlverhalten“ auf den Unterhaltsanspruch bereits in § 1579 Nr. 3 BGB geregelt, indem ein Unterhaltsanspruch bei Feststellung einer der aufgelisteten Härtetatbestände entweder beschränkt oder versagt werden kann[15].

Nie wieder ist jetzt!

Die Forderungen sind folglich nicht nur bezüglich des Scheidungsprozesses frauenfeindlich, sondern auch noch im Rahmen der Scheidungsfolgen rechtlich überflüssig. Das Ziel der AfD liegt nicht in einer fairen Gestaltung des Unterhaltsanspruchs, aber umso mehr in einer Wiederherstellung der Familienverhältnisse vor 1977, als „alles besser war“. Für die Ehemänner vielleicht, aber mit Sicherheit nicht für Frauen wie Frau W., die erst mit der Reform 1977 das Recht auf ein objektives Scheidungsverfahrens und einen ihrem Vermögensstand entsprechenden Unterhaltsanspruch hatten.

Noch können sich Frauen mit wesentlich weniger Bedenken bezüglich der finanziellen Scheidungsfolgen für eine gerichtliche Trennung von ihrem oder ihrer Partner:in entscheiden als sie es vor der Reform von 1977 tun konnten. Sie haben das Recht, sich von einer unglücklichen, einer unbefriedigenden oder einer gefährlichen Ehe zu lösen, ohne vom Prozess blamiert oder gar traumatisiert zu werden. Das gleiche gilt für Eheleute eines anderen Geschlechts, solange das Schuldprinzip Geschichte bleibt. Um die feministischen Entwicklungen im Scheidungsrecht sowie im Familienrecht zu wahren ist es also zwingend notwendig, konservative und rechtsextreme Gefahren wie die AfD, die sich nach den „guten alten Zeiten“ sehnen, davon abzuhalten, die Uhr in die Zeit der Hausfrauenehe zurückzudrehen. Auch wenn die Ehe nicht mehr die Bedeutung in der Gesellschaft hat, die sie lange innehatte, müssen auch diejenigen, die sich dazu entschließen, in ihren Rechten auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung geschützt werden, wie es das Grundgesetz vorsieht.


[1] Statistisches Bundesamt (2023). https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Eheschliessungen-Ehescheidungen-Lebenspartnerschaften/Tabellen/eheschliessungen-paarkonstellation.html.

[2] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren: Bundestag reformiert das Ehe- und Familienrecht”, hier online abrufbar.

[3] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[4] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[5] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[6] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[7] dpa- Newskanal (2019), Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/leben/familie-muenchen-sorgerechtsstreit-muetter-gewinnen-meistens-gegen-vaeter-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191220-99-213560

[8] Liang/Berger/Brand (2019). Psychosocial factors associated with symptoms of depression, anxiety and stress among single mothers with young children: A population-based study. Journal of affective disorders, 242, 255-264.

[9] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[10] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[11] Deutscher Bundestag, “Vor 45 Jahren“.

[12] Bosch (2024), “So schneidet die AfD bisher ab”. Stuttgarter Zeitung. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.umfragen-und-wahlen-wie-viel-prozent-hat-die-afd.b00e8602-d3da-49e3-825f-dfb00b2eb068.html.

[13] Bosch (2024), “So schneidet die AfD bisher ab”. Stuttgarter Zeitung. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.umfragen-und-wahlen-wie-viel-prozent-hat-die-afd.b00e8602-d3da-49e3-825f-dfb00b2eb068.html.

[14] Partei Alternative für Deutschland (2017). Wahlprogramm Bundestagswahl 2017. https://www.afd.de/wp-content/uploads/2017/06/2017-06-01_AfD-Bundestagswahlprogramm_Onlinefassung.pdf.

[15] Grüneberg, BGB (2022), §1579 Rn. 37.

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