Frauen im Recht: “Ius primae noctis” – Herrenrecht der ersten Nacht

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Die (historischen?) Fesseln der Frau in rechtlich-sozio-kultureller Hinsicht                   

Die Definition einer Verfügung gehört zum absoluten Pflichtwissen bis spätestens zum Examen. Eine gedankliche Eselsbrücke baut dazu die sogenannte “Hochzeitsnacht”: Der Bräutigam “hebt die Braut auf” (Aufhebung), “trägt sie über die Schwelle” (Übertragung), woraufhin diese “von ihm in der Hochzeitsnacht belastet” (Belastung) wird und “sich der Inhalt ändert” (Inhaltsänderung).

Doch wäre uns diese Eselsbrücke in dieser Form auch vor 500 Jahren gelehrt worden?


Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 5. juriosen Essay-Wettbewerbs “Frau im Recht” zum Internationalen Frauentag 2024. Es handelt sich um den zweiten Platz in der Kategorie “Freitexte”. Weitere Informationen zum Essay-Wettbewerb und alle anderen Gewinner-Texte finden Sie hier: https://jurios.de/essay-wettbewerb/


Das “ius primae noctis”

Jedenfalls nach dem historischen Mythos des “ius primae noctis”, auch bekannt als “Recht der ersten Nacht”, hätte nicht ausschließlich der Bräutigam, sondern möglicherweise auch der Gerichtsherr die Braut “in der Hochzeitsnacht belastet”.

Zeitlich einzuordnen ist das Konstrukt vor allem in das westeuropäische Spätmittelalter, in eine angeblich von “Gott gegebene” feudale Ständeordnung, deren Zugehörigkeit durch Geburt festgelegt wird und einen Aufstieg von vornherein ausschließt.

Der jeweilige Feudal- und Gerichtsherr habe demnach das Recht gehabt, bei der Vermählung zweier seiner Untertanen, wahlweise die Hochzeitsnacht mit der Braut zu verbringen oder den sogenannten “Stechgroschen” als Surrogat zu verlangen (wohl eher als Ersatz für bereitgestellte Hochzeitsutensilien, als für das entgangene Vergnügen). Die Vorstellung, dass ein Herrscher das Recht hat, die Jungfräulichkeit einer Braut für sich zu beanspruchen, erfüllte dabei nicht bloß den Zweck, die Macht des Feudalherrn und die absolute Unterwerfung seiner Untertanen zu verdeutlichen. Auch sollte der Zorn gegenüber den übergeordneten Ständen geschürt werden. So wird diese vermeintliche Rechtspraxis in zahlreichen mittelalterlichen Chroniken als besonders tyrannische Form der Unterdrückung und des Machtmissbrauchs der feudalen Oberschicht dargestellt – also eine Form des Missbrauchs mit den Fesseln des vermeintlichen Rechts.

Historische Bewertung

Dabei ist die tatsächliche historische Existenz des “ius primae noctis” als Gegenstand zahlreicher Debatten alles andere als unumstritten.[1] Während die einen es als reales historisches Rechtsinstitut zur Disziplinierung und Kontrolle der Bevölkerung oder zumindest als Mittel zur Legitimierung der Machtstrukturen sehen, wird es von anderen als reine Legende und Propaganda gegen die herrschende Klasse bewertet.[2] Vereinzelte Quellen aus dem westeuropäischen Raum bekräftigen jeweils beide Ansichten – an einer breiten Quellenlage mangelt es hingegen.

Das mag angesichts der barbarisch erscheinenden Praxis nicht verwunderlich sein – wer dokumentiert schon seine Freveltaten für die Nachwelt? Allerdings bestehen mitunter überaus detaillierte Darstellungen über die jeweiligen Steuererhebungen der Feudalherren. Demnach müsste auch der sogenannte “Stechgroschen” in entsprechenden Dokumenten jedenfalls Erwähnung finden, was nicht der Fall ist. Dagegen ließe sich folgendes einwenden: Ob ein Stechgroschen zu zahlen war, oblag ohnehin nur der Entscheidung des Herrschers. Dieser könnte also schlichtweg eine theoretische Alternative zur “ius primae noctis” als Abmilderung genutzt haben, ohne jedoch tatsächlich davon Gebrauch machen zu wollen. Andererseits erscheint es kaum vorstellbar, dass sich die Oberschicht mögliche Zahlungen hätte entgehen lassen.[3] Daraus ließe sich folgern, dass mangels hinreichender Dokumentation des Stechgroschens eine entsprechende Praxis wohl kaum flächendeckend zur Anwendung gekommen sein kann.

