Geiz oder Reiz? – Frauen in der Geschichte des Rechts

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Über Frauen im Recht wurde seit langer Zeit ausschweigend nachgedacht – vornehmlich von Männern. Blicken wir in der Geschichte zurück, finden wir eine unübersehbare Fülle rechtsgelehrter Literatur aus männlicher Feder über Frauen.

Das gesamte Leben mit allen erdenklichen rechtlichen Reflexionen wurde durchdekliniert: angefangen bei der Aufnahme der Muttermilch (Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten) über die weibliche Berufsausübung bis zum Nottestament der Frauen kurz vor dem Tod. Doch warum widmeten sich die Weisen der Jurisprudenz in so ausführlicher Weise dem Recht der Frauen, wenn doch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass Gesetze immer für beide Geschlechter gelten müssen, sofern sie nicht ausnahmsweise Probleme lösen, „ die ihrer Natur nach nur bei Männern oder Frauen auftreten können“ (BVerfG, NJW 1992, 964 (965))?

Schriften wie etwa die „Abhandlung von besondern weiblichen Rechten“ des Juristen Röslin oder „De contractibus mulierum“ (Von den Verträgen der Frauen) des Professors Wibel fanden ihre Berechtigung darin, dass über Jahrtausende eine feste Überzeugung davon bestand, dass Frauen anders als Männer seien. Und weil Männer und Frauen unterschiedlich ausgestattete Rechtssubjekte seien, müssten sie auch verschiedenem Recht unterliegen. So sicher sich die Juristen jedoch über die Notwendigkeit weiblichen Sonderrechts waren, so vielfältig waren ihre Ansichten darüber, wie Frauen denn eigentlich konkret zu betrachten seien.


Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 5. juriosen Essay-Wettbewerbs “Frau im Recht” zum Frauentag 2024. Es handelt sich um den zweiten Platz in der Kategorie “Freitexte”. Weitere Informationen zum Essay-Wettbewerb und alle anderen Gewinner-Texte finden Sie hier: https://jurios.de/essay-wettbewerb/


Er ist die Sonn‘, sie ist der Mond

Manch einer versuchte dem delikaten Verhältnis von Mann und Frau durch Metaphern des Kosmos näher zu kommen: „Er ist die Sonn‘, sie ist der Mond“ (Johann Fischart). Andere stellten einen Vergleich mit der Tierwelt an: Am Beginn des Lebens sei das Kind mehr Tier als Mensch, was sich in einem wachsenden Körper, aber einem zurückbleibenden Geist zeige; in dieser Phase sei die Erziehung der Mutter präsent. Erst mit Fortschreiten der Zeit käme der Vater hinzu, der sich den vornehmen Aufgaben der Erziehung widme (Consilia Tubingensia, Vol. I Cons. 86 Nr. 17ff.).

Wer sich an komplexen Begründungskonstrukten nicht die Finger verbrennen wollte, versuchte das Bedürfnis nach einem weiblichen Sonderrecht mit einem globaleren Ansatz zu rechtfertigen: „Maior dignitas est in sexu virili“ (Die größere Würde wohnt dem männlichen Geschlecht inne). Jede Erstsemesterstudentin wird bei der Lektüre dieses Satzes erbost Artikel 1 des Grundgesetzes zitieren. Die Zeit, in der die gleichberechtigte Verteilung der Würde auf Mann und Frau eine Grundfeste unseres Staates bildet, ist jedoch im Vergleich zu der Spanne, in der obiges Zitat die Geisteshaltung der Juristen beherrschte, ein marginaler Splitter. Frauen in öffentlichen Ämtern, als Zeuginnen vor Gericht, bei bedeutenden Rechtsgeschäften oder als Erzieherinnen ihrer Kinder – alles konnte mit dem Verweis auf die mindere Würde negiert werden.

Auf eine irgendwie geartete Minderwertigkeit im Vergleich zu den Männern konnten sich die Juristen lange Zeit noch einigen; wenn es jedoch ins Detail ging, endete der Konsens.

Manch einer vertrat, dass Frauen schwach im Geiste seien; sie seien von den Vertretern des männlichen Geschlechts leicht zu überreden und könnten sich nicht durchsetzen. Ihr Herz sei frei von Beständigkeit. Folglich würden sie Gefahr laufen, ihr Vermögen zu verschleudern, weshalb sie aus dem Rechts- und Geschäftsverkehr weitgehend zu verbannen seien.

Andere vermuteten die weibliche Eigenart in Geiz und Gier (Sichard, Responsa iuris, Matrimonalia Consilia, Consilium X). Ohne Sinn für das Schöne des Lebens seien die Frauen habsüchtig und unsozial. Weil sie nur auf den eigenen Vorteil bedacht seien, könnten sie keine fairen Geschäftspartner sein.

Todesstrafe für vergewaltigte Frau?

Auch die sexuelle Präsenz der Frauen wurde zum Gegenstand des rechtlichen Diskurses gemacht. Vorehelicher Geschlechtsverkehr war den Juristen und Theologen zwar allgemein lange suspekt. Für die Frauen galten aber nochmal besondere Anforderungen an die Keuschheit: quod major a foeminis, quam a viris, requiratur castitas. Von den Frauen wurde eine ungleich stärkere Unterdrückung sexueller Reize wie von den Männern gefordert.

