Wie viel ist zu viel? Beck-Verlag wird für seine weitere Zusammenarbeit mit Hans-Georg Maaßen kritisiert

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Als Jurist:innen wissen wir: Recht und dessen Auslegung sind nicht schwarz-weiß. In aller Regel besteht im Umgang mit dem Recht ein Interpretationsspielraum und völlige Objektivität gibt es hierbei nicht. Es spielt also eine Rolle, wer geltendes Recht spricht, auslegt und kommentiert. Sollte also eine Person, deren öffentliche Äußerungen selbst in einem Spannungsverhältnis zur Verfassung stehen, ausgerechnet Teile des Grundgesetzes kommentieren? Und ist es tragbar, als Mitautor:in neben besagter Person zu stehen? Mit diesen Fragen müssen sich aktuell verschiedene Rechtswissenschaftler:innen sowie Deutschlands führender juristischer Fachverlag, C.H. Beck, befassen.

Seit 2009 wirkt der ehemalige Präsident des Bundeamts für Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen an dem Grundgesetz-Kommentar Epping/Hillgruber mit, der von C.H. Beck veröffentlicht wird. In der neuesten Auflage des Kommentars soll Maaßen Art. 16 und 16a des Grundgesetzes kommentieren – Normen zur Ausbürgerung und Auslieferung sowie zum Recht auf Asyl. Insbesondere in den letzten Jahren fiel der Jurist jedoch vermehrt durch fremdenfeindliche und verschwörungstheoretische Aussagen auf.

Prof. Dr. Stefan Huster, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum, legte als Reaktion auf die Mitarbeit Maaßens am Epping/Hillgruber seine Autorenschaft für den Kommentar nieder. Auch weitere Rechtswissenschaftler:innen und Verbände kritisierten Beck für seine fortlaufende Zusammenarbeit mit Maaßen und gaben teilweise an, auf Veröffentlichungen in diesem Verlag vorerst zu verzichten.

Von Polemik zu Verschwörungstheorien

Doch wie genau machte Maaßen – promoviert im Asylrecht – zuletzt von sich reden? Während er schon in seiner 1997 veröffentlichten Doktorarbeit eine möglichst harte Anwendung des Asylrechts fordert, hat der ehemalige Verfassungsschutzpräsident sich in den letzten Jahren einige Ausreißer geleistet, die ihn seine Position gekostet haben und aus verschiedenen Gründen ein zweifelhaftes Bild auf ihn werfen. Nach einem umstrittenen Bild-Interview, in dem Maaßen anzweifelte, dass „Hetzjagden“ gegen Ausländer:innen in Chemnitz tatsächlich so stattgefunden hatten, wurde er 2018 als Präsident des Verfassungsschutzes entlassen. Auch seinen folgenden Posten im Innenministerium verlor Maaßen kurz danach aufgrund verschwörungstheoretisch anmutender Aussagen. Seitdem befindet sich der Jurist im einstweiligen Ruhestand.

Dennoch bleiben seine öffentlichen Äußerungen nicht unbeachtet. Im Juni 2019 schloss der CDU-Politiker eine Koalition seiner Partei mit der AfD nicht aus – und erntete dafür unter anderem Kritik vom damaligen Bundesinnenminister Seehofer. Nur einen Monat später verglich er auf Twitter Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer mit einem „Shuttle-Service“.

Auch veröffentlichte Maaßen Beiträge in neurechten Magazinen und gab propagandistischen und teilweise verschwörungsideologisch geprägten Medien mehrmals Interviews. Auf der von Verschwörungstheorien und rechten Ansichten geprägten Plattform Gettr teilte Maaßen Anfang 2022 ein Video des Impfgegners und „Querdenkers“ Sucharit Bhakdi, in dem die Corona-Impfung mit Hinrichtungen verglichen wurde. Wenig später schrieb er auf derselben Plattform in Bezug auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: „Nein, der Ukrainekrieg ist SEIN Krieg. Ich friere nicht für seinen Krieg.“ und beschwor dessen angebliche strafrechtliche Verantwortlichkeit für Schäden durch Gasmängel herauf.

Professor Huster bezweifelt daher in seinem im August 2022 veröffentlichten Gastbeitrag in der F.A.Z. mit dem Titel „Person und Sache in der Jurisprudenz: Warum ich das Grundgesetz nicht mehr gemeinsam mit Hans-Georg Maaßen kommentieren möchte“, dass Maaßen „nach Art, Inhalt und Kontext seiner Äußerungen noch zu den verlässlichen Unterstützern der freiheitlichen Ordnung gezählt werden kann“.

