Mitglied einer politischen Partei muss sich das Duzen gefallen lassen

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Böse Zungen behaupten, in der Politik ginge es zu wie im Kindergarten. Folgendes Urteil des Amtsgerichts Brandenburg a. d. Havel könnte diese These bestätigen. Das Gericht entschied: Mitglieder von politischen Parteien müssen sich das Duzen durch Parteigenoss:innen gefallen lassen. Ein Anspruch auf Unterlassung des Duzens besteht nicht.

In dem zugrunde liegenden Fall beantragte das Mitglied einer Partei im August 2021 beim Amtsgericht Brandenburg die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen einer beabsichtigten Klage auf Unterlassung gegen ein anderes Parteimitglied. Das Problem: Der Parteikollege duzte den Kläger stets, was dieser nicht wollte. Das Amtsgericht Brandenburg a. d. Havel lehnte den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO) jedoch bereits mangels der notwendigen “Erfolgsaussicht” der Klage ab. Die angestrebte Unterlassungsklage habe keine Aussicht auf Erfolg.

“Du” und “Sie” laut Duden-Definition

Zunächst zog das AG Brandenburg a. d. Havel den Duden heran, um klarzustellen, was es mit dem Duzen überhaupt auf sich hat. Dazu heißt es in der Entscheidung: “Dass ‘Du’, erläutert Dudens Universalwörterbuch, ist eine ‘Anrede an verwandte oder vertraute Personen und an Kinder, an Gott oder göttliche Wesenheiten, gelegentlich an Untergebene’, ‘Sie’ dagegen eine ‘(in Großschreibung) Anrede an eine oder mehrere Personen (die allgemein üblich ist, wenn die Anrede du bzw. ihr nicht angebracht ist)'”.

Zwar könne jeder Erwachsene grundsätzlich darüber entscheiden, wie er angesprochen werde, so das Gericht. Dies gelte aber nicht absolut. Es sei üblich, dass sich in Gewerkschaften und Parteien die Mitglieder untereinander Duzen. In der Sprache des Gerichts hört sich das jedoch etwas komplizierter – und gleichzeitig gestelzter – an: “Zwar ist dem Antragsteller/Kläger insofern noch darin zu folgen, dass im deutschen Kulturkreis ein Selbstbestimmungsrecht des (erwachsenen) Individuums anzuerkennen ist, zu wählen, in welcher Weise es angeredet werden will. Denn bekanntermaßen existieren zwei mögliche Anredeformen in Deutschland, das ‘Du’ und das ‘Sie’, die in der Regel mit der Anrede beim Vornamen oder Nachnamen korrespondieren. Es mag auch sein, dass sich ein Bürger nicht gefallen lassen muss, sich von Amtsträgern duzen zu lassen, wenn dies als Verletzung der Personenwürde des solcherart Angsprochenen angesehen und daher als Verstoß gegen Artikel 1 I GG gewertet werden könnte (BVerwG, Beschluss vom 04.06.1990, Az.: 7 B 31/90).”

Das Genossen-Du als Ausdruck Gleichgesinnter

Eine solche Frage stelle sich jedoch im vorliegenden Fall gerade nicht. Das Selbstbestimmungsrecht habe nämlich auch relativ enge Grenzen und sei in diejenigen Gebräuche eingebettet, die im jeweiligen Beziehungskreis der Betroffenen üblich seien. Jemand, der in eine Gewerkschaft oder in eine politische Partei eintritt, müsse es sich gefallen lassen, dass er auch von seinen Parteigenoss:innen geduzt wird. Historisch führt das AG Brandenburg a. d. Havel dazu aus: “Dass man kann keine politische Umwälzung machen kann, wenn man sich siezt, wussten im Übrigen schon die Franzosen, nachdem sie 1789 ihr bürgerliche Revolution durchgeführt hatten. Im Jahre 1793 wurden insofern die republikanisch gesinnten Franzosen per Dekret auf das ‘Du’ festgelegt; es musste ohne Unterschied geduzt werden. Die Folgen davon spüren wir noch heute. Das ‘Solidaritäts-Du’ hat sich insofern aus der französischen Revolutionen heraus auch bis auf die heutigen Gewerkschafts- und Parteitage sowie Vereins-Sitzungen durchgesetzt. Insbesondere beim Vereinssport wird sich meistens auch geduzt. Ein ganz besonderes ‘Du’ ist aber auch das ‘Genossen-Du’, also die Anrede unter Anhängern der gleichen politischen Partei, insbesondere bei Sozialdemokraten. Man duzt sich, denn man ist Teil einer Gemeinschaft Gleichgesinnter.”

Innerhalb politischer Parteien darf man sich also genauso unbedacht duzen wie im Kindergarten. Wie schön, dass das geklärt wäre.


Entscheidung: AG Brandenburg a. d. Havel, Beschl. v. 28.12.2021, Az. 31 C 148/21

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