Fötus in Haft – der jüngste Gefangene der Welt?

Aktuell sitzt die 24-jährige Natalia Harrell im Miami-Dade County Gefängnis in Florida in Haft. Harrell wird ein Mord 2. Grades vorgeworfen (second-degree murder, vergleichbar eines Totschlags mit bedingtem Vorsatz), den sie im Juli 2022 nach einem Streit mit einer 28-jährigen in einem Uber begangen haben soll. Ein Video, das ein bekannter Nachrichtensender in den USA veröffentlicht hat, soll den Streit zeigen. Harrell plädierte auf „nicht schuldig“ und wartet auf ihren Prozess, der im April 2023 beginnen soll. Seit dieser Anhörung (sog. „plea hearing“) sitzt Harrell nun in U-Haft – ganz normal, sollte man meinen. Doch in Harrells Fall gibt es eine Besonderheit: sie ist schwanger und ihr Fötus hat seit neustem einen Anwalt, der einen Antrag auf Entlassung gestellt hat, da der Fötus unrechtmäßigerweise inhaftiert sei.

Was bisher geschah…

Klingt ziemlich verrückt, nicht wahr? Doch der Rechtsanwalt William Norris meint es ernst. Er wurde vom Vater des Fötus beauftragt, da dieser sich um die Gesundheit des Fötus und dessen Zukunft sorgt. „Diese Person ist zu Unrecht inhaftiert“ – wird der Vater in Bezug auf den Fötus zitiert. Harrell, die mittlerweile im achten Monat schwanger ist, behauptet dazu, dass die Gefängnisbeamt:innen ihr ungeborenes Kind gefährdet hätten, da sie keine angemessene medizinische Betreuung erhalten habe. Sie habe seit Oktober keinen Gynäkologen mehr gesehen und die für die Entwicklung des Fötus notendigen Vitamine seien ihr nicht gegeben worden. Zudem musste sie bei einem Gefangenentransport in einem Van ohne Klimaanlage sitzen, in dem es mehr als 38 Grad heiß wurde. Die Gefängnisbeamt:innen hätten erst nach heftigem Klopfen gegen den Van die Tür geöffnet.

Ähnlich erging es einer schwangeren Gefangenen im Orange County Jail (Florida), die ihr ungeborenes Baby verlor, weil sie im Gefängnis nicht rechtzeitig medizinisch versorgt wurde (JURios berichtet).

Das Miami-Dade County Gefängnis überprüft aktuell Harrells medizinische Betreuung in der Schwangerschaft. Ein Sprecher sagte, man kümmere sich darum, dass alle Inhaftierten eine professionelle und zeitnahe medizinische Behandlung bekommen. Zudem habe Harrell mindestens vier Termine außerhalb des Gefängnisses bei einem Geburtshelfer gehabt, die Einnahme von pränatalen Vitaminen habe sie mehrfach abgelehnt. Eine Verlegung auf die Krankenstation ist ab der 36. Schwangerschaftswoche geplant, wo eine Überwachung durch Pflegepersonal 24/7 gewährleistet werden soll. Zu Wehenbeginn soll sie außerdem ins Jackson Memorial Hospital verlegt werden.

Habeas Corpus – Anwendbarkeit auf Fötus?

Norris argumentiert mit dem Habeas Corpus Grundsatz. Dieser schützt Häftlinge vor verfassungswidrigen Inhaftierungen und solchen, die auf unbestimmte Zeit gelten. Diesen Grundsatz wendet Norris allerdings nicht auf Harrell, sondern ihren Fötus an. Dieser sei unschuldig und sollte entlassen werden. Der Grund dafür: Dem Fötus wurde kein faires Verfahren in Bezug auf die Inhaftierung ermöglicht. Dass Harrell dann ebenfalls bis zur Geburt aus dem Gefängnis entlassen werde, sei ein Nebenprodukt.

Er argumentiert weiter, dass ein ungeborener Fötus eine Person im Sinne der Verfassung Floridas sei, welche deshalb auch unter dessen Schutz stehe. Dieser Umstand spiele vor allem seit dem gekippten Urteil Roe v. Wade eine Rolle. Der Fötus sei wegen keinem Verbrechen angeklagt und müsse dem her sofort entlassen werden. Selbst wenn ihm seine Rechte nicht bewusst seien, bestehen sie trotzdem bereits und müssten geschützt werden.

Ähnlich argumentierte bereits eine Schwangere, die alleine einen Fahrstreifen befuhr, der nur von Fahrzeugen mit mehreren Insassen befahren werden darf. Das Baby in ihrem Bauch sei der zweite Passagier (JURios berichtet).

Der General-Staatsanwalt hat im Fall von Harrell einen Antrag auf Abweisung dieser Verfügung gestellt und behauptet, es gäbe keine substantiierten Beweise, dass die medizinische Betreuung nicht angemessen war. Zudem sei der Habeas Corpus Grundsatz hier nicht anwendbar.

