FRAU.MACHT.RECHT. 100 Jahre Frauen in juristischen Berufen (Rezension)

Erst im Jahr 1922 erhielten Frauen Zugang zu den beiden juristischen Staatsexamina und damit zu den juristischen Berufen. Dieses Jubiläum wurde auf einer interdisziplinären Tagung am 15. Juli 2022 in Heidelberg unter der Schirmherrschaft von Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Susanne Baer gefeiert. In der Reihe „Schriften zur Gleichstellung“ des Nomos Verlags erschien jetzt der Tagungsband dazu. Ein wichtiges Buch mit großartigen Beiträgen, das wir nicht nur Juristinnen ans Herz legen.

„Die Fähigkeit zum Richteramt kann auch von Frauen erworben werden. Mit diesem Zitat beginnt das Vorwort der Herausgeberinnen (Elisabeth Dux, Johanna Groß, Julia Kraft, Rebecca Militz, Sina Ness ) des Tagungsbandes „FRAU.MACHT.RECHT. 100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“. Es entstammt dem „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege“ vom 11. Juli 1922 (Reichsgesetzblatt 1922 I, S. 573). Seitdem ist die Zahl der Frauen in der juristischen Ausbildung und Berufstätigkeit stetig gestiegen. An den meisten Universitäten übertrifft die Zahl der Jurastudentinnen mittlerweile die der Jurastudenten. Frauen haben das Recht geprägt, haben Recht gesprochen sowie sich und anderen Recht erkämpft.

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Die Tagung zum 100-Jährigen-Jubiläum, an der über 200 Personen teilnahmen, war ein Grund zu feiern, bot aber auch Anlass, einen Blick auf die heutigen Lebensrealitäten von Juristinnen zu werfen. Wie stellte sich der Weg zu der Zulassung von Frauen zu juristischen Berufen dar? Wo stehen wir nun 100 Jahre später? Was kann und soll noch erreicht werden?

Ein Blick zurück: Historische Aspekte

Doch zunächst warf man einen Blick zurück. Im geschichtlichen Teil der Tagung wurden die Forschungsergebnisse zu zwei bisher kaum bekannten Aspekten der Frauenrechtsgeschichte präsentiert. Dr. Fabian Michl, Juniorprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Recht der Politik an der Juristenfakultät der Universität Leipzig, berichtete über den „Heidelberger Juristinnenkreis“, indem sich von 1933 bis 1936 Jurastudentinnen versammelten, um auch im NS-Staat ihre Karrierechancen zu erhalten.

Johanna Mittrop, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juniorprofessur für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Recht der Politik an der Universität Leipzig beschäftigte sich im zweite Beitrag des geschichtlichen Teils mit der 1992 beschlossenen Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG um den Satz „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Ihre These: Der Anfang des Gleichstellungsauftrags liege noch in der DDR.

Im Tagungsband werden die beiden Vorträge durch einen dritten Aufsatz von Martin Schwamborn, Akademischer Rat a.Z am Lehrstuhl für Völker- und Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln, ergänzt. Unter dem  Titel „Frau.Macht.Europarecht“ beschäftigt er sich mit den „Müttern“ des Europarechts und stellt vor, welche Rolle Frauen bei der Entwicklung ebenjenen Rechtsgebiets spielen.

Mit den “Müttern des Grundgesetzes” beschäftigt sich folgender JURios-Artikel: Die “Mütter des Grundgesetzes” – Vier starke Frauen im Rampenlicht

Frauen im Recht heute

Im zweiten Themenkomplex der Tagung ging es um aktuelle Aspekte der „Frau im Recht“. Gesche Brandt, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Bildungsverläufe und Beschäftigung am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Hannover, stellte unter dem Titel „Gleicher Abschluss – gleiche Chancen? Ungleichheiten von Männern und Frauen in juristischen Berufen“ eine Auswertung des DZHW-Absolventenpanels vor. Zu den interessanten Erkenntnissen gehören:

  • Juristen sind ungefähr doppelt so häufig in Führungspositionen wie Juristinnen,
  • Juristen arbeiten häufiger selbständig, Juristinnen größerenteils im Angestelltenverhältnis,
  • Der durchschnittliche Bruttolohn liege für Juristen bei 5.330 €, für Juristinnen bei 4.530 €, ein Unterschied von 15 %,
  • Die Elternzeit beträgt bei Juristinnen durchschnittlich 16-17 Monate, bei Juristen fünf bis sechs Monate

