Dr. Alix Westerkamp – Eine der Ersten

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Die Vergangenheit beeinflusst immer auch das Handeln in der Gegenwart. Vor allem das Recht lebt von seiner Geschichte. Gesetze sind durch historische Ereignisse geprägt. Neue Gesetze werden auf Grundlage Vergangenes erlassen. Doch was passiert, wenn die Geschichte nie vollständig erzählt wurde?

Die Geschichte des deutschen Rechts und deren wichtige Mitgestalter und Mitbegründer ist ein beliebtes Grundlagenfach an deutschen Universitäten. Gesetze, Bücher und Gebäude sind nach bekannten und bedeutenden Juristen benannt. Mehr oder weniger auffällig ist das Fehlen von weiblichen Juristinnen der Vergangenheit. Diejenigen die den Anfang von Frauen im Recht mitgestaltet haben, mit ebenso bewegenden Lebenswegen.


Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 5. juriosen Essay-Wettbewerbs “Frau im Recht” zum Internationalen Frauentag 2024. Es handelt sich um den ersten Platz in der Kategorie “Frauenbiografien”. Weitere Informationen zum Essay-Wettbewerb und alle anderen Gewinner-Texte finden Sie hier: https://jurios.de/essay-wettbewerb/


Nur wenig Texte von und über Juristinnen

Es gibt weniger Quellen, um ihren Weg nachzuvollziehen, wenig Biografien, kaum Bilder oder Artikel. Im Anbetracht der Tatsache, dass immer mehr Frauen Rechtswissenschaften in Deutschland studieren, sollte auch ihre Geschichte einfach zugänglich gemacht werden. Um zu informieren und auch um Mut zu machen. Die Geschichten von vielen Juristinnen der Anfänge können eine Vorbildfunktion haben. Ihre Art und ihre Lebenswege sind oft anders gewesen als die ihrer männlichen Kollegen und gerade dadurch inspirierend.

Denn auch in vielen anderen Branchen und Berufen sind Juristen vertreten, beispielsweise in der Wirtschaft oder der Politik. Und die Statistik zeigt, dass die Zahl der Frauen, die sich in eine Jurastudium einschreiben stetig steigt, seit 2004 schreiben sich außerdem mehr Frauen als Männer ein.[1] Wo sind also die Quellen und Berichte, um die Geschichte ihrer Vorgängerinnen zu kennen und zu verstehen?

Das Jurastudium war in Deutschland lange keine Selbstverständlichkeit für Frauen, desto wichtiger ist es die Namen derjenigen zu kennen, die die ersten Schritte machten. Die Namen derjenigen, die es uns möglich machen in der Gegenwart Rechtswissenschaften zu studieren. Erst 1907 promovierte die erste Frau an einer deutschen Universität. In einer mittelgroßen Stadt in Hessen, Fachwerkhäuser, ein Schloss, eine Stadt mit einer reichen Historie. Mitten in der Stadt liegt der juristische Campus der Phillips-Universität Marburg.Heutzutage gilt Marburg als eine Studentenstadt. Das Frauen, hier und in anderen Städten Deutschlands, Rechtswissenschaften studieren ist eine Selbstverständlichkeit.

Alix Westerkamp promoviert als erste Juristin in Marburg

In der Stadt erinnert aber kaum etwas an den bedeutenden Meilenstein, welcher hier 1907 gelegt wurde. Im Juli 1527 wurde eine der ältesten Universitäten feierlich durch den Landgrafen eingeweiht.[2] 340 Jahre später im Juli 1867 wird Alix Westerkamp geboren.[3] Die Tochter eines Juristen soll später zur ersten promovierten Juristin Deutschland werden und ihr Leben in den Dienst von Frauen in der Wissenschaft stellen. Warum genau ihre Geschichte hier erzählt wird?

