Der „Lincoln Lawyer“ und die schwarze Wand: Ist das Kunst oder kann das weg?

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Einer Mandantin des “Lincoln Lawyer” wird in Staffel zwei der gleichnamigen Serie vorgeworfen, die Wand einer Boutique schwarz angemalt zu haben. Der Strafverteidiger Mickey Haller erwirkt einen Freispruch, indem er gegenüber der Boutique-Inhaberin Urheberrechte an der schwarzen Wand geltend macht, woraufhin diese ihren Strafantrag zurückzieht. Geht das so einfach?

Im Juli 2023 erschien die zweite Staffel der beliebten Anwaltsserie „Lincoln Lawyer“ auf Netflix. Die Geschichte beruht auf einer Bücherserie des US-Autors Michael Connelly, in welcher der Anwalt Mickey Haller die Hauptrolle spielt. Er ist als Strafverteidiger in Los Angeles tätig und bald als „Lincoln Lawyer“ bekannt, weil er seine Arbeit in einem Lincoln Navigator erledigt und sich darin von Gerichtstermin zu Gerichtstermin fahren lässt. Vor Gericht trifft er dabei immer wieder auf seine Ex-Frau Nummer 1, Maggie McPherson, mit der er eine gemeinsame Tochter hat. In seiner Kanzlei unterstützt ihn Exfrau Nummer 2, Lorna Crane, die als Paralegal tätig ist. Obwohl viele Fälle anfangs aussichtslos erscheinen, schafft es Mickey Haller immer wieder mit Witz, Charme und Verstand für seine Mandantschaft einen Freispruch zu erwirken.

Graffiti als Kunst oder Sachbeschädigung?

So auch in Staffel 2, Episode 4. Die Teenie-Tochter eines ehemaligen Mandanten braucht Hilfe. Sie muss sich vor dem Jugendgericht verantworten, weil sie die Außenwand einer Boutique komplett schwarz anmalte. Angelica Coleman sieht darin einen Tribut an den verstorbenen Modedesigner Virgil Abloh. Doch die Eigentümerin der Boutique erstattet Anzeige wegen Sachbeschädigung. Und auch die Jugendrichterin ist „not amused“. Angelica droht eine Jugendstrafe.

Mickey Hallers Verteidigungsansatz ist so genial wie kreativ: Er überredet den ehemalige Laker-Star Robert Horry die Boutique zu besuchen und mit Angestellten und Fans vor der schwarzen Wand für ein Selfie zu posieren. Das Foto geht im Internet viral und wird unter anderem auf dem offiziellen Instagram-Kanal der Boutique veröffentlicht. Mickey Haller macht daraufhin vor Gericht geltend, dass es sich bei der angemalten Wand um Kunst handelt. Doch damit nicht genug: Er droht der Ladeneigentümerin außerdem mit einer Urheberrechtsklage. Denn sie verwende Angelicas Kunst, um gewerbsmäßig für ihre Boutique zu werben. Daraufhin erklärt sich die Ladeneigentümerin bereit, den Strafantrag gegen Angelica zurückzuziehen. Für seine Mandantin schlägt Mickey Haller außerdem Tantiemen in Höhe von drei Prozent für die Nutzung ihrer Arbeit heraus.

Strafantrag und Schadenshöhe

Graffiti-Kunst stellt in Deutschland grundsätzlich eine Sachbeschädigung isd. § 303 StGB dar. Denn mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird nicht nur bestraft, wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, sondern gem. § 303 Abs. 2 StGB auch, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. Das ist beim Auftragen von Sprühfarbe grundsätzlich der Fall. Auch in Deutschland ist hierfür gem. § 303c StGB aber ein Strafantrag erforderlich. Es handelt sich um ein relatives Antragsdelikt. Denn neben dem Geschädigten kann, wenn die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht, ein Einschreiten von Amts wegen geboten sein.

Das kalifornische Recht definiert Vandalismus als jede böswillige Beschädigung, Zerstörung oder Verunstaltung des Eigentums einer anderen Person. Dies ist in § 594 des kalifornischen Strafgesetzbuches (penal code) geregelt. Dieser nennt als eine Tatbestandsvariante sogar explizit das „Verunstalten durch Graffiti oder andere Beschriftungen“.

The Lincoln Lawyer. (L to R) Lana Parilla as Lisa Trammell, Becki Newton as Lorna Crane, Manuel Garcia-Rulfo as Mickey Haller in episode 210 of The Lincoln Lawyer. Cr. Lara Solanki/Netflix © 2023

Die Höhe der Strafe richtet sich sodann nach der Schadenshöhe. Beträgt der Schaden weniger als 400 Dollar und liegt keine frühere Verurteilung wegen Graffiti/Vandalismus vor, beträgt die Strafe bis zu einem Jahr Bezirksgefängnis, eine Geldstrafe von bis zu 1.000 Dollar oder beides. Liegt eine frühere Verurteilung wegen Graffiti/Vandalismus vor, erhöht sich die Strafe auf bis zu ein Jahr Gefängnis und/oder eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Dollar. Bei einem Schaden über 400 bzw. über 10.000 Dollar erhöht sich die Geldstrafe auf bis zu maximal 50.000 Dollar.

