Gefahr im Verzug! – Der Stellenwert der StPO in Fernsehkrimis und in der Realität

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Wer als Strafrechtler den Tatort oder einen beliebigen anderen Krimi schaut, wird früher oder später massive Kopfschmerzen bekommen. Dass den dort ermittelnden Kommissaren die Strafprozessordnung offenbar weitgehend unbekannt ist, fällt zumeist nach wenigen Minuten auf. Mit viel Glück wird zwar eine halbwegs vollständige Beschuldigtenvernehmung durchgeführt, spätestens bei Durchsuchungen wird das Gesetz aber zumeist völlig ignoriert.

Stellenweise begeben sich die Ermittler zum Beschuldigten und fragen zunächst, ob er einer Durchsuchung zustimmt. Verneint er dies erwartungsgemäß, wird ihm vorgeworfen, dies mache ihn verdächtig – er habe schließlich nichts zu verbergen, oder? Dass es sich hierbei um eine unzulässige Täuschung (§ 136a Abs. 1 S. 1 Alt. 6 StPO) des Beschuldigten handelt, nachdem aus der Verweigerung der Zustimmung gerade kein Verdacht gezogen werden darf (Stichwort: nemo tenetur!),  fällt hierbei oft völlig unter den Tisch. Getäuscht werden kann gerade auch über Rechtsfragen (vgl. LG Regensburg, StV 2012, 332).

Typischerweise biegt der Fernsehkrimi dann in eine von zwei Richtungen ab:

  1. Dem Beschuldigten wird eröffnet, man werde mit einem Durchsuchungsbeschluss zurückkommen. Dies widerspricht zwar der StPO nicht, ist aber total praxisfern. Die Durchsuchung ist gerade nur deshalb effektiv, weil der Betroffene idealerweise nicht vorher über sie informiert ist. Nicht umsonst kann bei Durchsuchungen regelmäßig von der vorherigen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden (Meyer-Goßner/Schmitt: Strafprozessordnung, 66. Auflage, München: 2023, § 33 Rn. 15).
  2. Die Ermittlungsbeamten entscheiden sich ohne einen vorherigen Versuch, einen Richter oder zumindest einen Staatsanwalt zu erreichen, dass nunmehr Gefahr im Verzug vorliege und durchsuchen die Räumlichkeiten, womit sie typischerweise Erfolg haben. Dass sich hier vielfach schwerwiegende Probleme hinsichtlich der Anordnungskompetenz und insbesondere auch betreffend möglicher Beweisverwertungsverbote ergeben, ist hierbei völlig unbeachtlich.

Die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft

Die Durchsuchung wird im Grundsatz nur durch einen Richter angeordnet (BVerfGE 103, 142, 151). Dies folgt nicht erst aus dem Wortlaut von § 105 Abs. 1  S. 1 StPO („nur durch den Richter, bei Gefahr in Verzug durch die Staatsanwaltschaft […]“, sondern bereits aus der ähnlichen Formulierung in Art. 13 Abs. 2 GG. Die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen, zu denen auch die Fernseh-„Kommissare“ regelmäßig gehören, sind zur Anordnung nur befugt, wenn „Gefahr im Verzug“ besteht.

Wann dies der Fall ist, soll anhand eines Beschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 19.4.2023 (Az.: 350 Gs 136/23 = BeckRS 2023, 19304) erläutert werden.

Die Polizei befand sich anlässlich einer anderen Angelegenheit im Hinterhof des  Mehrfamilienhauses, in dem die spätere Beschuldigte wohnhaft war. Die eingesetzten Beamten nahmen Cannabisgeruch aus ihrer Wohnung wahr und konnten bei einem Blick durch das Fenster der Erdgeschosswohnung Utensilien erblicken, die „zum Anbau von Cannabis geeignet sind“ („vermutlich“ Dünger). Sie riefen daraufhin die Staatsanwaltschaft an und regten die Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses an – ein Schritt, der im Fernsehen sehr selten zu beobachten ist. Der Staatsanwalt versuchte um 16.04 Uhr, den Ermittlungsrichter zu erreichen, was ihm zunächst misslang. Um 16.07 Uhr ordnete er die Durchsuchung kurzerhand selbst an. Es handelte sich um einen Donnerstag, ferner hätte zwischen 6 und 21 Uhr ein Ermittlungsrichter erreichbar sein müssen (BVerfGE 151, 67, 88-89). Auch außerhalb dieser Zeiten muss grundsätzlich zunächst der Versuch unternommen werden, den Ermittlungsrichter zu erreichen (BbgVerfG, NJW 2003, 2305, 2306).

Hier: Keine Gefahr im Verzug

Gegen diese Durchsuchungsanordnung richtete sich der Feststellungsantrag der Beschuldigten. Sie trug vor, dass keine Gefahr im Verzug vorgelegen habe, da mit einer Entdeckung der Polizeibeamten und mithin einer möglichen Verdunklung der Beweislage nicht zu rechnen gewesen sei. Eine Gefahr im Verzug liege nicht bereits dann vor, wenn der Staatsanwalt den Ermittlungsrichter nicht erreiche. Dass keine Gefahr im Verzug vorgelegen habe, ergebe sich bereits daraus, dass die Durchsuchung tatsächlich erst um 16.33 Uhr stattgefunden habe.

Das Gericht gab dem Antrag der Beschuldigten statt und stellte fest, dass die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war. Es folgte der Argumentation der Beschuldigten, dass der Umstand, dass die Durchsuchung tatsächlich erst 26 Minuten nach der Anordnung erfolgte, obgleich bereits Beamte vor Ort waren, gegen eine Gefahr im Verzug sprächen. Es sei in diesem Zeitraum unproblematisch möglich gewesen, zumindest zu versuchen, eine richterliche Anordnung zu erlangen.

Diese scheinbar unscheinbare Aussage ist durchaus beachtlich. Das Gericht hat hiermit implizit zum Ausdruck gebracht, dass es gerade nicht genügt, wenn Gefahr im Verzug zum Anordnungszeitpunkt besteht – vielmehr müssen die Ermittlungsbehörden sich bis zum Vollzug der Anordnung um eine solche fortlaufend bemühen, ein Verstoß kann ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. auch OLG Köln. StV 2010, 15, 16).

Take-Aways:

Der geneigte Leser sollte aus diesem Artikel folgendes für sich behalten:

  1. Grundsätzlich muss zwischen 6 und 21 Uhr stets ein Ermittlungsrichter erreichbar sein (BVerfGE 151, 67, 88-89). Es muss jedoch auch zur Nachtzeit stets zunächst der Versuch unternommen werden, den Ermittlungsrichter zu erreichen (BbgVerfG, NJW 2003, 2305, 2306), wenn nicht bereits dies den Zweck der Maßnahme gefährdet.
  2. Eine schwerwiegende Verkennung des Richtervorbehalts kann ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. Der Beschuldigte sollte einer Durchsuchung daher niemals freiwillig zustimmen, auch wenn er meint, diese nicht mehr verhindern zu können.
  3. Insbesondere bei Eilanordnungen muss der sauber arbeitende Strafverteidiger die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung genaustens prüfen und ggf. ihre Rechtswidrigkeit geltend machen.
  4. Zum Genuss eines Fernsehkrimis sollten stets Kopfschmerztabletten bereit liegen.
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Pascal Reuer
Pascal Reuer
Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften im 7. Fachsemester an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat dort im Sommersemester 2023 seine universitäre Schwerpunktprüfung im Schwerpunkt „Deutsche und Internationale Strafrechtspflege“ abgelegt.

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