1,70 € Knast”lohn” für Herstellung von Schuheinlagen, Feuerlöschern oder Möbeln? Verfassungswidrig!

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Vor der parlamentarischen Sommerpause 2023 des Bundes- und der Landtage ging Ende Juni noch ein Paukenschlag in Gestalt der Entscheidung „Gefangenenvergütung II“ durch die Geschäftszimmer einiger Justizministerinnen, Staatssekretäre, durch Rechtsausschüsse und die Amtsstuben der Gesetzesschreiber. Ihre vor einigen Jahren hurtig gezimmerten Landesgesetze für den Strafvollzug wurden von den höchsten Richtern in Karlsruhe in gewichtigen Punkten aus den Angeln gehoben. 3 Punkte (mangelhaft) für die Legislative!

Ob in der Hauptstadt, den Justizvollzugsanstalten des Ruhrpotts oder in regionalen Vollzugsanstalten, die Reaktion auf eine Entscheidung des BVerfG v. 20. Juni 2023 war mutmaßlich ähnlich: Ein Aufatmen der Anstaltsleiter:innen und der mit Dumping-Löhnen abgespeisten Gefangenen und ihrer Verteidiger:innen war zu erahnen. Auch alleinerziehende Mütter und Väter, die auf Unterhaltszahlungen angewiesen sind, könnten sich etwas besser gefühlt haben. Doch wie kam es dazu?

Lohngestaltung in JVAen problematisch

Es war nicht das erste Mal, dass das BVerfG über die Lohngestaltung und Konzepte für in Haft geleistete Arbeit untersuchte. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffällige (BAGS) betont 2022, dass bereits 2002 in der „Gefangenen I Entscheidung“ der sog. „Gefangenen“lohn““ als problematisch niedrig und konzeptlos kritisiert wurde. Dieses Mal jedoch zerpflügte das BVerfG den Gesetzesboden sogar bis auf den steinigen Grund. Das Gericht erklärte in viel längerer Ausführung als noch 2002, dass die Vorschriften zur Gefangenenentlohnung unverhältnismäßig seien. Denn die Mittel seien nicht einmal geeignet, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Oben drauf gab das BVerfG der Legislative noch Abzüge in der B-Note, denn die Resozialisierung, die aus Artikel 2 Abs. 1 iVm. Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes hergeleitet wird, und die eigentlich durch „Lohn“ für Häftlinge gefördert werden soll, werde fast unmöglich gemacht.

„Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber dazu, ein umfassendes, wirksames und in sich schlüssiges, am Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Resozialisierungskonzept zu entwickeln sowie die von ihm zu bestimmenden wesentlichen Regelungen des Strafvollzugs darauf aufzubauen.“

Der Vollzug der Freiheitsstrafe Erwachsener wurde bereits 1977 bundesgesetzlich geregelt. Daneben treten die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 1 StVollzG). Sowohl NRW als auch Bayern haben in der letzten Dekade eigene Strafvollzugsgesetze erlassen. Beide seit der Föderalismusreform von 2006 erlassenen Strafvollzugsgesetze wurden sowohl akademisch als auch polemisch kritisiert. Gem. Art. 125a Grundgesetz existiert neben den Strafvollzugsgesetzen der Länder auch weiterhin das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) des Bundes.

Das soziale und gesellschaftliche Problem

Der Fall zwei Gefangener aus Bayern und Nordrhein-Westfalen lag den Richtern des BVerfG seit 2022 vor. Der in Bayern Einsitzende arbeitete in einer anstaltseigenen Druckerei. In NRW war der Gefangene als Kabelzerleger in einem JVA-externen Betrieb tätig. Beide beantragten zunächst die Erhöhung des „Entgelts“ für ihre Arbeit und wehrten sich dann erfolglos gerichtlich gegen die Ablehnung der Höhe der Vergütung ihrer Arbeit.

„Der Mensch arbeitet, um zu leben.“ Jedoch ist diese Aussage zu kurz gegriffen. Jede:r Jurist:in weiß aus den Arbeitsrechtsvorlesungen und der Grundrechtskurse im zweiten Semester, dass neben diesen Hauptzweck, ein nicht zu unterschätzender Nebenzweck tritt: Es wird gearbeitet, um wertgeschätzt zu werden, die Persönlichkeit zu entfalten, seine Fähigkeiten zu entdecken und sozial anerkannt zu werden. Arbeit ist also (heute) kein bloßer Selbstzweck. Es bedarf eines Anreizes (Nudging), eines Konzepts, eines Ziels und einer Idee der Förderung der Selbstverwirklichung des Individuums durch die Arbeit (Arbeit als Therapie), wobei der Arbeitende durch die Arbeit etwas bekommen kann.

Die Häftlinge sollen somit nach Vorstellung der Gesetzgeber erkennen lernen, dass eine Erwerbstätigkeit sinnvoll ist, um sich eine Lebensgrundlage aufzubauen (23. April 2002 – 2 BvR 2175/01). Was für Bankräuber, Diebinnen und Betrüger, also all jene Täter:innen, die gegen das Vermögen agieren, sofort sinnvoll erscheint, da sie ggf. Nachholbedarf in Sachen Finanzierung des eigenen Lebens haben mögen, mag bei all jenen, die wissen, dass Erwerbstätigkeit sinnvoll ist, nicht wirklich fruchtbar sein. Der Gesetzgeber hat teilweise die Reduzierung der Wartetage für den Freigang oder das Erlangen einer Freistunde oder eines arbeitsfreien Tages als zu erreichende „Level“ für Anstaltsarbeit vorgesehen.

