Das rassistischste Polizeirevier Deutschlands?

Seit einigen Jahren wird vermehrt über Rassismus bei der Deutschen Polizei diskutiert. So tauchten in der näheren Vergangenheit in fast allen Bundesländern Chatnachrichten mit rassistischen Inhalten wie Hakenkreuzen oder volksverhetzenden Kommentaren von Polizist:innen auf. Das schwarze Schaf unter den Polizeidienststellen ist aber mit Sicherheit das Polizeirevier Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Hier nur eine kleine Auswahl der Skandale, welche die Polizeidienststelle umgeben.

Das Polizeirevier Dessau-Roßlau ist zuständig für die gleichnamige kreisfreie Stadt mit rund 80.000 Einwohner:innen. Stärkste politische Kraft ist die CDU, dicht gefolgt von der AfD, die bei der letzten Kommunalwahl 16,8 Prozent der Stimmen erhalten hat. Im Landtag wird der Wahlkreis unter anderem von der AfD-Politikerin Nadine Koppehel vertreten.

Aber zurück zum Polizeirevier Dessau-Roßlau, das immerhin so bekannt ist, dass es als eher kleines Revier einen eigenen Wikipedia-Artikel hat. Das liegt unter anderem daran, dass es in seinem Umfeld immer wieder zur mysteriösen Todesfällen kommt.

Der Tod von Hans-Jürgen Rose

Am 8. Dezember 1997 verstarb der Maschinenbauingenieur Hans-Jürgen Rose an schwersten inneren Verletzungen in einem Krankenhaus in Sachsen-Anhalt. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember war er von der Polizei aufgegriffen worden, weil er betrunken Auto gefahren war. Rose war auf dem Polizeirevier Dessau-Roßlau ermittlungstechnisch behandelt und mitten in der Nacht gegen drei Uhr entlassen worden. Gegen fünf Uhr wurde Rose in unmittelbarer Nähe mit schwersten Verletzungen aufgefunden. Passant:innen alarmierten einen Krankenwagen. Im Krankenhaus wurde u. a. ein Lungenabriss und eine Lendenwirbelzerschmetterung festgestellt. Rose verstarb an den Folgen dieser schweren inneren Verletzungen. Am Fundort gab es keine Zeichen für eine Schlägerei oder einen Verkehrsunfall, die diese Verletzungen erklären könnten.

Die Ursache für Roses Tod ist bis heute offiziell ungeklärt. Rechtsmediziner:innen aus Halle, die den Leichnam 1998 untersuchten, erklärten, dass die Schwere von Roses Verletzungen dem entspräche, was „bei einem Sturz aus größerer Höhe zu erwarten gewesen wäre“. Der Rechtsmediziner Claus Metz, der die Akte des Falles gesichtet hatte, stellte die Vermutung an, dass Rose im Polizeireviers an eine Säule gefesselt und mit Stahlknüppeln gefoltert wurde. Später habe man den Schwerverletzten auf der Straße platziert.

Das Ermittlungsverfahren in dieser Sache wurde zunächst 2002 und nach Wiedereröffnung dann 2014 endgültig eingestellt. Das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt erklärte 2018, dass zum Tod Roses keinerlei Unterlagen mehr existierten. Was in den fatalen 1,5 Stunden zwischen der offiziellen Entlassung Roses aus dem Polizeigewahrsam und seinem Auffinden durch Passanten passierte, wird also für immer ein Geheimnis bleiben.

Eine inoffizielle Seite sammelt die Verfehlungen des Polizeireviers.

Ein tragischer Einzelfall? Mitnichten. 2002 wurde der Obdachlose Mario Bichtemann zur Ausnüchterung in eine Zelle des Polizeirevier Dessau-Roßlau verbracht. Als die Zellentür später geöffnet wurde, lag er mit einem Schädelbasisbruch tot auf dem Boden. Das Verfahren gegen den diensthabenden Dienstgruppenleiter wurde eingestellt.

Der Fall Oury Jalloh

Zu einem der bekanntesten unaufgeklärten Todesfälle auf Deutschen Polizeirevieren gehört mit Sicherheit der tragische Fall des Afrikaners Oury Jalloh, der 1969 in Guinea geboren wurde und seit 1999 geduldet in Deutschland lebte. Mit seiner deutschen Lebensgefährtin hatte er ein gemeinsames Kind. Am 7. Januar 2005 verbrannte er in einer Zelle im Keller des Polizeireviers Dessau-Roßlau.

Jalloh wurde stark alkoholisiert von der Polizei aufgegriffen und, nachdem er sich geweigert hatte, sich auszuweisen, festgenommen.

Nach Darstellung der Polizei habe man Jalloh mit Handschellen gefesselt in eine Zelle im Keller des Polizeireviers verbracht. Dort sei es ihm gelungen, an ein Feuerzeug in seiner Tasche zu gelangen, und die Matratze zu entzünden. Der Gefangene verstarb an seinen Verbrennungen. Den ersten Alarm des Rauchmelders habe man ignoriert, weil dieser öfters Fehlfunktionen habe. Wegen der Rauchentwicklung sei es später nicht mehr gelungen, den an den Zellenboden gefesselten Gefangenen zu retten.

