Erste juristische Prüfung – Kleine Änderungen – spürbare Wirkung

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Juristenausbildung und -prüfung werden in ihrer gegenwärtigen Form jüngst besonders heftig kritisiert. Nach den heutigen Zahlen und Befunden ist das System Staatsexamen aus der Zeit gefallen. Obgleich es bei den geforderten Kompetenzen nicht um Leben und Tod geht, wird ein Maßstab angelegt, bei dem zu viele eigentlich geeignete und in der Praxis benötigte Kandidaten auf der Strecke bleiben. Zugleich ist die Prüfung aus unserer Sicht nicht in der Lage, eine verlässliche Bewertung zur wirklichen Eignung für juristische Berufe zu liefern.

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Man kann dies beklagen und dagegen auch demonstrieren – natürlich ändert sich aber nichts. Und selbstverständlich findet sich niemand, der bereit wäre, gerade die Erste Prüfung gegen die Kritik mit wissenschaftlichen Argumenten zu verteidigen. Dazu müsste man erklären, warum deren Prüfungsformate überzeugend, verlässlich und geboten sind. Zumindest wäre zu begründen, dass die Anforderungen der Ersten Juristischen Prüfung als “Prüfungsschranke … nach Art und Höhe nicht ungeeignet, unnötig oder unzumutbar” sind (BVerfGE 80, 1 (24). Warum aber solche argumentative Mühe? – Die Karawane zieht weiter, auch ohne Fürsprecher und zur Not auch in allen Sprachen, was soll‘s? Das ist wirklich schade. Wir würden uns gerne erklären lassen, dass das Examen insbesondere den prüfungswissenschaftlichen Maßstäben von Objektivität, Reliabilität, Trennschärfe und Validität gerecht wird. All das sind Begriffe, die man im prüfungsrechtlichen Schrifttum und der diesbezüglichen Rechtsprechung wider Erwarten kaum je findet.

Genug gejammert!

Aber umgekehrt muss, wer Kritik übt, irgendwann mal mit konstruktiven Vorschlägen aufwarten. Hier kommt ein bescheidener erster Aufschlag.

Das Projekt iur.reform hat 43 Vorschläge gesammelt, die sich auf die Juristenausbildung in ihrer Gesamtheit oder einzelne Komponenten, speziell Studium und Erste Prüfung, beziehen. Sie reichen von der Einführung eines völlig neuen Konzepts der Juristenausbildung bis hin zu eher kleinteiligen Änderungsideen, die aber immer auch Auswirkungen an anderen Stellen des Systems versprechen. Einige Ansätze schließen sich gegenseitig aus, einige überzeugen, andere nicht.

Unter ihnen findet sich neben Gedanken zu einer spezifischen Ausweitung des Prüfungsstoffs der Ersten Prüfung der gegenteilige Vorschlag, diesen systematisch zu reduzieren. Aus unserer Sicht muss letzterer mit großem Abstand ganz oben auf der Agenda stehen, der aktuelle Prüfungskanon scheint uns zu unbestimmt und zu breit, zumal er sich auch permanent erweitert. Ein Beispiel: Im BGB auf dem Stand vom Dezember 2000, also nicht lange vor der Reform der Landesjuristenausbildungsordnungen 2003, umfasste das Schuldrecht in der Version der Beck-Texte im dtv (48. Auflage 2001) Regelungen in einem Umfang von 140 Seiten. Auf dem Stand von Juli 2022 sind es in der aktuellen, identisch formatierten Ausgabe (90. Auflage 2022) 254 Seiten.

Diskutiert allerdings über alle diese Ansätze, wie von iur.reform gefordert, eine Akademie Loccum 2.0, womöglich dann ein Loccum in Permanenz, so werden unsere Kindeskinder, auch Eure, liebe Leser, überrascht und in hohem Alter die vorläufigen Ergebnisse zur Kenntnis nehmen. Also setzen wir lieber mal auf einfache und kurzfristige Lösungen.