Letztendlich handelt es sich dabei jedoch nur um auf der Logik basierende Erwägungen, die einer tatsächlichen Grundlage entbehren und somit bloße Vermutungen darstellen. Mangels entsprechender historischer Beweise kann also keine sichere Verifikation des “ius primae noctis” erfolgen.

Es ist wohl vor dem Hintergrund eines eng verwobenen Geflechts von sozio-kulturellen und rechtlichen-politischen Einflüssen in den nebulösen Bereich der Legenden einzuordnen.

Lehren aus dem “ius primae noctis”: Fesseln abgelegt?

Die Diskussion über das “ius primae noctis” ist dennoch keineswegs von bloß theoretischer Relevanz. Vielmehr eröffnet sie einen hilfreichen, breiteren Blick auf die Rechtsstellung von Frauen im Laufe der Geschichte. Unabhängig von der tatsächlichen Existenz dieses Rechts zeigt es vor allem eines mit aller Deutlichkeit: das tiefe Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in vergangenen Gesellschaften. Denn selbst wenn es sich dabei nur um einen Mythos handelt, wurde die Propaganda einer vermeintlichen männlichen Entscheidungsgewalt über die weibliche Jungfräulichkeit oder den weiblichen Körper zur Unterdrückung schon damals so gewählt, dass sie sich jedenfalls teilweise verfängt. Vollkommen abwegig kann diese Legende also nicht gewesen sein, es werden zumindest ähnliche Konstellationen bestanden haben. Nicht umsonst hat das “Recht der ersten Nacht” die Jahrhunderte überdauert und die Phantasie und den Zorn vieler Menschen beflügelt.

Beachtlich ist zunächst, dass bereits die Verbreitung einer derartigen Propaganda jedenfalls zu einer gesellschaftlichen Abwertung der Frau führte. Zudem ist Kernpunkt des Mythos nicht etwa die Kritik daran, die Frau zu unterwerfen, indem man ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht aberkennt. Vielmehr geht es darum, das vermeintliche Recht des Bräutigams an der „ersten Nacht“ mit der (jungfräulichen) Braut auf den Herrscher zu übertragen, dem Bräutigam also sein Recht zu nehmen. Angelehnt an die – uns hoffentlich noch geläufige – „Hochzeitsnachts-Eselsbrücke“ zur sachenrechtlichen Verfügung, erinnert das stark an eine sachenrechtliche Verfügungsbeschränkung. Also als sei der Bräutigam ansonsten verfügungsberechtigt über die Braut.

Damit offenbaren selbst diejenigen, die durch eine Verbreitung der Legende vom “Recht der ersten Nacht” Kritik an den Unterdrückern üben wollten, ein Frauenbild, das keine sexuelle Selbstbestimmung vorsieht und geben sich so selbst als Unterdrücker zu erkennen – gegenüber der Frau.

Auch wenn das “ius primae noctis” im heutigen Kontext moderner Rechtsprinzipien, insbesondere als Widerspruch zur freien Entscheidung über den eigenen Körper und damit zu grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte sowie der Gleichberechtigung, beinahe als absurde barbarische Praxis erscheint, darf nicht vergessen werden:

Institutionalisierte Repression der Frau mittels rechtlich auferlegter Fesseln

Historisch betrachtet waren Frauen oft rechtlich benachteiligt und sahen sich einer Reihe von Beschränkungen in Bezug auf Eigentum, Erbrecht und persönlicher Freiheit gegenüber. Nicht selten erfolgte die Unterdrückung durch gesellschaftliche Normen und rechtliche Einschränkungen – und damit in einer nur schwer zu durchbrechenden Form der Unterdrückung: eine institutionalisierte Repression mittels rechtlich auferlegter Fesseln.