Urheberrechtlicher Schutz für Graffiti

Dass Graffiti prinzipiell urheberrechtlichen Schutz genießen können, ist in Deutschland allgemein anerkannt (vgl. BGH Urteil v. 23.02.1995, Az I ZR 68/93). Ob ein Werk tatsächlich urheberrechtlichen Schutz genießt, hängt von der sog. Schöpfungshöhe (§ 2 I Nr. 4, II UrhG) ab. Simple Schriftzüge und Schmierereien genießen damit keinen urheberrechtlichen Schutz. Aufwändige Straßenkunst jedoch schon. Dabei hat die Strafbarkeit nach § 303 StGB wegen Sachbeschädigung jedoch keine Auswirkungen auf das Urheberrecht. Auch an einem Graffiti auf einer fremden Wand können damit Rechte entstehen. Juristisch gesehen stehen sich damit die Rechte der Straßenkünstler:innen aus §§ 14, 25 UrhG und die Rechte der Eigentümer:innen aus Art. 14 GG bzw. §§ 823, 1004 BGB gegenüber. In den meisten Fällen entscheiden die Gerichte dann zugunsten der Eigentümer. Denn wenn diese das Kunstwerk nicht beauftragt haben, liegt „aufgedrängte Kunst“ vor.

Entschieden wurde dies beispielsweise im Fall eines mit Graffiti versehenen Mauerstücks der Berliner Mauer. Verkauft der Eigentümer dieses Mauerstück, stellt dies einen Eingriff in das Verbreitungsrecht der Künstler:innen dar. Der Eigentümer dürfe die Mauer jedoch grundsätzlich weiterveräußert, „da der Eigentümer sonst in unerträglicher Weise in seinem grundrechtlich geschützten Recht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, beschränkt würde.“ (BGH, Urt. v. 24.5.2007, Az. I ZR 42/04).

Ganz ähnlich ist die Rechtslage in den USA. Auch hier kann Straßenkunst grundsätzlich urheberrechtlich geschützt sein. Und auch hier ist das Urheberrecht nicht automatisch deswegen ausgeschlossen, weil ein Graffiti „illegal“ auf einer fremden Wand angebracht wurde und damit strafrechtlich eine Sachbeschädigung darstellt. Ob die Gerichte den Künster:innen oder den Eigentümer:innen Recht geben, ist dann aber eine Frage des Einzelfalles. Eine Tendenz lässt sich dahingehend ableiten, dass viele Gerichte sich auf die „doctrine of unclear hands“ berufen. Diese besagt, dass wer „unreine Hände“ hat, also etwas Illegales getan hat, nicht von dieser illegalen Handlung profitieren soll. Auf illegale Straßenkunst übertragen bedeutet dies, dass Künstler:innen nicht im Rahmen des Urheberrechts von ihrer illegalen Handlung profitieren sollen.

Mannigfaltige Präzedenzfälle

Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass in den USA eine ganze Reihe von Beispielsfällen existiert. In der Rechtssache Villa vs. Pearson Education klagte der Straßenkünstler Hiram Villa, bekannt unter seinem Pseudonym UNONE, in Illinois gegen einen Buchverlag. Dieser hatte Fotos seiner Straßenkunst ohne seine Genehmigung in einem Buch abgedruckt. Der Verlag machte geltend, das Graffiti sei illegal entstanden und deswegen urheberrechtlich nicht geschützt. Beide Seiten einigten sich schließlich außergerichtlich. Auch der Street-Art-Künstler Jason “Revok” Williams einigte sich außergerichtlich mit der Gegenseite, nämlich H&M. Es ging dabei um die unautorisierte Nutzung seiner (illegalen) Graffiti auf Werbefotos. Beide Fälle zeigen, dass selbst große Unternehmen nicht sicher sind, ob sie vor Gericht obsiegen würden.

In einem Fall aus dem Jahr 2013, bei dem es um Graffiti in einem Green-Day-Konzertvideo ging, befand ein Berufungsgericht in Kalifornien, dass die Verwendung der Kunstwerke eine faire Nutzung („fair use“) darstelle (Seltzer v. Green Day, Inc). Das ist zwar immer noch eine Niederlage für den Künstler, bestätigt aber immerhin, dass auch illegale Graffiti grundsätzlich urheberrechtlich geschützt sind, denn sonst hätte sich das Gericht nicht auf „fair use“ berufen müssen.

Doch manchmal wollen Künstler:innen keine Kompensation, sondern einfach nur die Zerstörung ihres Werkes verhindern. So in der Rechtssache English v. BFC & R East 11th Street LLC versuchte eine Gruppe von Künstler:innen mit Hilfe des U.S. Visual Artists Rights Act (VARA) die Zerstörung von nicht genehmigten Kunstwerken in einem Gemeinschaftsgarten zu verhindern. Die Eigentümer der Gartenanlage wollten diese bebauen. Das Gericht entschied hier zu Lasten der Künster:innen, weil illegale Kunstwerke nicht dem U.S. Visual Artists Rights Act (VARA) unterfielen.

Die schwarze Wand in Staffel 2, Episode 4 der Serie “Lincoln Lawyer” kann somit nach US-Recht grundsätzlich urheberrechtlich geschützt sein. Inwiefern Mickey Hallers Mandantin davon jedoch auch finanziell profitieren darf, ist umstritten. Im konkreten Fall hat es jedenfalls ausgereicht, um die Boutique-Inhaberin dazu zu bewegen, ihren Strafantrag zurückzuziehen. Ein weiterer Freispruch für den Lincoln Lawyer.

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