Ein paar sympathische kurzfristige Abhilfevorschläge: Bis dahin schlagen wir ein paar kleine Änderungen vor, die in der Sammlung von iur.reform überhaupt nicht erwähnt sind, aber vielleicht in kurzer Zeit erhebliche positive Effekte zeitigen könnten: 1.) Man schaffe die Mindestleistungsregeln in der schriftlichen Pflichtfachprüfung (weitgehend) ab oder modifiziere diese deutlich und 2.) hebe zugleich die nur einmalige Wiederholungsmöglichkeit auf. Sofort und bundesweit einheitlich.

Einheitliche Mindestleistungsregeln auf Minimalniveau

Die Mindestleistungsregeln sehen typischerweise vor, dass eine Mindestgesamtpunktzahl in den schriftlichen Aufsichtsarbeiten erreicht werden muss (landesrechtlich unterschiedlich mal 3,5 Punkte, mal 3,58, mal 3,6, mal 3,75, mal 3,80, mal 4 Punkte im Durchschnitt; Rheinland-Pfalz ist derzeit dabei, die 4-Punkte-Anforderung auf 3,75 zu senken) und/oder eine Mindestzahl bestandener Aufsichtsarbeiten gegeben sein muss (die Hälfte oder die Mehrzahl). An diesen Regeln scheitern knapp 30% der Prüflinge, nämlich fast alle, die überhaupt scheitern.

Wir halten es für zu kurz gegriffen, hierfür allein die Blöd- und/oder Faulheit der Kandidaten verantwortlich zu machen. Es mag unbegabte und nicht ausreichend fleißige Kandidaten geben, die ein Bestehen nicht verdient haben. Wir gehen aber davon aus, dass diese Gruppe unter den fast 30% der in den Klausuren Scheiternden nicht sehr groß ist. So sehen wir den wesentlichen Grund für die hohe Nichtbestehensquote in den Aufsichtsarbeiten in deren niedrigem Bewertungsschnitt. Dieser liegt abhängig von der Klausur bei ca. 5-6 Punkten mit Schwankungen auch nach unten. Im universitären Teil werden hingegen im Schnitt nahezu 10 Punkte erzielt (siehe DJFT Übersicht Schwerpunkte 2021) und im mündlichen Teil des staatlichen Teils ebenfalls im Schnitt ca. 9,5 als Gesamtpunktzahl der geprüften Fächer (beispielhaft Jahresbericht des JPA Schleswig-Holstein, Prüfjahr 2021, S. 4 (JPA Schleswig-Holstein Jahresbericht 2021).

Warum sollte ein Kandidat nicht in der Gesamtschau seiner Leistungen schwache Klausuren über den universitären Teil oder die mündliche Prüfung ausgleichen können? Hier ist interessant, dass er sich nicht nur auf eine universitäre Leistung, sondern auch auf eine staatliche Teilleistung stützen könnte.

Warum eigentlich nur zwei Versuche?

Die zweite große Bürde der Ersten Prüfung liegt in ihrer begrenzten Wiederholbarkeit. Es ist nachvollziehbar, dass eine aufwendige Prüfung nicht beliebig oft kostenlos angeboten werden kann und muss. Aber was spricht dagegen, den Teilnehmern ebenso wie bei den mit Gebühren belegten Verbesserungsversuchen weitere entgeltliche Versuche zuzubilligen?

Dies würde den Stress der Kandidaten massiv reduzieren und so dazu beitragen, dass die Leistungen weniger von Panik und Angst geprägt wären. Das Deutsche Richtergesetz spricht nicht dagegen. Dieses besagt zwar, dass die staatliche Pflichtfachprüfung einmal wiederholt werden kann (§ 5d Abs. 5 S. 1 DRiG). Die Kann-Vorschrift ist aber nicht dahin zu verstehen, eine nur einmalige Wiederholbarkeit sei angeordnet. Andernfalls wäre die Freischussregelung, der zufolge eine früh angetretene misslungene Prüfung als nicht unternommen gilt, die also faktisch einen dritten Versuch gewährt, unzulässig. Im Übrigen könnte der Bundesgesetzgeber diese Frage unproblematisch klarstellen.