Sein Fazit: Maaßens Positionen wolle er nicht als Mitkommentator hoffähig machen. Auf eine Nachfrage von JURios betont Huster, dass es ihm nicht um die einzelnen politischen Positionen Maaßens gehe „sondern um seine grundsätzliche Infragestellung und Verachtung der gegenwärtigen Parteien und Institutionen inkl. entsprechender populistischer Vergeltungsphantasien, die offene Bewunderung autokratischer Regime (Ungarn!) und um seine Trump-artige Verbreitung von völlig haltlosen Gerüchten (Merkel als Agentin Russlands usw.).“

C.H. Beck hält an Maaßen fest

Auf Husters Vorbringen hin wurde dessen Autorenvertrag mit C.H. Beck aufgelöst. Maaßen ist hingegen weiterhin für die Kommentierung der Artikel 16 und 16a GG vorgesehen. Verschiedene Anwaltsverbände und der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) kritisieren Maaßens weitergehende Mitwirkung am Grundgesetz-Kommentar. So bezeichnete ein Sprecher des BRF gegenüber der LTO die Kommentierung der Artikel 16 und 16a GG durch Maaßen als „äußerst beschämend“. Der Republikanische Anwaltsverein kommentierte auf Twitter, dass sich Maaßen „vom demokratischen Diskurs verabschiedet“ habe. Seine Auffassungen hätten in einem seriösen Standardkommentar nichts verloren. Scharfe Kritik an Maaßens weiterer Mitwirkung am Epping/Hillgruber kam auch von Seiten der Süddeutschen Zeitung – worauf sich Maaßen prompt an die NS-Zeit erinnert fühlte und dies über Twitter kundtat.

C.H. Beck reagierte auf eine Anfrage des Fachjournalisten Hendrik Wieduwilt zu Maaßens Beteiligung am Grundgesetz-Kommentar im August 2022 verteidigend. Der Verlag stehe „für eine pluralistische und freie wissenschaftliche Diskussionskultur, solange sich diese im verfassungsrechtlichen Rahmen bewegt“. Weiterhin hieß es in der Antwort an den Journalisten: „Der Verlag C.H. BECK arbeitet ausschließlich mit Personen zusammen, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen“. Eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Sache wurde nicht kommuniziert.

Auch Gesprächsversuche zwischen Professor Huster und einem ebenfalls ehemals am Grundgesetz-Kommentar beteiligten Kollegen und dem Beck-Verlag gestalteten sich nach Angaben von Huster erfolglos. Auf eine Anfrage der Autorin antwortete der C.H. Beck Verlag ebenfalls nicht. 

Auch frühere Vorbringen bezüglich der Namensgeber einiger wichtiger Veröffentlichungen im Beck-Verlag stießen lange Zeit auf taube Ohren. Immerhin wurden nach zur NS-Zeit aktiven Juristen benannte Standardwerke wie der „Palandt“ erst nach jahrelangen öffentlichen Debatten umbenannt. Ob der Beck-Verlag dieses Mal schneller Konsequenzen ziehen wird? Es bleibt spannend.

Update: Maaßen beendet Mitarbeit

Am 18. Januar 2023 wurde bekannt, dass Hans-Georg Maaßen seine Zusammenarbeit mit dem Verlag C.H. Beck beendet hat. Dies erfolgte, nachdem der Verlag geprüft hatte, wie die Mitarbeit Maaßens am Grundgesetz-Kommentar seitens des Verlags beendet werden könne. In einer Stellungnahme dazu heißt es:

“Rechtswissenschaft lebt vom Diskurs verschiendener Akteure mit den verschiedenen Meinungen. Der Verlag bietet dafür ein Forum und fühlt sich hierbei zur Neutralität verpflichtet.” Und weiter: “Diese Neutralität gebietet es auch, dass sich der Verlag nicht in die Auseinandersetzungen der Tagespolitik verstricken lässt. Zwar ist die Kommentierung von Herrn Dr. Hans-Georg Maaßen im Beck-Online-Kommentar zum Grundgesetz fachlich nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Person und der öffentlichen Äußerungen von Dr. Maaßen entstand jedoch eine heftige Diskussion mit fortschreitenden Polarisierungen, bei der sich die unversöhnlichen Positionen verselbstständigt haben. Dies schadet dem Grundgesetzkommentar.”

Deshalb habe man geprüft, den Verlagsvertrag mit Maaßen zu beenden. Darafhin habe er selbst am 17. Januar 2023 den Vertrag gekündigt.


Fundstellen:
https://www.lto.de/
https://www.faz.net/
https://www.sueddeutsche.de/

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Helen Arling
Helen Arling
Doktorandin mit Schwerpunkt Völkerrecht, Kletterin, Katzenmensch.

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