Der Gesetzgeber sucht seit Langem sog. Bezugsgrößen für die Entlohnung von Gefangenen. Gefangene stehen in den Augen der Gesellschaft und des Gesetzgebers nicht nur in Sachen Freiheit zurück, sondern auch in Sachen Entlohnung ihrer Arbeit. Die sachliche Begründung dafür wird in der Verbüßung der Strafe gesehen. Jedoch steht der Verbüßung mit zunehmender Zeit die Sicherstellung der Wiedereingliederung des zukünftigen oder dann bereits Ex-Häftlings in die Gesellschaft gegenüber. Eine schwierige Gemengelage, die nach Abwägung verlangt.

Warum kein Mindestlohn für Häftlinge?

Gefangene sind zumeist keine Arbeitnehmer:innen. Rechtlich gesehen haben sie keinen Arbeitsvertrag, sondern sind öffentlich-rechtlich zur Beschäftigung angehalten. Der Mindestlohn liegt derzeit bei 12 Euro. Doch, warum bekommen Häftlinge eigentlich keinen Mindestlohn? Hier ein Missverständnis zwischen Gesellschaft, Gesetzgeber und Justiz vor, der noch häufiger trennscharf aufgeklärt werden sollte. Aus der vorstehenden Herleitung ergibt sich somit auch schon die Antwort auf die Frage, warum Häftlinge keinen Mindestlohn gezahlt bekommen, was viele Gesellschaftsmitglieder häufig denken und sogar fordern. Der Gesetzgeber muss sich, sofern Gefangenen“lohn“ kein echter Arbeitslohn, wie in einem normalen Arbeitsverhältnis ist, sondern eine öffentlich-rechtliche Entlohnung sui generis, nicht an den Mindestlohn halten. Das bedeutet aber nicht, dass er sich an gar keine Maßgabe halten muss und völlig frei sei.

Der Gesetzgeber muss sich einen Ansatz suchen, die Bemessung dieses speziellen „Lohns“ für die geleistete Arbeit verständlich zu begründen. Hier erscheint es zwingend die aus dem Sozialleistungsprinzip des Grundgesetzes folgende Maßgabe umzusetzen, dass ein Gefangener auch Anspruch auf ein Mindestmaß an Achtung seiner Arbeit im Vergleich zu anderen nicht arbeitenden und zur normal arbeitenden Bevölkerung hat.

So hob beispielsweise schon das 5. Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27. Dezember 2000 zum 01. Januar 2000 die Entlohnung von 5 % auf 9 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (s. Gefangenen I Entscheidung), was dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der Deutschen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres entspricht. Gerade diese Bemessungsgrundlage darf aber nicht alleine neben den anderen Konzepten oder durch die Arbeit zu erzielende „Vergünstigungen“ der Haftzeit stehen, sondern es muss deutlich werden, dass, wenn Entgelt gezahlt wird, dieses nicht anderen Zwecken nachgeht, wenn gerade das Entgelt dazu genutzt werden soll die Resozialisierung zu fördern.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG hat im Juni 2023 vor allem kritisiert, dass die Gesetze, die derzeit in NRW und in Bayern gelten deshalb nicht widerspruchsfrei sind. Gerade die Resozialisierung werde nicht ausreichend gewürdigt oder zumindest, umgangssprachlich ausgedrückt, so vereinfacht, dass sie auch eine tatsächliche Chance habe, von sich aus zu gelingen. Im Gesetz ist in NRW und Bayern quasi, hart gesprochen, schon das Misslingen der Resozialisierung in Bezug auf die Gefangenenvergütung angelegt. Insbesondere wurde maßgeblich betont, dass aus den beiden Gesetzen nicht hervorgehe, welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung für die geleistete Arbeit im Vergleich mit anderen Beschäftigungen (Ausbildung, Hilfstätigkeiten, Freizeit, Ausgang etc.) dienen soll.

Das BVerfG fordert mithin eine Überarbeitung des hinter dem Gesetz stehenden Konzepts. Besonders deutlich wird dies im Tenor:

„Das Gesamtkonzept muss zur Erreichung des von Verfassung wegen vorgegebenen Resozialisierungsziels aus dem Gesetz selbst erkennbar sein. Der Gesetzgeber muss die Zwecke, die im Rahmen seines Resozialisierungskonzepts mit der (Gesamt-)Vergütung der Gefangenenarbeit und insbesondere dem monetären Vergütungsteil erreicht werden sollen, im Gesetz benennen und widerspruchsfrei aufeinander abstimmen.“

Auch andere Bundesländer, die zwar nicht direkt von der Entscheidung betroffen sind, jedoch eigene, ähnliche Vorschriften und Konzepte haben – meist aufgrund der länderübergreifenden Planungen von Justizministerkonferenzen und der Übernahme von Vorschriften aus dem früheren Bundesstammgesetz, dem Gesetz von vor der Föderalismusreform – sind nicht davor gefeit ihre Gesetze in den nächsten zwei Jahren ggf. neu zu gestalten. Maximal bis zum 30. Juni 2025 können die Vorschriften in NRW und in Bayern in Kraft bleiben, während eine neue Vorschrift bzw. ein Gesamtkonzept durch die Legislative ersonnen wird.


Entscheidung: BVerfG, Urt. v. 20.06.2023, Az. 2 BvR 166/16; 2 BvR 1683/17
LTO, Kommt der Mindestlohn für Häftlinge?, https://www.lto.de/

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