Zudem sehen sich selbst in der heutigen Zeit Frauen in vielen Teilen der Welt mit rechtlichen Ungerechtigkeiten konfrontiert, beispielsweise durch ungleiche Bezahlung[4], unzureichenden Schutz vor häuslicher Gewalt[5] oder durch eine mangelnde Vertretung in Führungspositionen[6] als Fortwirkung historischer Fesseln.

Daher ist es unerlässlich, das Beispiel der “ius primae noctis” nicht nur als unterhaltsame Anekdote zu nutzen, sondern als ein Exempel zu betrachten: Um die Geschichte der Frauenrechte zu analysieren und die entsprechenden Lehren daraus zu ziehen. Der historische Blick hilft dabei, zu verstehen, dass für heutige Generationen schon fast als selbstverständlich erscheinende Werte wie Gleichberechtigung und Menschenrechte keine Zufälle sind.

Die Rechte der Unterdrückten wurden in der Geschichte der Menschheit nie kollektiv gewährt, sie mussten stets hart erkämpft werden! Insbesondere der Kampf um Gleichberechtigung ist daher ein fortwährender Prozess, der ständige Aufmerksamkeit und Engagement erfordert.

Selbst wenn sich in der heutigen Zeit die Rechte der Frauen erheblich verbessert haben und bedeutende Fortschritte in Richtung Gleichberechtigung gemacht worden sind, sollten wir nicht den Blick für Verbesserungspotential verlieren. Denn auch weiterhin gibt es noch viel zu tun, um dafür zu sorgen, dass Frauen in allen Bereichen des Lebens die gleichen Rechte und Chancen wie Männer haben – und zwar nicht nur auf dem Papier.

Insgesamt zeigt die Debatte um den Mythos “ius primae noctis”, dass die Rechte der Frauen eng mit kulturellen, sozialen und rechtlichen Normen verknüpft sind. Daher stehen insbesondere auch Juristen in der Pflicht, weiterhin auf eine tatsächliche Gleichberechtigung hinzuwirken – damit die rechtlich-sozio-kulturellen Fesseln der Frau endgültig der Vergangenheit angehören!


[1]Jörg Wettlaufer, “Das Herrenrecht der ersten Nacht – jus primae noctis-“, Materialien zum Forschungsprojekt (1990-1998) abrufbar unter https://digihum.de/jpn/about/ (zuletzt abgerufen am 06.01.2024).

[2] Ana E. Ortega Baún, “Ritual oder Mythos? Das Recht der ersten Nacht” abrufbar unter https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2022/04/ritual-oder-mythos-das-recht-der-ersten-nacht (zuletzt abgerufen am 06.01.2024).

[3] Dazu auch: Ulli Kulke, “Als der Chef die Braut noch vergewaltigen durfte” abrufbar unter https://www.welt.de/kultur/history/article13480509/Als-der-Chef-die-Braut-noch-vergewaltigen-durfte.html (zuletzt abgerufen am 06.01.2024).

[4] Bereinigter Gender Pay Gap bei 7 %, Statistisches Bundesamt, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_036_621.html (zuletzt abgerufen am 06.01.2024).

[5] 2022 Anstieg häuslicher Gewalt um 8,5% im Vergleich zum Vorjahr, davon 71,1% weibliche Opfer; BKA, “HÄUSLICHE GEWALT, Lagebild zum Berichtsjahr 2022” abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2023/lagebild-HG.html?nn=9388922 (zuletzt abgerufen am 06.01.2024).

[6] Frauenanteil in Führungspositionen in Deutschland 2022 von 28,9 %, Eurostat, “Erwerbstätige Frauen in Führungspositionen nach Alter” abrufbar unter https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/TQOE1C2__custom_6862785/bookmark/table?lang=de&bookmarkId=aadc1ede-76ba-473c-8d69-d205ca03982f (zuletzt abgerufen am 06.01.2024).

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