Ihre Arbeit und ihr Engagement wirken bis heute fort und legen so Grundsteine für weitere bedeutende Juristinnen. Doch über Westerkamp wurde über wie so viele Frauen im Recht kaum geschrieben, ihre Geschichte kaum dokumentiert oder fotografiert. In vielen Universitätsbibliotheken stehen wenig Bücher von ihr, noch weniger über sie. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird sich an deutschen Universitäten erbittert darum gestritten, ob Frauen die Immatrikulation erlaubt werden soll. In Marburg fiel die Abstimmung für ein Frauenstudium an der juristischen Fakultät einstimmig aus, dennoch war die Erlaubnis aus dem Ministerium in Berlin nötig, um als Frau in einen Studiengang immatrikuliert zu werden.[4]

Bereits 1900 versuchte Alix Westerkamp ihr Glück mit einem Brief an den zuständigen Minister in Berlin.[5] Doch eine Frau als Studentin anzunehmen schien zu abwegig und ihr Antrag wurde abgelehnt.[6] Die nötigen drei Jahre bis zur Promotion studierte sie als Gasthörerin.[7] Nach dem Absolvieren der notwenigen Studienjahre gewann sie einen Professor der Rechtsphilosophie als ihren Doktorvater und schrieb ihren Promotionsantrag, in dem sie ihre Absicht für Frauen zu forschen und zu arbeiten formulierte.[8] Dieser wurde vielleicht etwas überraschend bewilligt. Im November 1903 legte Alix Westerkamp ihre mündliche Doktorprüfung ab und promovierte als erste deutsche Frau an einer deutschen Universität.[9] Da sie mit der Ausarbeitung ihrer Doktorarbeit nach der ersten Abgabe noch nicht zufrieden war und diese mit Praxiserfahrungen ergänzen wollte, wurde sie erst im September 1907 endgültig promoviert.[10] Das Thema ihrer Promotion lautete: „Muss sich der zur strafrechtlichen Verschuldung erforderliche Bewusstseinsinhalt auf die rechtliche oder sittliche Wertung der Handlung erstrecken? Dogmengeschichtliches und Dogmatisches.“

Großes Engagement in der Sozialen Arbeit

Im selben Jahr übernahm sie die Leitung der Rechtsschutzstelle für Frauen in Frankfurt am Main und leitete außerdem einen Verein, der sich für Frauenbildung und das Frauenstudium einsetzte.[11] Später arbeitete sie noch in Berlin und in den Vereinigten Staaten in verschieden sozialen Einrichtungen, unter anderem als Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Ost in Berlin.[12] Den Großteil ihres Lebens lehrte sie an verschiedenen Lehrstätten für Soziale Arbeit über das Recht aber auch über elterliche Gewalt und Armen- und Waisenpflege.[13]

Eine Schülerin erinnert sich an Westerkamp als sehr gute und leidenschaftliche Lehrerin, die fähig war Gesetzestexte lebensnah und spannend darzustellen.[14] Sie konnte „wie kaum jemand trösten, aufrichten und mit dem anderen bis zum letzten durch schweres Leid hindurch gehen.“[15] Sie sah die Menschen nie als Fälle, sondern als die Menschen, die dahintersteckten.[16] Diese Eigenschaft ist auch für die heutige Arbeit eines Juristen essenziell und wird oft an Universitäten nicht explizit gelehrt. Zu einfach wird der Mensch hinter dem Fall vergessen und die Empathie unter der genauen Tatbestandssubsumtion verloren.

Das große Verständnis und die Empathie für die Menschen, die Alix Westerkamp auszeichneten, sollten auch heute als Vorbild genommen werden. Durch ihre Arbeit legte Alix Westerkamp nicht nur einen Meilenstein für deutsche Juristinnen, sondern prägte auch die Soziale Arbeit bedeutend mit. So wurde sie im Buch „Who is who der Sozialen Arbeit“ aufgeführt. Der Nationalsozialismus prägte die letzten Jahre von Westerkamp, in welchen sie versuchte, jüdischen und politisch verfolgten Menschen in ihrem nahen Umfeld zu helfen.[17] Diese Erlebnisse und ein schwerer Sturz machten sie krank. Alix Westerkamp starb 1944 zurückgezogen in Ulm.[18]

Abschließend ist zu sagen, dass die Arbeit und das Engagement von Juristinnen der Vergangenheit keinesfalls in Vergessenheit geraten sollte. Nicht nur Juristinnen können von den reichen Erfahrungen lernen. Jeder Jurist profitiert davon auch einen Blick auf die Arbeit von bedeutenden Frauen im Recht zu werfen. Daher sollten wir ihre Geschichten erzählen und sie für ihre Arbeit ehren. Denn das Recht wäre vielleicht nicht das, was es ist, wenn Frauen keine Rolle gespielt hätten.