Eine beliebige, wenn auch kostenpflichtige Wiederholbarkeit stellt natürlich die Attraktivität der Freischussregelung in Frage. Ein dritter unentgeltlicher Versuch ist vielleicht nicht attraktiv genug, um als Anreiz für einen zügigen Studienabschluss zu dienen. Hier ließe sich über andere Anreize nachdenken, etwa Punkteboni für ein schnelles Studium (die Landesprüfungsordnungen und -gesetze lassen ja auch anderweitige bescheidene Boni für besondere Leistungen im Studium zu).

Die freie Wiederholbarkeit würde vielen Kandidaten die Angst nehmen, endgültig zu scheitern. Daneben lassen sich aber auch noch weitere Argumente finden. Man vergleiche die Erste juristische Prüfung mit einem Waffenschein, einem Segelschein oder einer Fahrerlaubnis: Für die jeweils erforderlichen Prüfungen lernt der Kandidat meist deutlich weniger als fünf Jahre – und er kann sie beliebig oft wiederholen, wenn er erneut die Prüfungsgebühr entrichtet. Indes dürften die Gefahren, die von einem mit Schusswaffe oder mit einem SUV Bewaffneten ausgehen, weitaus größer sein als die, die ein Rechtsanwalt verursacht, der erst beim vierten Anlauf seine Prüfung bestanden hat, zumal dieser sich in einer zweiten Prüfung bewähren muss und nur berufshaftpflichtversichert tätig werden darf. In der Tat kennen wir eine Reihe von heutigen Führungskräften auch im Staatsdienst, die in den Examina mal gestrauchelt sind – das war kein Beleg für Inkompetenz oder Ungeeignetheit. Zudem sucht sich die Justiz ihr Personal nochmals besonders aus (und verlässt sich dabei auch nicht mehr nur auf die Examina). Wenn man also die Prüfung für einen Augenblick unter gefahrenabwehrrechtlicher Perspektive statt unter dem Aspekt der Funktionselitenreproduktion betrachtet, ist die Angelegenheit eigentlich klar.

Die mit einer nur einmaligen Wiederholungsmöglichkeit einhergehende Bevormundung ist auch im Übrigen bemerkenswert – nicht zuletzt angesichts der Breite der Berufe, die der deutsche Einheitsjurist heute ergreifen kann und oft auch mit nur Erster Prüfung ergreift. Der Gesetzgeber glaubt wirklich, für den Einzelnen mittels bestellter Prüfer am besten die Entscheidung treffen zu können, dafür dauerhaft nicht geeignet zu sein. Jedes Jahr ist dies bei Hunderten von Kandidaten der Fall, die an den Aufsichtsarbeiten (wiederholt) scheitern, ohne dass auch nur ein Mensch einen individuellen Blick auf die Person, ihre bisherigen Leistungen in Schule, Studium, Praktika oder Auslandsstudium, auf vorhandene Belastungen (Kinder, zu pflegende Angehörige), auf persönliche Beeinträchtigungen etc. geworfen hat. Hier können die Leistungen in sechs oder sieben Aufsichtsarbeiten für ein Verdikt der Ungeeignetheit ausreichen. Dass dies von der Rechtsprechung bis heute als mit Art. 12 GG vereinbar betrachtet wird, kann man nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Und solange die sich nicht bewegt, wird sich wohl auch der Gesetzgeber nicht bewegen. Schade eigentlich, und volkswirtschaftlich bitter mit Blick auf Ausbildungskosten und ausbleibenden Ertrag über spätere Berufsträger statt bloßer Abiturienten. Wer berechnet das mal für uns?

Kurz: Auch ohne revolutionäre Änderungen in der Konzeption von Studium und Examen ließen sich mit kurzfristig umsetzbaren kleinteiligen Änderungen im DRiG und des Landesjuristenausbildungsgesetzen und -prüfungsordnungen substanzielle Erleichterungen für die Kandidaten schaffen. Nach menschlichem Ermessen bliebe die Aussagekraft der Prüfungen unangetastet. Wie wär’s?

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