Das zuständige Berufungsgericht lehnte den Antrag ab – ließ aber Rechtsmittel zu. Das Gericht entschied, dass es aufgrund der mangelhaft dargestellten Tatsachenlage und einer notwendigen, umfangreichen Beweisaufnahme seine Freiheit nutzt, keine Entscheidung zu treffen und den Fall stattdessen an ein anderes Amtsgericht zu verweisen, sofern der Antragsteller dies weiterverfolgen möchte. Das Gericht ließ offen, ob der Habeas Corpus Grundsatz Anwendung findet, stellt jedoch fest, dass es bereits fraglich sei, ob der Fötus diesen Antrag stellen kann.  

Einer der drei Richter in Harrells Fall bezeichnete die Argumentation Norris als unlogisch, und nichts mehr als ein Versuch der Mutter, ihr ungeborenes Kind als Vorwand zu nutzen, um ihrer rechtmäßigen Inhaftierung zu entkommen.

Wann ist ein Mensch ein Mensch?

Die zentrale Fragestellung ist auch in diesem Fall eine, die sich einfach nicht für alle zufriedenstellend beantworten lässt: ab wann ist ein Mensch ein Mensch?

Nachdem das verfassungsgemäße Recht auf Abtreibung in den USA gekippt wurde, versuchen Abtreibungsgegne:innen nun sog. „Fetale Persönlichkeits-Gesetze“ zu schaffen. Diese sollen das Menschwerden bzw. Menschsein neu definieren. Der Zeitpunkt soll dabei auf die Empfängnis vorverlagert werden, sodass befruchtete Eizellen, Embryonen und Föten dieselben Rechte erhalten wie bereits geborene Menschen.

Zwar ist eine Abtreibung bis zur 15. Schwangerschaftswoche aktuell in Florida noch legal, ein neues Gesetz, das genau das zum Ziel hat, ist jedoch bereit bei Gericht zur Überprüfung anhängig.

Und auch in Deutschland gibt es noch immer Debatten über den Zeitpunkt des Menschwerdens. Das Strafrecht hat sich bisher darauf einigen können, dass das Leben grundsätzlich mit der Geburt beginnt. Bei einer natürlichen Geburt wird der Fötus in dem Zeitpunkt zum Menschen, in dem die Eröffnungswehen beginnen. Bei einem Kaiserschnitt stellt man auf den Zeitpunkt ab, in dem der Uterus geöffnet wird (vgl. auch Berliner Zwillings-Fall, BGH, Beschl. v. 11.11.2020, Az. 5 StR 256/20). Im Zivilrecht beginnt das Menschsein allerdings erst mit Vollendung der Geburt, § 1 BGB.

Vor der Geburt ist die befruchtete Eizelle, je nach Entwicklungsstadium dennoch geschützt. Zum einen gibt es das Embryonenschutzgesetz, zum anderen gibt es die §§ 218 ff. StGB. Das ungeborene Leben wird also auf unterschiedliche Art und Weise geschützt und hat durchaus Rechte. Allerdings wird in Deutschland deutlich zwischen ungeborenem geborenem Leben unterschieden.

Schwangerschaft(-sabbruch) in Deutschland

Man sollte meinen, dass diese in unserer Rechtsordnung verankerten Grundsätze recht eindeutig sind. Bei all den Regelungen geht es nämlich primär um den Schutz der Schwangeren und dann erst um den des Fötus. Doch der erst kürzlich abgeschaffte § 219a StGB zeigt, wo wir in der Debatte sind. Die Versorgungslage ist auch in Deutschland alles andere als optimal – und das ganz ohne Strafvollzug.

Für Frauen, die einen Abbruch in Betracht ziehen, ist die Lage vor allem in Bayern besonders prekär. Nicht wenige müssen bis zu 150km fahren, um eine Klinik zu finden, die ihnen helfen kann. Eine Reform des § 218 StGB wird angestrebt. Dabei wird eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des StGB in Betracht gezogen. Mit der aktuellen Regelung werden sowohl die Frauen als auch die behandelnden Ärzt:innen kriminalisiert, was zu physischen und psychischen Gesundheitsgefährdungen führen kann.

Für den Strafvollzug gelten keine besonderen Regelungen für den Abbruch. Für schwangere Inhaftierte geben die Strafvollzugsgesetze den Maßstab vor. So soll auf sie besondere Rücksicht genommen werden. Dabei haben sie einen Anspruch auf ärztliche Betreuung, die die nötigen Untersuchungen durchführen sollen. Die Geburt soll grundsätzlich außerhalb der JVA stattfinden.

(R)Ausgetrickst

Die Herangehensweise Norris ist so interessant wie absurd. Seiner Argumentation kann man unter Umständen sogar nachvollziehen. Ein Fötus kann tatsächlich nichts für die Verbrechen seiner Mutter. Allerdings zeigt gerade die unumstößliche Tatsache, dass die Mutter mit dem Fötus verbunden ist, die Absurdität der gesamten Debatte.

Eins steht jedenfalls fest: eine solche Argumentation gerichtlich zu bestätigen, könnte einen Domino-Effekt auslösen und uns somit um Jahrhunderte zurückwerfen.


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