Ab März 2007 fand vor dem Landgericht Dessau der Prozess gegen den zuständigen Dienstgruppenleiter wegen Körperverletzung mit Todesfolge und einen mitangeklagten Kollegen wegen fahrlässiger Tötung statt. Die Staatsanwaltschaft ging zwar davon aus, dass Jalloh das Feuer selbst entfacht habe, sein Tod sei aber bei rechtzeitigem Einschreiten vermeidbar gewesen. Am 8. Dezember 2008 wurden die Angeklagten aus formalen Gründen freigesprochen (LG Dessau-Roßlau, 08.12.2008, Az. 6 Ks 4/05). Die Worte des Vorsitzende Richters Manfred Steinhoff gingen damals durch alle Medien:

„(Die Polizisten haben) ‚bedenkenlos und grottendämlich‘ falsch und unvollständig ausgesagt, sie haben dem Land Sachsen-Anhalt ‚aufs Übelste geschadet‘. Steinhoffs abschließende Worte könnten deutlicher nicht sein: ‚Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen.‘”

Auf die Revision hin wurde das Urteil vom BGH aufgehoben und der Fall neu vor dem Landgericht Magdeburg verhandelt. Am 13. Dezember 2012 wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 90 Euro (10.800 Euro) verurteilt (LG Magdeburg, 13.12.2012, Az. 21 Ks 141 Js 13260/10 (8/10)). Dieses Urteil wurde 2014 vom BGH bestätigt (BGH, 04.09.2014, Az. 4 StR 473/13).

Doch was wirklich in der Zelle geschah, ist bis heute umstritten. Am wahrscheinlichsten ist, dass Jalloh in seiner Zelle von den Polizist:innen ermordet wurde, um vorausgegangene Misshandlungen zu vertuschen.

Ein im Auftrag der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh angefertigtes neues Brandgutachten kam zu dem Schluss, dass die schnelle und völlige Zerstörung der Matratze, das Ausmaß und die Intensität des Feuers sowie die Verkohlung des Körpers bis in tiefe Hautschichten nur durch den Einsatz von zwei bis fünf Liter eines Brandbeschleunigers möglich gewesen sei. Die bei Obduktion in der Leiche Jallohs festgestellten Cyanide deuteten auf den Einsatz von Brandbeschleuniger hin. Jalloh konnte den Brand also nicht selbst verursachen, sondern wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer dritten Person getötet.

Ein forensisches Gutachten aus dem Jahr 2019 geht außerdem davon aus, dass Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt wurde:

„Der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte Oury Jalloh wurde vor seinem Tod schwer misshandelt. Dabei wurden ihm unter anderem Schädeldach, Nasenbein, Nasenscheidewand und eine Rippe gebrochen. Das ergibt ein neues forensisches Gutachten des Rechtsmediziners und Radiologie-Professors Boris Bodelle von der Universitätsklinik Frankfurt, das die taz einsehen konnte. Das Gutachten hatte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh (IGOJ) in Auftrag gegeben. […] Laut dem Frankfurter Gutachten zeigen Entzündungen, dass Jalloh zum Zeitpunkt der Verletzungen noch gelebt haben muss, die Brüche ihm also nicht etwa während der Löscharbeiten oder beim Transport in die Leichenhalle zugefügt sein können. Es sei davon auszugehen, dass die Veränderungen ‚vor dem Todeseintritt entstanden sind‘, heißt es im Gutachten.“

(taz, 28. Oktober 2019)

Im April 2014 leitete die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau deswegen ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache ein, das 2017 an die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg übergeben wurde.

Der Mordfall Li Yangjie

Und sogar im Mordfall einer chinesischen Austauschstudentin spielt das Polizeirevier eine Rolle. Die 25-Jährige Li Yangjie studierte an der Hochschule Anhalt in Dessau Architektur. Auf dem Weg zum Joggen wurde sie im Mai 2016 in eine Wohnung gelockt, vergewaltigt und getötet.

Später wurde der Dessauer Sebastian F., der einzige Sohn der Dessauer Polizistin Ramona S. als Täter ermittelt. Geholfen hatte ihm seine Lebensgefährtin Xenia I. Sebastian F. ist Stiefsohn von Jörg S. dem damaligen Leiter des Polizeireviers Dessau-Roßlau. Ramona S. wirkte an der Ermittlungsgruppe im Mordfall Yangjie mit und vernahm unter anderem Zeug:innen. Zusammen mit Jörg S. soll sie zeitweise Zugriff auf die Ermittlungsergebnisse des Falles gehabt haben. Außerdem halfen beide bei der Räumung der Wohnung von Sebastian F., in der die Tat geschehen war. Später entzog das Innenministerium Sachsen-Anhalt der Dessauer Polizei die Ermittlungen und übertrug sie auf die Polizei in Halle (Saale).

Im August 2017 wurde Sebastian F. wegen Vergewaltigung und Mordes vom Landgericht Dessau-Roßlau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Xenia I. erhielt wegen sexueller Nötigung eine Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.

To be continued?

2017 tötete ein 21-jähriger Syrer den 30-jährigen Markus Hempel. 2020 suchten Polizist:innen des Polizeirevier Dessau-Roßlau den Vater des Opfers zum Zweck einer “Gefährderansprache” auf. Sie behaupteten, von Racheplänen gegen den Täter zu wissen. Diese Vorwürfe stellten sich als haltlos heraus, die Gefährderansprache war somit rechtswidrig.

2021 wurde bekannt, dass intern gegen eine junge Polizistin des Polizeirevier Dessau-Roßlau ermittelt wird, die in mehr als zehn Briefen „romantische Gefühle gegenüber dem Attentäter“ des Anschlages in Halle ausgedrückt haben soll. Sie offenbarte darin außerdem „Neigung zu rechtsextremen Verschwörungstheorien“.

Was geschieht als nächstes im Polizeirevier Dessau-Roßlau?

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