Aqilah Sandhu, Akademische Rätin a.Z. am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht sowie Gesetzgebungslehre der Universität Augsburg, analysierte in ihrem Vortrag die sogenannten „Justizneutralitätsgesetze“. Diese verbieten Richterinnen und Referendarinnen im Gerichtssaal religiöse Zeichen oder religiös motivierte Kleidung zu tragen. Dabei geht es hauptsächlich um das Verbot des Tragens eines Kopftuchs, in dem Sandhu eine „Diskriminierung im Namen der Neutralität“ sieht.

In anderen Ländern ist man diesbezüglich schon viel weiter: Justitia trägt Kopftuch: berühmte Juristinnen mit Kopftuch (JURios berichtet)

Im Tagungsband werden diese beiden wichtigen Themen durch zwei weitere ergänzt. Charlotte Heppner und Susanna Roßbach wollen „Licht in die Blackbox bringen“ und meinen damit die Diskriminierungspotentiale bei der mündlichen Staatsexamensprüfung. Sie fordern Diskriminierungssensibilität und stellen dazu sechs ganz konkrete Vorschläge vor.

JURios berichtet: Diskriminierungsfalle mündliche Staatsexamensprüfung: Sechs Forderungen für eine gerechtere Prüfungspraxis

Wiebke Blanquett fordert in ihrem Beitrag die Aufnahme der geschlechterspezifischen Gewalt und Belästigung in die Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz und gibt Impulse für einen ganzheitlichen Arbeitsschutz. Denn Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gehöre noch heute zur Lebensrealität vieler Frauen, wie auch der Hashtag #metoo zeige.

Das Recht als politisches Herrschafts- und Steuerungsinstrument

Im letzten Teil der Tagung ging es um das Verständnis des Rechts als politisches Herrschafts- und Steuerungsinstrument im Geschlechterkontext. Folgende Beiräge finden sich auch im Buch „FRAU.MACHT.RECHT. 100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“.

  • Pola Marie Brünger vom Institut für Öffentliches Recht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn beschäftigte sich mit dem „Vorwurf des Politischen in der Rechtswissenschaft“.
  • Lea Rabe von der Westfälische Wilhelms-Universität Münster machte sich für eine Paritätsgesetzgebung stark. Diese sei möglich und verhindere Diskriminierungsstrukturen in der Politik und stärke die demokratische Gleichheit.
  • Der Beitrag von Bettina Rentsch, Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der FU Berlin trägt den Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft der Singularitäten“. Die Autorin ist der Ansicht, dass eine Abkehr vom essentialistischen Geschlechterverständnis ein nicht unerhebliches Potential für die individuelle Selbstbestimmung bietet.
  • Ida Westphal beschäftigt sich mit „Geschlecht im Umweltrecht“, einem Rechtsgebiet, in dem das Geschlecht bisher keine Rolle spielt, was nach Westphal aber nicht bedeutet, dass das Geschlecht hier tatsächlich keine Bedeutung habe.

Fazit: Lohnenswert!

Der Tagungsband schafft einen Balanceakt zwischen den Gesetzen von gestern und den Fragen von heute. Frauen sind aus Jurastudium, Referendariat und juristischen Berufen heute nicht mehr wegzudenken. Dass das nicht immer so war, daran erinnert der historische Abriss. Gleichzeitig beschäftigt sich das Buch mit der Lebensrealität von Juristinnen heute. Denn egal, ob in der mündlichen Prüfung oder in der Großkanzlei: Diskriminierungspotentiale sind auch heute noch real und müssen klar benannt werden, damit wir auf dem Weg zur Gleichberechtigung einen Schritt weiter vorankommen.

Wer es nicht geschafft hat, selbst an der Tagung zum 100-jährigen Jubiläum in Heidelberg dabeizusein, kann viele wichtige Gedanken zum Thema in „FRAU.MACHT.RECHT. 100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“ nachlesen. Das Buch regt zum Nachdenken an – und sollte unbedingt auch von Männern gelesen werden.


Tagesordnung: https://www.uni-heidelberg.de/de/frau-macht-recht
Ausführlicher Tagungsbericht: https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2022_6_1703.pdf

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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