Und wenn es doch zu einer amourösen Verbindung außerhalb der Ehe gekommen war? Auch hier herrschte unter den Juristen Streit: während manche ihre männlichen Geschlechtsgenossen stets als sittlose Verursacher ansahen (In dubio autem foemina semper virgo & a stupratore seducta praesumitur), wurde den Frauen andernorts auch in Fällen des gewaltsam durchgeführten Geschlechtsverkehrs oft eine Mitschuld gegeben. Sinnbildlich ist etwa die gerichtliche Feststellung, die Frau sei „ein schwaches Weibs-Bild, und Peinlich-Beklagter ein alter 66-jährig böser und gailer Mann“. Deshalb kam das Gericht in diesem Fall zu dem gnädigen Schluss, dass sie „wegen ihrer Jugend und bezeugten Widerwillen, mit der Todes-Straffe zu verschonen“ sei. Welch ein Erfolg, dass auf die Vergewaltigung nicht noch die Hinrichtung gefolgt ist…

Den zahlreichen, illustren Begründungsversuchen einer weiblichen Andersartigkeit folgten tatsächlich vielfältige weibliche Sonderrechte, die den Handlungsspielraum der Frauen nicht selten erheblich verengten. So waren viele Frauen gezwungen, zu allen rechtserheblichen Akten wie Kaufverträgen, Eheverträgen oder Zivilprozessen einen gerichtlich bestellten Vogt zu beteiligen. Von öffentlichen Positionen im Rechtswesen wie etwa dem Gericht, der Anwaltschaft, dem Zeugenstand oder dem Amt des Testamentsvollstreckers waren Frauen so selbstverständlich ausgeschlossen, dass es einer näheren Begründung nicht bedurfte. Es reichte der Verweis, dass es sich um ein officium virile – ein männliches Geschäft – handelte, bei dem Frauen nichts zu suchen hatten. Und in der Familie war der Vorrang des Ehemannes und sein letztes Wort in Konflikten unbestritten.

Misogyne, überraschende und innovative Elemente

Und doch sind auch noch drei einschränkende Beobachtungen wichtig:

  1. Die europäische Landschaft der Rechtsordnungen in Mittelalter und Früher Neuzeit war einheitlich und vielfältig zugleich. Das von Juristen auf der Grundlage des römischen Rechts erarbeitete „gemeine Recht“ galt als Rahmenrecht in vielen Gebieten Europas. Und dennoch entwickelten sich teils sehr unterschiedliche lokale Rechtsgewohnheiten. So war eine rechtliche Beistandschaft für alle Frauen in Süddeutschland weit verbreitet, in den Gebieten des heutigen Österreich aber unbekannt. „Die eine“ europäische Frau in der Geschichte des Rechts gab es nicht und die rechtlichen Stellungen divergierten stark nach dem jeweiligen Territorium, aber auch nach Stand, Religion und Vermögen.
  2. Die aufgezeigten androzentristischen und misogynen Schriften der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Juristen sind nicht ohne Widerspruch geblieben. Bereits im Jahre 1540 stellte der Universalgelehrte und Jurist Agrippa von Nettesheim fest: „Das Weib übertrifft den Mann/ eben so viel/ und ist so viel übertreffentlicher gemacht“. Mit dem Siegeszug der Aufklärung mehrten sich die Überzeugungen, dass es eines weiblichen Sonderrechts nicht mehr bedurfte. In den großen Gesetzesreformen des 19. Jahrhunderts gewann die Erkenntnis Bedeutung, „daß unsere Geschlechts-Curatel eine Reliquie des altdeutschen Mundiums ist, die unsern Verhältnissen gar nicht mehr angemessen sey“ (Bericht der Gesetze-Vorbereitungscommission, Württemberg 1828). So wie es heute zu allen juristischen Problemen Streitstände gibt, gab es auch in der Geschichte des Rechts zu den weiblichen Sonderrechten eine andere Ansicht.
  3. Die Forschung hat in jüngerer Vergangenheit die großen Unterschiede zwischen „law in the books“ und „law in action“ herausgearbeitet. Gesetze und rechtsgelehrte Schriften waren oftmals nicht mehr als männliche Erwartungshaltungen an die Frauen. Das reale Leben aber wurde neben dem Recht vor allem auch von informellem Einfluss, persönlichen Beziehungen, vorhandenem Vermögen, dem Familienstand oder der gesellschaftlichen Schicht bestimmt. So wurden in der Geschichte vielfältige weibliche Handlungsräume sichtbar, die das Recht zu verdecken scheint.

Der Blick auf die Frauen in der Geschichte des Rechts enthüllt somit misogyne, überraschende und innovative Elemente zugleich. Jedenfalls ist aber Vorsicht vor schnellen Schlüssen und vermeintlichen Erkenntnissen geboten, denn die Geschichte ist lang und vielfältig.

Und die Schriften der Juristen waren von den konkreten Lebensrealitäten manchmal ebenso weit entfernt, wie heutzutage. Möglicherweise sagen sie mehr über ihre Verfasser als die adressierten Frauen aus.


Quellen:

  • Elisabeth Koch – Maior dignitas est in sexu virili, Frankfurt am Main 1991
  • Ute Gerhard – Gleichheit ohne Angleichung, München 1990
  • Ute Gerhard (Hrsg.) – Frauen in der Geschichte des Rechts, München 1997
  • Heide Wunder – „Er ist die Sonn‘, sie ist der Mond“ – Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992
  • Susanne Jenisch – “Die berüchtigte Materie von der weiblichen Geschlechts-Curatel”. Die Abschaffung der ‘Geschlechtsvormundschaft’ in der aufklärerischen Diskussion, in: Weckel/Opitz/Hochstrasser/Tolkemitt (Hrsg.), Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert, Göttingen 1998
  • Arne Duncker – Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, Köln/Weimar/Wien 2003
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