Frauen prägen das Recht – früher und heute

Auch andere Frauen haben die Geschichte der Frauen im Recht bedeutend mitgeprägt, einige vielleicht auch mehr als Alix Westerkamp. Dennoch wirkt ihr Engagement für Frauen im Recht bis heute in Form eines Mentoring-Programms an der Universität Marburg fort und bildet vielleicht gerade dadurch den Grundstein für weitere bedeutende Frauen in der Geschichte des deutschen Rechts.[19]

Als Ergänzung zu diesem Text ist das Lexikon zur Dissertation „Die ersten deutschen Juristinnen“ von Marion Röwekamp zu erwähnen. Die umfangreichen Kurzbiografien bilden einen guten Überblick über die bedeutenden Frauen im Recht. Frauen, die sonst möglicherweise vergessen worden wären, obwohl ihre Geschichten doch so inspirierend sind und am besten in jeder Vorlesung zur deutschen Rechtsgeschichte Einzug erhalten sollten.

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Literaturverzeichnis

Fittkau, L. (10. April 2019). Frauen an Universitäten – Langer Kampf um gleiche Rechte (deutschlandfunk.de). Von https://www.deutschlandfunk.de/frauen-an-universitaeten-langer-kampf-um-gleiche-rechte-100.html abgerufen (26.02.2024 15:00)

Götze, R. (14. Mai 2005). Soziale Arbeitsgemeinschaft Ost (Berlin) (stadtteilarbeit.de). Von https://www.stadtteilarbeit.de/lernprogramm-stadtteilarbeit/hauptseiten/soziale-arbeitsgemeinschaft-ost-berlin abgerufen (26.02.2024 15:00)

Hessen, M. D. „Comité des neubegründeten Frauenklubs bei der Eröffnung in dessen neuem tea-room“ Anfang 1908 – Regionalgeschichtliche Sammlung Dr. Stefan Naas . Von https://hessen.museum-digital.de/object/6482?navlang=de abgerufen (26.02.2024 15:00)

LTO. (2023). Wie viele Jurastudierende gibt es in Deutschland. Von www.lto.de: https://www.lto.de/karriere/jura-studium/wieviel-jurastudierende-gibt-es-in-deutschland Grafik Statistisches Bundesamt 2023 abgerufen (26.02.2024 15:00)

Marburg, P.-U. Alix Westerkamp – We stand on your shoulders! – Rechtswissenschaften (uni-marburg.de). Von https://www.uni-marburg.de/de/fb01/fachbereich/alix/westerkamp abgerufen (26.02.2024 15:00)

Marburg, P.-U. Geschichte der Phillips-Universität Marburg. Von https://www.uni-marburg.de/de/universitaet/profil/geschichte abgerufen (26.02.2024 15:00)

Röwekamp, M. (2005). Juristinnen: Lexikon zu Leben und Werk. Baden-Baden: Nomos-Verlag; Hrsg. vom Deutschen Juristinnenbund e.V.


[1] Wie viele Jurastudierende und -absolventen gibt es in Deutschland? (lto.de)

[2] Geschichte – 500 Jahre – Universität – Philipps-Universität Marburg (uni-marburg.de)

[3] Juristinnen (Marion Röwekamp)

[4] Frauen an Universitäten – Langer Kampf um gleiche Rechte (deutschlandfunk.de)

[5] Juristinnen (Marion Röwekamp)

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Ebd.

[11] Ebd.

[12] Soziale Arbeitsgemeinschaft Ost (Berlin) | stadtteilarbeit.de

[13] Juristinnen (Marion Röwekamp)

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Ebd.

[17] EBd.

[18] Ebd.

[19] Alix Westerkamp – We stand on your shoulders! (uni-marburg.de)

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